In diesen kriegerischen Zeiten ist es wichtiger denn je, die wahren Gründe vergangener Kriege zu verstehen, damit man heute weiteren Eskalationen entgegenwirken kann. Um die Erinnerung an den NATO-Angriffskrieg auf Serbien vor genau einem Vierteljahrhundert wachzuhalten, werden wir in dieser Serie elf Wochen lang einmal wöchentlich dessen Hintergründe beleuchten. Genauso lange wurden die Serben bombardiert. Nachfolgend wird die Serie mit Teil 7 fortgesetzt (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6).
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Kosovo-Albaner vertreiben Serben, NATO vertreibt Kosovo-Albaner
Wie im restlichen ehemaligen Jugoslawien, zeigt sich in Kosovo ebenfalls ein anderes Bild, als das offiziell verbreitete. So veröffentlichte die New York Times schon 1987 einen Bericht von David Binder, in dem es hieß:
«Ethnische Albaner in der [Provinz-]Regierung haben öffentliche Gelder und Vorschriften manipuliert, um sich Land anzueignen, das Serben gehört. (...) Slawisch-orthodoxe Kirchen wurden angegriffen und Fahnen heruntergerissen. Brunnen wurden vergiftet und Ernten verbrannt. Slawische Jungen wurden erstochen, und einige junge ethnische Albaner wurden von ihren Ältesten aufgefordert, serbische Mädchen zu vergewaltigen. (...) Während die Slawen vor der anhaltenden Gewalt fliehen, wird der Kosovo zu dem, was ethnische albanische Nationalisten seit Jahren fordern: eine ‹ethnisch reine› albanische Region.»
In seinem Buch «To Kill a Nation – The Attack on Yugoslavia» erklärt der US-Historiker Michael Parenti, Jugoslawiens Staatschef Josip Broz Tito habe wenig getan, um die albanische Kampagne zur ethnischen Säuberung des Kosovo von Nicht-Albanern zu stoppen. Zwischen 1945 und 1998 sei dieser Teil der Bevölkerung des Kosovo, bestehend aus Serben, Roma, Türken, Gorani (muslimische Slaven), Montenegrinern und mehreren anderen ethnischen Gruppen, von etwa 60 Prozent auf etwa 15 Prozent geschrumpft.
Gleichzeitig sei der Anteil der Albaner von 40 auf 85 Prozent gestiegen. Das sei auf die hohe Geburtenrate und noch viel mehr auf den starken Zustrom von Einwanderern aus Albanien und die anhaltende Vertreibung der Serben zurückzuführen gewesen:
«Insgesamt wurden die Serben bei den ersten ethnischen Säuberungen im Kosovo während und nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer und nicht als Täter betrachtet. Die dramatische Verschiebung des Bevölkerungsgleichgewichts bestärkte den albanischen Anspruch auf das alleinige Eigentum an der Provinz.»
Parenti zitiert den serbisch-amerikanischen Publizisten, Politiker und Historiker Srđa Trifković, laut dem Kosovo-albanische Separatisten die Serben verfolgten. Sie hätten ihre Kirchen zerstört, ihr Eigentum gestohlen oder zerstört, sie unter Druck gesetzt, um sie zum Verkauf ihres Besitzes zu zwingen, und weitere Maßnahmen durchgeführt, um sie zum Verlassen des Kosovo zu zwingen.
Hannes Hofbauer stellt in seinem Buch «Balkankrieg – Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens» ebenfalls eine massive Vertreibung von Nicht-Albanern aus dem Kosovo fest.
Bemerkenswert ist, dass US-Beamte noch 1998 die «Befreiungsarmee des Kosovo» UÇK als terroristische Organisation verurteilten. So wies der kanadische Ökonom Michel Chossudovsky darauf hin, dass der US-Sonderbeauftragte für Bosnien, Robert Gelbard, erklärt hatte:
«Wir verurteilen die terroristischen Aktionen im Kosovo aufs Schärfste. Die UÇK ist ohne jeden Zweifel eine terroristische Vereinigung.»
Gemäss Parenti richtete die UÇK ihre Terrorkampagne gegen eine Vielzahl serbischer Ziele im Kosovo, darunter Dutzende von Polizeistationen, Polizeifahrzeuge, ein lokales Hauptquartier der Sozialistischen Partei sowie serbische Dorfbewohner, Landwirte, Beamte und Geschäftsleute. Ziel sei es gewesen, Vergeltungsmaßnahmen zu provozieren, andere Kosovo-Albaner zu radikalisieren und den Konflikt zu verschärfen.
Die UÇK habe auch Albaner ins Visier genommen, die sich der gewalttätigen Sezessionsbewegung widersetzten, Mitglieder der Sozialistischen Partei Serbiens waren oder sich auf andere Weise zu Jugoslawien oder zur Republik Serbien bekannten:
«Die UÇK ermordete Albaner, die im öffentlichen Dienst Serbiens oder der Bundesrepublik Jugoslawien beschäftigt waren, darunter Polizeiinspektoren, Forstarbeiter, Postangestellte und Angestellte der öffentlichen Versorgungsbetriebe. In den Jahren 1996 bis 1998 waren mehr als die Hälfte der Opfer von UÇK-Terroranschlägen in Kosovo-Metohija ethnische albanische ‹Kollaborateure›. Viele Kosovo-Albaner nahmen ängstlich eine passive Haltung ein oder machten widerwillig mit.»
Ende der 1990er Jahre behaupteten westliche Politiker und Mainstream-Medien jedoch, die Serben würden Kosovo-Albaner vertreiben. In Wahrheit ging es um die weitere Zersplitterung Jugoslawiens. Parenti:
«Nachdem vier der Republiken – Slowenien, Kroatien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina – auseinandergebrochen waren, blieben von der verkleinerten, wiederhergestellten Bundesrepublik Jugoslawien nur noch Serbien und Montenegro übrig. In Serbien selbst gab es die beiden autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina. Das Kosovo war das nächste Ziel.»
Laut Parenti war die Behauptung des Weißen Hauses, die NATO habe im Kosovo erst dann zu Gewalt gegriffen, als die Diplomatie versagt habe, «eine grobe Unwahrheit, ähnlich wie die Behauptungen, mit denen die Intervention in Kroatien und Bosnien gerechtfertigt wurde». Der NATO-Plan für eine militärische Intervention habe im Sommer 1998 bereits weitgehend festgestanden.
Ende 1998, als sich die militärische Lage der UÇK immer weiter verschlechtert habe, hätten die USA eine «humanitäre Krise» erklärt und Belgrad angewiesen, die Truppen der Bundesrepublik Jugoslawien aus dem Kosovo abzuziehen:
«Dann kam eine weitere gut getimte und ausgeklügelte Geschichte über serbische Gräueltaten, diesmal von William Walker, dem US-Diplomaten, der zuerst in El Salvador als Apologet für von den USA unterstützte Attentäter Berühmtheit erlangte. Walker führte eine Gruppe von Journalisten zu den Leichen von vierundvierzig Männern und einer Frau, die angeblich Ende Januar 1999 von der jugoslawischen Polizei in dem verlassenen Kosovo-Dorf Racak hingerichtet wurden.
Die Geschichte machte weltweit Schlagzeilen und diente als Rechtfertigung für die zwei Monate später begonnenen NATO-Bombardierungen. Ein Fernsehteam der Associated Press hatte jedoch den Kampf gefilmt, der am Vortag in Racak stattgefunden und bei dem die serbische Polizei eine Reihe von UÇK-Kämpfern getötet hatte. Die Polizei schien nichts zu verbergen zu haben, denn sie hatte die Presse eingeladen, den Angriff zu beobachten. Nach dem Gefecht wurden sie dabei beobachtet, wie sie die erbeuteten automatischen Waffen und das schwere Maschinengewehr abtransportierten. Am nächsten Morgen, als die Polizei verschwunden war, war die UÇK wieder im Dorf.»
Roland Keith, der als einer von 1.380 Beobachtern für eine Kosovo-Verifizierungsmission [KVM] der OSZE tätig war, schrieb im Mai 1999:
«Nach meiner Ankunft entwickelte sich der Krieg zunehmend zu einem Konflikt mittlerer Intensität, da Hinterhalte, das Eindringen in wichtige Verbindungswege und die Entführung von Sicherheitskräften durch die [UÇK] zu einem erheblichen Anstieg der Verluste der Regierung führten, was wiederum große jugoslawische Sicherheitsoperationen als Vergeltungsmassnahmen auslöste. (...) Anfang März führten diese Terror- und Anti-Terror Operationen dazu, dass die Bewohner zahlreicher Dörfer flohen oder entweder in anderen Dörfer, Städten oder in den Bergen Zuflucht suchten (...)
Die Situation war eindeutig so, dass Provokationen der UÇK, wie ich sie persönlich bei Überfällen auf Sicherheitspatrouillen erlebt habe, die tödliche und andere Opfer forderten, eindeutige Verstöße gegen das Abkommen vom vergangenen Oktober [Holbrooke-Milošević] waren. Die Sicherheitskräfte reagierten, und die darauf folgenden Schikanen und Gegenmaßnahmen führten zu einem verstärkten Aufstandskrieg, aber wie ich bereits an anderer Stelle erklärt habe, war ich weder Zeuge, noch hatte ich Kenntnis von irgendwelchen Vorfällen sogenannter ‹ethnischer Säuberungen›, und es gab sicherlich keine ‹völkermörderische Politik›, während ich bei der KVM im Kosovo war.»
Keith merkt an, dass erst nach dem 20. März, als die OSZE-Beobachter evakuiert wurden, etwa 600.000 Kosovo-Albaner aus der Provinz geflohen sind oder vertrieben wurden. Er führt die große humanitäre Katastrophe ebenfalls «direkt oder indirekt auf das NATO-Luftbombardement und die daraus resultierende Antiterrorkampagne» zurück.
Hofbauer erklärt, bei Kriegsbeginn habe bereits festgestanden:
«Die UÇK wurde zur Bodentruppe der NATO.»
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