Bei einem mehrstündigen Flug wird einem schon einmal langweilig. Die Urlaubslektüre war fertiggelesen, und ans Mäusekino war ebenfalls nicht zu denken: Der Kopfhörer für das Telefon reiste aus Versehen im separaten Koffer mit statt im Handgepäck. Aber es gab ja noch das Prospekt für das «Shopping on board».
Zwanzig Prozent Rabatt auf alle Kosmetika und gar dreissig Prozent auf alle Sonnenbrillen würden heute gelten, hatte die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher verkündet. Nicht, dass ich vorgehabt hätte, etwas zu kaufen. Der Hinweis, man könne nur mit einer Kreditkarte zahlen, reichte schon, um mir diesen Gedanken zu verscheuchen. Aber neugierig hatten sie mich gemacht.
Beim «Boss. Bottled Duo» blieb ich hängen, «2 x 30 ml Eau de Toilette». Der begleitende Text trieb einem den Duft fast schon durch die Nasenlöcher: Eine «frische und fruchtige Hauptnote» korrespondiere mit einer «betörend dynamischen Raffinesse».
Wer zu solchen Wässerchen greift? Diese Frage wird ebenfalls beantwortet: «der ‹BOSS Man›». Was den auszeichnet? Nun, er «ist bereit für den Erfolg; konzentriert, zielstrebig». Und zu seinen täglichen Ritualen gehört ganz normal der Bottled Boss dazu. Denn der unterstützt ihn bei seinem Streben nach Erfolg. − Tolle Versprechen, und das für 68 Franken minus 20 Prozent!
Nach dem gleichen Muster strahlen einen die Sonnenbrillen an. «Geboren zum Staunen» sei das Modell «Wayfarer Folding», der «Faltbare Wandersmann»; es mache einen «stets dazu bereit, den Augenblick auszukosten». Überboten wird es nur noch vom «Aviator», einer Pilotenbrille bis an die Wangenknochen, deren «zeitloses Design» ineinsfällt mit einem «grenzenlosen Geist». Sie gehört zu den «Helden von gestern» ebenso wie zu den «Überfliegern von heute».
Man kauft sich heute seine Identität zusammen. Weihevolle Zusagen laden die Gegenstände auf. Ihr Kauf und ihre Anwendung lassen sie auf den Kunden übergehen und verheißen ihrem Besitzer, Träger, Versprüher, die soeben suggerierten Sehnsüchte zu erfüllen. Magie, per Hochglanz vermittelt an den mystischen Materialisten von heute.
Wem das zu plump ist, dem legen andere Werber die Kraft der eigenen Gedanken nahe. «Stell dir eine Welt voller Frieden vor» − «Sag von dir selber, du bist dieser Frieden» −«Fokussiere dich auf deine großen Träume» und viele ähnliche Empfehlungen mehr. Hochglanz für die Psyche.
Zwei Dinge sind beiden Wegen gemeinsam. Zum einen: Das Leben, wie man es vorfindet, ist ungenügend; die wahre Identität, das eigentliche Sein, liegt ausserhalb von einem selbst. Zum anderen: Diese neue Sein ist erreichbar. Entsprechend aufgeladene Gegenstände und wohltuende Gedanken schlagen die Brücke.
Das Grundempfinden ist völlig richtig. Es muss ein Mehr geben. Unzufriedenheit, Traurigkeit und Elend sind die negativen Platzhalter des Unerfüllten. Und dieses Mehr muß erreichbar sein, denn ohne Veränderung, ohne einer Hoffnung auf Veränderung, bliebe im ganz existentiellen Sinne nur die «schwarze Null».
Nur lässt sich dieses Mehr weder an Gegenstände noch an Suggestionen binden. Es hat sich vielmehr selber gebunden: an eine Person, an Jesus Christus. «In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig», bekennt Paulus. Die ganze christliche Botschaft liegt in dem einen Vers aus dem Römerbrief:
«Wir erkennen ja dies, dass unser alter Mensch deshalb mitgekreuzigt worden ist, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde, auf dass wir hinfort nicht mehr der Sünde als Sklaven dienen.» Römerbrief 6,6
Der Tod und das neue Leben des Gottesmenschen sind das Urbild meines je eigenen Absterbens und Neulebens.
«Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.» Kolosserbrief 3,1-3
Glaube, das ist Leben aus einem Freiraum. Der tut sich auf, wenn ein noch vages Staunen an die mitgebrachte Skepsis gegenüber guten Worten klopft und dieses Staunen zu einem neuen Atem führt. Der künstliche Hochglanz von Waren und Imaginationen verflüchtigt sich, und man weiss sich bei der Einen liebenden Person extern gehalten.
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Wort zum Sonntag vom 3. März 2024: Demokratie in Uniform
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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