Am Sonntag, 25. Februar 2024, ist im Gaza-Streifen ein vielleicht achtjähriges Mädchen an Hunger verstorben. Ebenso drei weitere Kinder in den gleichen 24 Stunden. Das Mädchen war zuerst beim heftigen Erbrechen zu sehen, danach wie es verstarb. Sie hatte Nutztiernahrung zu sich genommen, weil es sonst nichts zu essen gibt. Ihr noch sehr kindliches Verdauungs- und Immunsystem konnten das nicht verarbeiten.
Der Tod ist an sich schon schwer erträglich, aber der Tod durch Verhungern eines solchen Kindes in Anbetracht der Tatsache, dass eine grosse Kolonne mit Food-Trucks nicht weit entfernt war, aber nicht helfen konnte, weil sie keine Bewilligung hatte, in den Gazastreifen durch Rafa reinzukommen, macht einem noch trauriger. Der Tod kommt jetzt nicht mehr nur durch die Luft und Bomben, sondern auch durch Mangel.
112’000 Menschen wurde mittlerweile schwer verwundet, verstümmelt oder getötet, in gut vier Monaten, mehr als 70 Prozent davon Frauen und Kinder. Proportional mehr als in jedem bisherigen Konflikt in der Geschichte der Menschheit. Wer sich selbst zu Eltern oder Grosseltern zählt, möge sich den Anblick von Beinchen, Füsschen, Ärmchen oder Händchen von eigenen Kindern oder Grosskindern vorstellen, die unter den Trümmern hervorlugen. Sie, die Angehörigen, können die Schuttmassen nicht selbst entfernen. Dazu braucht es Maschinen, Baumaschinen. Alles, was sie tun können, ist, versuchen zu verhindern, dass sich nicht auch noch streunende, wilde Tiere über die Extremitäten ihrer geliebten Kleinen hermachen – und selbst dann sind sie nicht vor Snipern, Scharfschützen der IDF, gefeit!
Soldaten der IDF bedienen sich, wie einst die Frau des Kommandanten von Ausschwitz, an den intakten Kleidungsstücken der weiblichen Leichen, insbesondere Schuhe, um sie im Urlaub ihren Frauen mitzubringen. Man fragt sich, ob die Israelis sich überhaupt noch vorstellen können, wie der Rest der Welt (Ausnahme: westliche Politiker) sie sieht oder ob es ihnen einfach egal ist. Robert Burns, der schottische Dichter, sagte einst: «Die grösste Gabe, die Gott uns gegeben hat, ist die Fähigkeit, uns zu sehen, wie andere uns sehen.» Nicht so offenbar die IDF. Auch was sie damit Glaubensbrüdern und -schwestern auf der ganzen Welt antun, scheint sie nicht zu berühren.
Was mit jedem Tag unerträglicher wird, ist die Haltung der Regierungen in den USA und Grossbritannien, von zwei Superpowern also, die noch immer selbst einen Waffenstillstand ablehnen. Man fragt sich, von was für dehumanisierten Cyborgs diese Länder regiert werden? Rachel Reeves, Mitglied der Labour-Party und Schatzkanzlerin des Schattenkabinetts von Sir Keir Starmer, hat die britische Polizei explizit aufgefordert, bis an die Grenzen der Legalität gegen jeden im Vereinigten Königreich vorzugehen, der anti-israelische Ansichten oder Gefühle äussert.
Wie interessant, vor allem in der Konsequenz solchen Irrlichterns: Die Polizei müsste demzufolge nicht nur beispielsweise meine publizistischen Kollegen wie George Galloway oder Russel Brand als Briten festnehmen, sondern Millionen von Briten verhaften, die das Vorgehen Israels als unverhältnismässig, ja gar als barbarisch kritisieren. Nun, Miss Reeves, ich weiss nicht, ob die Labour-Party die Regierungsmehrheit schafft, aber falls ja – und Sie tatsächlich solche Gesetze erlassen wollen, wird es in Grossbritannien Millionen von neuen Kriminellen geben. Starten Sie also schon mal ein gigantisches Gefängnisbauprogramm oder wollen Sie alle Gefangenen in Concentrations Camps unterbringen, wie die Briten es mit den vorwiegend Frauen und Kindern der Buren in Südafrika im gleichnamigen Krieg gemacht haben?
2200 Bomben wurden seit Oktober 2023 auf Gaza abgeworfen. Bestimmt haben viele von Ihnen den Film «Oppenheimer» gesehen. Das Hauptthema dort: Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki – Schuld und Sühne danach. Israel hat in vier Monaten fünf (5!) Bomben von der Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe auf den Gazastreifen abgeworfen, ein Landstrich von 25 auf 5 Meilen, bevölkert noch mit knapp 2,2 Millionen Menschen, die nirgendswohin rennen können, sich nirgends verstecken können.
Ein plastischer Chirurg, Dr. med. Ahmed Moghrabi, hat von einer Al-Jassera-Station aus George Galloway ein Interview gegeben (im Gazastreifen gibt es kaum noch Internet-Zugang für die Palästinenser). Er ist jetzt nach Rafa an der ägyptischen Grenze vertrieben worden, wo er in einem der Zelte lebt, ohne Elektrizität. Gekocht würde, wenn es überhaupt etwas zu kochen gäbe, auf offenem Feuer.
Vor einer Woche wurde das Nasser Hospital in Khan Younis von den IDFs «geräumt», nachdem es von den IDFs gestürmt worden war. Über hundert Mitglieder des medizinischen Personals seien verhaftet worden, man verspricht sich, von ihnen mehr Informationen über den Verbleib der Hamas zu erfahren. Er hätte sich seiner Berufskleidung entledigen können und wäre als Zivilperson durch den Checkpoint mit seiner engsten Familie gekommen. Bei der Erstürmung seien auch Patienten, in ihren Betten liegend, erschossen worden. Seine Verwandten in Gaza-City hätten auch nichts mehr zu essen.
Sein Berufskollege, Dr. med. Yasser Khan, kanadischer ophtalmologischer Chirurg, der nach Gaza ging, um Augenverletzungen bei Kindern behandeln zu helfen, erläutert, dass selbst die IDFs mittlerweile davon überzeugt sind, dass Hunger und Epidemien mehr Menschen töten könnten als die Bomben aus der Luft und vom Meer. Hilfe käme praktisch keine ins Land rein, man hätte kurzfristig mit dem Gedanken gespielt, Hilfspakete aus der Luft abzuwerfen. Dieser sei aber aufgrund der Lufthoheit der IDF wieder verworfen worden. Unterdessen kam ein Lastwagen mit Diesel für den Generator beim Nasser Hospital an, was von den Israelis breit gestreut wurde.
Dr. Moghrabi erzählt auch, dass praktisch keine Reporter mehr im Gaza-Streifen wären, nachdem mittlerweile hunderte getötet oder schwer verwundet worden wären. Man versuche auch so, die Welt von den Gräueltaten fernzuhalten. Nicht mal mehr das IKRK operiere wirklich, Ambulanzen seien höchst gefährdet, beschossen oder gar in die Luft gesprengt zu werden. Er flehe Präsident Biden nicht nur als Präsidenten, sondern als Vater und Grossvater an, das Sterben von Klein- und Kleinstkindern – jetzt auch noch durch Hunger – nicht zuzulassen.
Und zuletzt fragt Dr. Moghrabi: Wie viele Videos des Grauens muss die Welt noch sehen, um wirklich die Waffen ruhen zu lassen?
Es stellt sich wie immer die Frage nach der Propaganda, auch auf palästinensischer Seite. Aber wenn nur ein Drittel des hier Erwähnten zutrifft, erübrigt sich die Frage schon beinahe und die nach der Restmenschlichkeit drängt sich dafür umso mehr auf.
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Dies ist der Newsletter von Marco Caimi, Arzt, Kabarettist, Publizist und Aktivist. Aus Zensurgründen präsentiert er seine Recherchen nebst seinem YouTube-Kanal Caimi Report auf seiner Website marcocaimi.ch. Caimis Newsletter können Sie hier abonnieren.
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