«Die Überbehandlung mit Medikamenten kostet viele Menschen das Leben, und die Zahl der Todesfälle steigt. Es ist daher seltsam, dass wir es zugelassen haben, dass diese lang anhaltende Drogenpandemie weitergeht, und das umso mehr, als die meisten Drogentoten leicht vermeidbar sind.»
Das schreibt Peter C. Gøtzsche, Mitbegründer der medizinischen Forschungsorganisation Cochrane Collaboration und Professor für Design und Analyse klinischer Forschung an der Universität Kopenhagen, in seinem auf Brownstone.org veröffentlichten Beitrag «Prescription Drugs Are the Leading Cause of Death» (Verschreibungspflichtige Medikamente stellen die häufigste Todesursache dar).
Im Jahr 2013 habe er geschätzt, dass verschreibungspflichtige Medikamente die dritthäufigste Todesursache nach Herzkrankheiten und Krebs seien – und im Jahr 2015, dass Psychopharmaka allein ebenfalls die dritthäufigste Todesursache seien.
In den USA werde sogar häufig behauptet, dass Medikamente «nur» die vierthäufigste Todesursache darstellen würden. Diese Schätzung würde aus einer Metaanalyse von 39 US-Studien, erschienen im Jahr 1998, abgeleitet.
Dabei seien alle unerwünschten Arzneimittelwirkungen erfassten worden, die während des Krankenhausaufenthalts der Patienten aufgetreten oder die der Grund für die Krankenhauseinweisung gewesen seien. Doch mit dieser Methode würden die medikamentenbedingten Todesfälle «eindeutig unterschätzt», so der 74-jährige Gøtzsche. Und weiter:
«Die meisten Menschen, die an ihren Medikamenten sterben, sterben ausserhalb von Krankenhäusern – und die Zeit, die die Menschen in Krankenhäusern verbrachten, betrug in der Metaanalyse durchschnittlich nur 11 Tage.
Ausserdem wurden in die Metaanalyse nur Patienten einbezogen, die an ordnungsgemäss verordneten Medikamenten starben, nicht aber diejenigen, die aufgrund von Fehlern bei der Medikamentenverabreichung, Nichteinhaltung der Vorschriften, Überdosierung oder Medikamentenmissbrauch starben – und auch nicht Todesfälle, bei denen die unerwünschte Arzneimittelwirkung nur eine Möglichkeit darstellte.»
So würden viele Menschen infolge von Fehlern sterben, zum Beispiel durch die gleichzeitige Einnahme kontraindizierter Medikamente – also von Medikamenten, die eigentlich nicht eingesetzt werden dürfen –, und viele mögliche medikamentenbedingte Todesfälle seien real.
«Ausserdem», gibt Gøtzsche zu bedenken, «sind die meisten der einbezogenen Studien sehr alt. Im Schnitt lag die Veröffentlichung im Jahr 1973, und die Zahl der Medikamententoten hat in den vergangenen 50 Jahren drastisch zugenommen.»
So seien beispielsweise von der FDA im Jahr 2006 37’309 medikamentenbedingte Todesfälle gemeldet worden – 10 Jahre später seien es bereits 123’927, also 3,3 Mal so viele, gewesen – bei einem Anstieg der US-Bevölkerung von nur acht Prozent (von 298 auf 323 Millionen).
Zudem würde in den Krankenhausakten und den Berichten der Gerichtsmediziner Todesfällen, die im Zusammenhang stünden mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, oft eine natürliche oder unbekannte Ursache beigemessen.
«Dieser Irrglaube ist bei Todesfällen, bei denen Psychopharmaka die Ursache darstellen, besonders verbreitet», so Gøtzsche. «Selbst wenn junge Patienten mit Schizophrenie plötzlich sterben, wird dies als natürlicher Tod bezeichnet. Aber es ist nicht natürlich, jung zu sterben – und es ist bekannt, dass Neuroleptika tödliche Herzrhythmusstörungen verursachen können.» Und weiter:
«Viele Menschen sterben an den Medikamenten, die sie einnehmen, ohne dass der Verdacht aufkommt, dass der Tod durch die unerwünschte Medikamentenwirkung zustande gekommen ist. Depressiva führen vor allem bei älteren Menschen zum Tod, weil sie orthostatische Hypotonie, Sedierung, Verwirrung und Schwindel verursachen können.
Die Medikamente verdoppeln dosisabhängig das Risiko von Stürzen und Hüftfrakturen – und innerhalb eines Jahres nach einer Hüftfraktur ist etwa ein Fünftel der Patienten gestorben. Da ältere Menschen ohnehin häufig stürzen, ist es nicht möglich festzustellen, ob es sich bei diesen Todesfällen um medikamentenbedingte Todesfälle handelt.»
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Medikamente nicht als Todesursache erkannt oder benannt werden, seien nichtsteroidale Antirheumatika, kurz NSAIDs. «Sie haben Hunderttausende von Menschen getötet», so Gøtzsche, «vor allem durch Herzinfarkte und blutende Magengeschwüre. Doch es ist unwahrscheinlich, dass diese Todesfälle mit einer unerwünschten Arzneimittelwirkung in Verbindung gebracht werden, da solche Todesfälle auch bei Patienten auftreten, die diese Medikamente nicht einnehmen.»
Gøtzsche macht zudem auf den äusserst bedenklichen Umstand aufmerksam, dass der Medikamentenkonsum in den USA inzwischen so verbreitet sei, dass im Jahr 2019 Neugeborene voraussichtlich etwa die Hälfte ihres Lebens verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen werden.
Insgesamt dürften, so der Däne, in den Vereinigten Staaten jährlich 882’000 Menschen durch die Einnahme von Medikamenten ums Leben kommen – an die 300’000 mehr als offiziell durch Krebs das Zeitliche segnen. Gøtzsche:
«Wäre eine solche tödliche Pandemie durch einen Mikroorganismus verursacht worden, hätten wir alles getan, um sie unter Kontrolle zu bringen. Die Tragödie ist, dass wir unsere Medikamentenpandemie leicht in den Griff bekommen könnten. Aber wenn unsere Politiker handeln, machen sie die Sache meist noch schlimmer. Sie wurden von der Pharmaindustrie so stark beeinflusst, dass die Medikamentengesetzgebung heute viel freizügiger ist als in der Vergangenheit.»
Mit Verweis auf eine 2006er Studie betont Gøtzsche, dass die meisten arzneimittelbedingten Todesfälle vermeidbar seien – «insbesondere, weil die meisten Patienten, die starben, das Medikament, das sie tötete, nicht brauchten».
So hätten placebokontrollierte Studien unmissverständlich aufgezeigt, dass die Wirkung von Neuroleptika und Medikamenten, die bei Depressionen verabreicht würden, deutlich unter der geringsten klinisch relevanten Wirkung liegen würden – auch im Falle von sehr schweren Depressionen.
Und trotz ihres Namens hätten nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs) keine entzündungshemmende Wirkung. Dennoch würde den meisten Schmerzpatienten empfohlen, ein rezeptfreies NSAID einzunehmen. «Dies erhöht nicht die Wirkung, sondern nur das Sterberisiko», ist Gøtzsche überzeugt.
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