Einer nach dem anderen Spezialisten und prominenten Marktbeobachter kommt hervor und erklärt, was aus seiner oder ihrer Sicht im letzten Jahr zum Untergang des Finanzgiganten Credit Suisse (CS) geführt hat.
Den Anfang machte im Sommer Sonntagszeitung-Chefredaktor Arthur Rutishauser. Dieser Journalist, der seines rüden Tons und der harten Kritik an Ungeimpften wegen in Erinnerung ist, hatte dem damaligen Finanzminister, SVP-Bundesrat Ueli Maurer, eine Hauptschuld zugewiesen. Dieser habe zugewartet und die CS vor Kritik geschützt.
Der ehemalige Nationalrat und Bank-Bär-Chefökonom Hans Kaufmann konterte in der Weltwoche und legte überzeugend dar, dass verschiedene gesetzliche Regelungen neueren Datums untauglich seien.
Insbesondere sei es eine Illusion gewesen, eine Grossbank in einer Notlage rasch aufzuteilen – in einen gesunden (sprich: schweizerischen) und einen kranken (sprich: ausländischen) Teil – und den kranken Teil schnell abzuwickeln respektive in Konkurs zu schicken. Seine Partei, die Schweizerische Volksparteil (SVP) habe sich zu Recht gegen die entsprechenden Too-big-to-fail-Regelungen gewehrt.
Ein Anonymus schob dann Anfangs Januar auf der viel beachteten Finanzplattform Inside Paradeplatz die Schuld der Finanzmarkaufsicht FINMA zu. Die Schweiz weise im Gegensatz zu den USA ein dysfunktionales System auf, das keine angemessene Überwachung, keine wirksamen Kontrollen und keinerlei Möglichkeiten biete, die Regulierungsbehörde bei Fehlverhalten zur Rechenschaft zu ziehen, schrieb der Autor, der über Insiderinformationen verfügen dürfte.
Flugs griff dann Mitte Januar der ehemalige Preisüberwacher und sozialdemokratische Nationalrat Rudolf H. Strahm zur Feder.
Strahm schreibt, dass politische Druckversuche eine Umgebung geschaffen hätten, in der die FINMA Schwierigkeiten hatte, ihre Aufsichtsfunktion effektiv auszuüben. Er erwähnt informelle Kontakte und Treffen zwischen Maurer, dem Präsidenten der Schweizerischen Bankiervereinigung, Herbert J. Scheidt, sowie dem damaligen CEO der FINMA, Mark Branson. Indirekt scheint er also Rutishauser Recht zu geben.
Nun hat sich diese Woche Monika Roth mit schweren Vorwürfen gegen die Behörde gemeldet. Die Compliance-Expertin ist nicht irgendwer. Sie kennt die FINMA von innen und aussen. Sie ist Rechtsanwältin in Basel und war Professorin an der Uni Luzern.
Die FINMA hätte genug Möglichkeiten und Macht gehabt, um gegen die Teppichetage der CS frühzeitig und entschieden vorzugehen, schreibt die gefürchtete Compliance-Frau auf der CH-Media-Plattform.
Insbesondere weist sie auf das Instrument des Berufsverbots hin, das eine «Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit» sicherstellen soll und von der FINMA bereits erfolgreich angewendet wurde, zum Beispiel während der Finanzkrise von 2008.
Roth kritisiert die FINMA dafür, dass sie im Fall der CS nicht konsequent genug gehandelt habe. Sie argumentiert, dass die FINMA die gleichen Instrumente wie bei der UBS-Krise 2008 hätte anwenden müssen, insbesondere das Berufsverbot für leitende Bankmitarbeiter, den sogenannten Gewährsentzug. Roth wirft der FINMA vor, sich «unverständlicherweise von den Instrumenten, welche die Gewährsnorm bietet, verabschiedet und sie nicht genutzt» zu haben.
Die Compliance-Expertin hebt hervor, dass die Verantwortlichen der CS die Zurückhaltung der FINMA in ihrem Verhalten bereits einkalkuliert hätten. Roth stellt die Frage, warum die FINMA erst jetzt nach einem «Senior Manager System» rufe, das es erleichtern würde, leitende Manager für schwere Fehler zur Verantwortung zu ziehen.
Sie verweist darauf, dass in Grossbritannien ein ähnliches Regime für Banken bereits seit März 2016 in Kraft sei, und fragt, warum die Schweizer Parlamentarier den Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) abwarten wollen, bevor Massnahmen ergriffen werden. Roth sieht den Kern des Problems beim Parlament und behauptet, dass viele Politiker und Lobbyisten bewusst eine schwache Finma gewollt und bekommen hätten.
Die FINMA-Präsidentin Marlene Amstad verteidigte in einem Radiointerview am Samstag die Behörde als stark und fähig. Sie betonte, dass der Zusammenbruch der CS nicht die Schuld der FINMA sei, sondern des Managements.
Roth hingegen argumentiert, dass die FINMA bisher vorhandene Möglichkeiten nicht ausreichend ausgeschöpft habe. Sie sieht den Kontrollverlust der Behörde als zentrales Problem und betont, dass diese ihre bestehenden Befugnisse besser nutzen müsse.
Die beiden weltweit tätigen Grossbanken UBS und CS waren an einem Wochenende im März 2023 von den Schweizer Behörden in einer Zwangsehe zusammengeführt worden, um die schwankende und dem Untergang nahe CS zu stabilisieren.
Kommentar von Transition News:
Es zeichnet sich ein Sittenbild ab, das der Schweizer Bankbranche nicht schmeichelt. Die Situation war Anfang 2023 derart dramatisch geworden, dass man einen Zusammenbruch der CS fürchten musste. Wegen ihrer Grösse ist diese Bank «too big to fail». Ungleich zum Beispiel der Spar- und Leihkasse Thun in den frühen Neunzigerjahren können es sich die Behörden nicht leisten, dieses Institut in Konkurs gehen zu lassen.
Das wusste die Teppichetage.
Es entstand international Druck auf die Schweiz, etwas zu machen. Die Person mit dem Gewehr in der Hand, die das «shotgun marriage», die Zwangsehe, einfädelte, war Finanzministerin, Bundesrätin Karin Keller Suter.
Die Lösung ist so gestaltet, dass sie den Schweizer Steuerzahler nicht belastet, obwohl dieser gewisse Risiken übernimmt.
Aber die Probleme kamen nicht aus heiterem Himmel.
Die oben erwähnten Artikel skizzieren das Bild einer Behörde, die eigentlich omnipotent ist und Kompetenzen hat, aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Sie zeigen auch, wie politisch Einfluss genommen wird, damit die kleinen Fische gefangen, die grossen aber laufen gelassen werden.
Die CS war jahrelang Dauergast bei der FINMA. Trotzdem konnten deren Chefs ihren Kopf immer wieder aus der Schlinge ziehen – bis der Vertrauensverlust zu grosse wurde, Gelder abflossen und die Politik handeln musste.
In diesem Klima von politischem Druck und Behördenchefs ohne Rückgrat suchen Topshots wie der ehemaligen FINMA-Chef Mark Branson – er leitet heute die deutsche BaFin – das Weite.
Zurück bleibt der Ärger, dass wiederum Notrecht angewendet werden musste und der Schweizer Steuerzahlen wiederum für Verfehlungen Risiko übernehmen muss, für die er nichts kann. Und dass in der Schweiz die Entlassungen bei der ehemaligen CS weitergehen, obwohl die Probleme im Ausland entstanden.
Nun schluckt die UBS die CS. Die Schweiz ist damit für eine der weltweit grössten Banken verantwortlich – und für deren Risiken. Wenn das nur gut kommt!
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