Am letzten Donnerstag fand an der Universität Zürich die Abschiedsvorlesung des bekannten Zürcher Staatsrechtsprofessors Andreas Kley statt.
Es gab Spannendes zu hören. Andreas Kley war zusammen mit dem Freiburger Strafrechtler Marcel Alexander Niggli einer der ganz wenigen Rechtsgelehrten, die in Bezug auf die in aller Eile verfügten Coronamassnahmen Klartext redeten.
So verfasste er einen einschlägig berühmt gewordenen Artikel, veröffentlicht in der Neuen Zürcher Zeitung am 20. Oktober 2021, in dem er zum Beispiel unter dem Titel «Der Bundesrat kann, kann, kann . . . Die Änderung des Covid-19-Gesetzes ist ein weiterhin verfassungswidriges Vorhaben» die Massnahmen geisselte.
Er kritisierte, dass das am 28. November des gleichen Jahres zur Volksabstimmung anstehende Gesetz ein Blankoscheck des Parlaments an den Bundesrat (die Landesregierung) sei, mit dem gesetzgeberische Kompetenzen der Legislative an die Exekutive verschoben würden. Das sei verfassungswidrig, denn wichtige, einschneidende Entscheide wie zum Beispiel die Einführung der Zertifikatspflicht müsse das Parlament fällen.
Kley bemängelte, das Gesetz habe kaum Inhalt und würde einfach die Landesregierung ermächtigen, Entscheide bezüglich Covid in eigener Kompetenz zu treffen. Den Titel «Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie» bezeichnete er in seinem ihm eigenen, klaren Stil als pleonastisch, denn was soll ein Gesetz anderes tun als gesetzliche Grundlagen schaffen?
In der Tat hat nichts die Schweizer Gesellschaft im gleichen Masse gespalten wie die im September 2021 wider besseres Wissen eingeführte Zertifikatspflicht.
Kley nutzte nun seine Abschiedsvorlesung – sie stand unter dem provokativen Titel «Rechtswissenschaft ohne Recht» –, um nicht nur die Politik, sondern auch seine Kollegen in der Rechtswissenschaft hart zu kritisieren.
Insbesondere während der turbulenten Coronazeit machte Kley als eine der wenigen Stimmen auf sich aufmerksam, die wiederholt darauf hinwiesen, dass sowohl der Bundesrat als auch das Parlament die Verfassung ausser Acht liessen und bedenkenlos auf «Notrecht» zurückgriffen.
Die überhastete Übernahme der Credit Suisse durch die UBS in einer Nacht-und-Nebel-Aktion – ebenfalls auf Notrecht basierend – unterstrich nur zu deutlich Kleys Beobachtung, dass Notrecht zunehmend als bequemes Werkzeug der Politik betrachtet werde.
In seiner Abschiedsvorlesung wiederholte Kley seine Fundamentalkritik und machte dabei keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über seine akademischen Kollegen, die das Verhalten der Behörden oft genug billigten, allenfalls mit leiser Kritik oder «Bedauern» begleiteten. Kley äusserte sein Befremden darüber, dass nicht nur Politiker, sondern auch akademische Juristen den Bruch geltenden Rechts ohne jede Begründung akzeptierten und die kategorische Rechtsbindung durch Gefühl ersetzten.
Er warnte eindringlich davor, dass die Politik dem Recht unterliegen müsse und nicht umgekehrt, und verwies auf die gefährlichen Konsequenzen, die historisch gesehen eine Unterwerfung der Rechtswissenschaft unter die Politik mit sich bringe, insbesondere in autoritären Regimen wie Nazi-Deutschland.
Andreas Kley gilt als ein Vertreter der Verfassungstreue. Seine Arbeit und sein Engagement erstreckten sich über verschiedene Gebiete, einschliesslich des Verfassungsrechts Liechtensteins und der Demokratie in der Schweiz. Seine Kritik beschränkte sich nicht nur auf den Verfassungsbruch während der Coronakrise, sondern erstreckte sich auch auf die zunehmende Erosion des Privatrechts durch das öffentliche Recht.
In seiner Vorlesung betonte Kley die Bedeutung von Freiheit und Bürgervernunft und äusserte Skepsis gegenüber kollektiven Aufrufen seiner Kollegen an die Öffentlichkeit. Er hinterfragte ihre Autorität und mahnte zur Verteidigung der direkten Demokratie gegen politische Beschneidungsversuche. Kleys Abschiedsvorlesung war eine kritische Reflexion über den Zustand der Rechtswissenschaft und die Bedeutung der Einhaltung der Verfassung für eine funktionierende Demokratie. Es ist gut zu wissen, dass Kley der Universität Zürich auch nach der nun folgenden Emeritierung bis zu einem gewissen Grad erhalten bleibt.
In seiner Würdigung in der Weltwoche, verglich Christoph Mörgeli Kley mit Zaccaria Giacometti, einem herausragenden Schweizer Rechtswissenschaftler, der sich mit scharfen Argumenten gegen das Notstandsrecht während und nach dem Zweiten Weltkrieg stellte. Als hartnäckiger Bündner setzte er sich energisch gegen das autoritäre Dringlichkeitsrecht ein, das es dem Bundesrat ermöglichte, am Parlament und Volk vorbei zu regieren.
Giacometti betrachtete das behördliche Willkürregime als helvetische Form des Totalitarismus und verweigerte die Akzeptanz einer unkontrollierten, dem freien Ermessen ausgesetzten Staatstätigkeit. Auch kritisierte er den autoritären Charakter der Gesetzgebung sowie die extrakonstitutionellen Vollmachten, die dem Bundesrat während des Krieges gewährt wurden.
Besonders wichtig war für Giacometti die Auffassung der Grundrechte als Ausdruck einer allgemeinen, ungeschriebenen Freiheitsgarantie. Er argumentierte, dass die Bundesverfassung jede individuelle Freiheit garantiere, die durch die Staatsgewalt gefährdet sei, nicht nur die explizit aufgezählten Freiheitsrechte. Diese liberale Grundrechtstheorie prägte sein Denken und seine Arbeit, und er setzte sich beharrlich für die Rückkehr zur direkten Demokratie ein.
Das wurde schliesslich erreicht, aber der Bundesrat musste mit der Volksinitiative «Rückkehr zur direkten Demokratie» dazu gezwungen werden. Das Vollmachtenregime wurde deshalb per Ende 1952 aufgehoben.
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