Eine neue Dokumentation des Schweizer Fernsehen SRF befasst sich mit den Erfahrungen von Transgender-Personen. «Impact Investigativ» fokussiert auf die Geschichten von Meli, einer sogenannten «Detrans-Frau», die ihre «Transition» bereut hat und sie rückgängig macht, und Raphael, einem «Transmann», der mit seiner «Transition» bislang zufrieden ist. SRF geht auch auf die Kritik an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (KJPP) in Zürich ein und betont die Notwendigkeit einer gründlichen Abklärung und eines Dialogs mit den Eltern.
Wie wichtig das in der Tat ist, zeigt der Fall der 35-jährigen Meli. Elf Jahre ihres Lebens habe sie als André gelebt, teilt SRF mit. Erst seit eineinhalb Jahren sei sie wieder Frau. Bereits mit drei oder vier Jahren sei sie nicht gerne ein Mädchen gewesen. Meli erklärt:
«Ich merkte, dass mein Vater sich nicht für mich interessiert. Ich wollte einfach seine Anerkennung, seine Liebe. Das war mein Papa, ich war seine Tochter. Das bekam ich nicht. Und so fing ich unbewusst und unterbewusst an, alles, was weiblich ist, abzulehnen. Ich dachte, es sei das Richtige. Es war mehr eine Hoffnung und nicht ein tiefes Wissen: Das ist richtig.»
Im Zuge ihrer «Transition» liess sich Meli die Brüste wegoperieren. Heute ist sie der Meinung, dass nicht gut abgeklärt worden sei, ob sie wirklich «trans» sei. Niemand habe gefragt, ob sie vielleicht noch ganz andere Probleme habe.
Obwohl sie keine Brüste und noch immer männliche Körpermerkmale hat, fühlt sich Meli heute als Frau wohl. Sie bereut es, den Schritt zur «Transition» gemacht zu haben:
«Warum? Weil es mir nicht das gebracht hat, was ich mir erhofft hatte. Ich dachte, wenn ich zum Mann transitioniere, könne ich frei sein, dann gehe es mir gut, die Leute werden mich mögen. Der Hauptgrund war: Dann komme ich bei den Leuten an, dann werde ich gesehen. Das passierte zum Teil zwar schon - man hörte plötzlich, wenn ich etwas sagte, auch weil die Stimme tiefer und voluminöser war. Aber mehr Anerkennung oder Liebe, das was ich gesucht hatte, erfuhr ich dadurch nicht wirklich. (...) Für mich ist es mehr. (..) Wenn ich ein Kind bekäme, könnte ich es nicht stillen. Das hat mir ziemlich wehgetan, als mir das bewusst wurde.»
Raphael, der eigentlich anders heisst, bereut seine «Transition» zum Mann bislang nicht. Allerdings konnte er noch gar nicht erfahren, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein, denn der Jugendliche ist erst 16 Jahre alt. Dennoch ist Raphael überzeugt, nie mehr als Frau leben zu wollen.
Seit fünf Monaten nehme Raphael das männliche Geschlechtshormon Testosteron, so SRF. In wenigen Monaten wolle er sich auch seine Brüste wegoperieren lassen.
In den letzten fünf Jahren haben operative «Geschlechtsumwandlungen» (laut SRF «geschlechtsangleichende Operationen, also dass man den Körper dem gefühlten Geschlecht anpasst»,) in der Schweiz stark zugenommen. 525 Operationen habe es im Jahr 2022 gegeben, informiert der Sender. 45 Prozent der Eingriffe seien in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen durchgeführt worden. In dieser Altersgruppe würden die meisten von Frau zu Mann «angleichen». Die Brustentfernung (Mastektomie), die nun bei Raphael ansteht, sei der häufigste Eingriff. 142-mal sei diese OP durchgeführt worden, 24 Betroffene seien letztes Jahr unter 18 Jahre gewesen.
Das Fernsehteam begleitet Raphael zu seinem Arzt, dem Gynäkologen Niklaus Flütsch, selbst ebenfalls ein Transmann. Er sagt, er habe schon über 1000 Transpersonen begleitet. Er verschreibe Raphael Testosteron, stellt SRF fest. Die Genderdysphorie-Diagnose stelle er als Gynäkologe allerdings nicht.
Zur Frage, ob Raphael mit seinen 16 Jahren nicht zu jung sei, meint Flütsch, das habe nichts mit dem Alter zu tun. Die Volljährigkeit erreiche man zwar mit 18, aber urteilsfähig sei man bereits ab 13 oder 14. Der Gynäkologe vergleicht es mit einem Schwangerschaftsabbruch, den Minderjährige ebenfalls ohne die Zustimmung der Eltern durchführen lassen können. Eine Sicherheit, die «Transition» nicht zu bereuen, gebe es jedoch nicht, macht Flütsch klar.
Der Arzt zeigt sich dennoch überrascht, wenn nach einer einzigen Sitzung beim Psychologen am nächsten Tag die Hormontherapie beginnt und «nach drei Monaten kommt bereits die Mastektomie». «Bei diesen Geschichten muss ich sagen, hier ist etwas nicht richtig gelaufen», beanstandet er.
Neben Raphael und Meli hat SRF auch mit anderen Personen gesprochen, insgesamt etwa 20. Darunter sind Jugendliche, die sich als Minderjährige zuerst als «trans» bezeichneten, nach ein paar Jahren ihr Geschlecht aber doch nicht ändern wollten. Ihre Aussagen zeigen dem Sender zufolge, wie wichtig eine sorgfältige Abklärung ist.
Das Team ist auch kritischen Eltern begegnet. Deren Vorwürfe würden sich auch direkt an die KJPP in Zürich richten oder an Institutionen, die teils mit der KJPP zusammenarbeiten. Gemäss den Eltern wird die Diagnose «Geschlechtsdysphorie» zu schnell gestellt, ohne die Jugendlichen genau zu beurteilen und zu ermitteln, ob beispielsweise eine Depression vorhanden sei. Fachpersonen würden Druck machen, zum Beispiel mit der Suizidgefahr von Transjugendlichen. In einem Brief fordern die Eltern eine externe Untersuchung.
Die Chefärztin der KJP, Dagmar Pauli, bestreitet die Vorwürfe der Eltern und verteidigt das Vorgehen der Klinik. Noch nie hätten Transpersonen an der KJPP eine «Transition» bereut. Gemäss SRF ist es umstritten, wie viele Personen die «Transition» rückgängig machen oder bereuen. Laut unterschiedlichen internationalen Studien seien es von weniger als einem Prozent, die es bereuten, bis zu mehr als 13 Prozent, die die «Transition» rückgängig machten.
Pauli betont die Wichtigkeit von individuellen Beurteilungen und die Einbeziehung der Eltern in den Prozess. Dass dies jedoch in der Praxis nicht immer umgesetzt wird, erzählt auch ein betroffener Jugendlicher selbst. «Cédric» und seine Mutter wollen dabei anonym bleiben.
Cédric habe vor drei Jahren, mit 15 Jahren, ein Mädchen werden wollen, unter anderem weil diese im Sport anders benotet wurden als die Jungs. Das fand er unfair, wie auch die viel grössere Kleiderauswahl, die Mädchen haben. «Ich dachte, als Mädchen wäre das Leben einfacher», erinnert er sich. Berichte von Transmenschen in den sozialen Medien, insbesondere auf TikTok, hätten seinen Entscheid beeinflusst, sein Geschlecht zu ändern. Der 18-Jährige kritisiert heute den Ablauf der ersten Abklärungen in der Sprechstunde des KJPP:
«Ich war nervös, wusste nicht richtig, wie das geht. Im ersten Gespräch waren bereits Pubertätsblocker ein Thema. Und auch, wie es mit weiblichen Hormonen weitergehen könnte. Man sagte, man müsse vorwärts machen, möglichst schnell Pubertätsblocker, um den Stimmbruch zu verhindern. Man riet mir, meine Spermien einzufrieren. Einerseits fand ich es toll, es wird einem dabei ein Weg aufgezeigt. Andererseits war ich überwältigt. Ich hatte nicht erwartet, dass es so schnell geht. Rückblickend würde ich sagen, zu schnell. (...) Bei der Diagnosestellung wurde bereits gefragt, warum ich zum Schluss komme, trans zu sein. Es wurde dann aber akzeptiert, als ich sagte, ich wisse es nicht.»
Die Mutter bestätigt, dass die Diagnose «Genderdysphorie» bereits in der ersten Besprechung gestellt wurde. Für ihre Zweifel und Fragen habe es keinen Platz gehabt:
«Ich war schockiert. Nach fünf Minuten wurde mein Sohn gefragt, wie er als Mädchen heissen möchte. Nach zehn Minuten musste ich das Gespräch verlassen. Ich hörte danach eine Kurzversion des Besprochenen, mit Pubertätsblocker und Spermien einfrieren. Das musste ich erst verdauen. Ich fand es sehr komisch, dass die Eigendiagnose meines Sohnes als einzig richtige gesehen wurde und überhaupt nicht weiter nachgefragt wurde. Ich fühlte mich allein gelassen mit meinen Fragen.»
Nach zwei Monaten stimmte die Mutter widerwillig Pubertätsblockern zu, da sie Angst hatte, ganz ausgeschlossen zu werden.
«Cédric fällt in eine Depression, bricht die Therapie nach eineinhalb Jahren ab, weil seine Knochendichte gefährlich abnimmt», erklärt SRF.
Der Jugendliche resümiert:
«Ich merkte, dass ich immer kranker wurde. Aufzuhören war eine Erleichterung. Das Transthema ist heute nicht mehr das Hauptthema in meinem Leben. Wenn ich den Schnellzug genommen hätte, wäre das anders, dann wäre ich ein ganz anderer Mensch.»
Laut der Chefärztin der Klinik, Dagmar Pauli, wird die Diagnose hingegen nie vorschnell gestellt:
«Nein, wir machen das nicht nach einer Sitzung. Es kann höchstens sein, dass man sich nach einer Sitzung schon mal informiert, damit man über die Möglichkeiten Bescheid weiss. Aber es braucht immer noch mehr Abklärungen, um die eigentliche Behandlungsindikation zu stellen. Wir machen nie irgendwelche medizinischen Behandlungen ohne Einverständnis der Sorgeberechtigten. Die Eltern sind in den Fällen, wo wir tatsächlich Pubertätsblocker durchführen, immer einverstanden. Sie haben das gewünscht, und die Jugendlichen sowieso.»
Es täte Pauli «wahnsinnig leid», wenn die Eltern später sagen würden, sie hätten der Behandlung unter Druck zugestimmt.
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