«Vor einigen Monaten» hätten Moskau und Kiew erneut «am Rande einer vernünftigen Verhandlung» gestanden, zitiert der US-Journalist Seymour Hersh einen namentlich nicht genannten US-Regierungsbeamten. Als die US-Führung von der möglichen Verhandlungseinigung erfahren habe, sei Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Ultimatum gestellt worden: Wenn es zu Verhandlungen und einer Einigung komme, werde die jährliche Unterstützung der USA für Kiew in Höhe von 45 Milliarden Dollar für zivile Mittel gestoppt.
In einem aktuellen Beitrag schreibt Hersh, dass die US-Administration unter Joseph Biden aber weiterhin jede Chance auf nennenswerte Fortschritte bei den Friedensgesprächen ausschlage. Sein Informant sei über die laufenden Gespräche zwischen den führenden ukrainischen und russischen Militärs informiert.
Hersh verweist darauf, dass der russische Präsident Wladimir Putin in einem Interview nach den Wahlen am vergangenen Freitag seine Bedingungen für Friedensgespräche mit der ukrainischen Führung unter Selenskyj erklärt. «Es wäre lächerlich, wenn wir jetzt verhandeln würden, nur weil ihnen [dem ukrainischen Militär] die Munition ausgeht», habe Putin gesagt und hinzugefügt:
«Dennoch sind wir offen für eine ernsthafte Diskussion, und wir sind bestrebt, alle Konflikte, insbesondere diesen, mit friedlichen Mitteln zu lösen.»
Putin wiederholte die Bereitschaft zu Verhandlungen, die aber nicht auf Wunschdenken beruhen dürften. Sie müssten «auf den Realitäten basieren, die sich, wie in solchen Fällen, vor Ort entwickelt haben». Doch mit der Bereitschaft auf der anderen Seiten sieht es eher schlecht aus, wie die Informationen zeigen, die Hersh wiedergibt.
Der US-Beamte habe es als Realität bezeichnet, dass die ostukrainischen Donbass-Gebiete (Oblaste) und die Krim – von Norden bis Süden und von Osten bis Westen zu Russland gehörten. «Also hört auf, darüber zu reden, und schliesst einen Vertrag», habe der US-Insider gefordert. Moskau wolle Charkiw erobern und werde es bekommen, wenn Selenskyj zur Kapitulation gezwungen ist.
Die US-Geheimdienste sind sich laut Hersh einig, dass die Ukraine kaum Chancen hat, den Krieg zu gewinnen. Die ukrainische Gegenoffensive im vergangenen Jahr sei gescheitert. Die Kiewer Truppen seien dezimiert und hätten zu wenig Munition, so Hersh. Militärexperten hätten vorausgesagt, dass Russland versuche Charkiw (Charkow), die zweitgrösste Stadt der Ukraine, etwa 20 Meilen von der russischen Grenze entfernt, einnehmen will.
Die Stadt, im 17. Jahrhundert gegründet, habe in der Ukraine und in Russland einen besonderen Ruf als Schauplatz von grossen Panzerschlachten gegen die faschistische deutsche Wehrmacht. Der deutsche Sieg dort im Jahr 1943 sei der letzte der Wehrmacht gegen die sowjetische Rote Armee gewesen. Die Stadt gelte als verwundbar für einen erneuten russischen Angriff, nachdem sich die russischen Truppen 2022 von dort zurückgezogen hatten.
Biden habe seine Präsidentschaft darauf gesetzt, der angeblichen russischen Bedrohung für die NATO zu begegnen, zitiert Hersh den Beamten weiter. Der US-Präsident werde seinen Kurs «jetzt unter keinen Umständen ändern, und das Ende ist unvermeidlich».
«Es gibt keinen Weg zum Sieg für die Ukraine, und am Ende wird Putin in Russland eine historische Ikone sein, weil er ein nationales Juwel [Charkiw] vom Westen zurückerobert hat.»
Die US-Sanktionen könnten Moskau nicht am weiteren Vorgehen hindern. Die britische Zeitschrift The Economist habe das Ausmass des westlichen Scheiterns so beschrieben:
«Russlands Wirtschaft wurde umstrukturiert. Ölexporte umgehen die Sanktionen und werden in den globalen Süden verschifft. Westliche Marken von BMW bis H&M wurden durch chinesische und lokale Ersatzprodukte ersetzt... . . Der Dissens im eigenen Land wurde abgewürgt.»
Das Magazin habe davor gewarnt, Russlands Potenzial zu unterschätzen. Für Hersh gehört das zu den Folgen der US-Politik unter Biden. Die Weigerung, im Ukraine-Krieg einen Mittelweg zu suchen, und ihre Unfähigkeit, Israels fortgesetzte Angriffe im Gazastreifen zu stoppen, werden zu einer politischen Belastung in Bidens Wahlkampf gegen Donald Trump werden, so der US-Journalist.
«Das Beste, was Biden zu bieten hat», sei das fortgesetzte, inhaltsleere Gerede über einen Waffenstillstand in Gaza und die Zusage, dass keine US-Soldaten an die Front in der Ukraine geschickt werden.
«Der Präsident verspricht auch, dass die Vereinigten Staaten weiterhin dafür bezahlen werden, dass Ukrainer in einem Stellvertreterkrieg, der beendet werden könnte, kämpfen und sterben.»
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