Freie Gesundheit, freie Bildung, freie Medien und Einstieg in die Selbstversorgung – darum geht es bei dem Online-Kongress «Gemeinsam-Frei-Vernetzt». Die Kongressteilnehmer stellen Lösungen vor, die dem Allgemeinwohl und dem Wiederaufbau von Lebensräumen dienen. Neben zahlreichen Interviews, Filmpremieren und Live-Streams gibt es die Möglichkeit, eine Gemeinschaft zu finden und sich miteinander zu vernetzen. Am Kongress teilnehmen kann man jederzeit bis zum 27. März; anschliessend stehen die Inhalte zeitlich unbegrenzt zur Verfügung.
Zu den Referenten gehört auch Kristin Lehmann. Sie ist Mitglied im Bundesverband Natürlich Lernen e.V.. Ausserdem engagiert sie sich in der Freilerner-Solidargemeinschaft e. V. In beiden Vereinen berät sie Familien, die den Weg der selbstbestimmten Bildung für ihre Kinder suchen oder bereits gehen. Im Gespräch mit Judith Haferland erklärt Kristin Lehmann die Mängel des heutigen Schulwesens und zeigt Alternativen auf.
Rechtliche Grundlage
Lehmann erinnert daran, dass das Recht auf freie Forschung und Bildung im Grundgesetz verankert ist; Artikel 5, Absatz 3. In der Praxis sehe es jedoch anders aus. Eltern müssten sich zunächst die Frage stellen, welche Grenzen es gibt und wie sie trotzdem den Weg der freien Bildung gehen können.
Die Schulpflicht sei älter als das Grundgesetz, sagt Lehmann. 1938 wurde sie als Schulzwang im Reichsschulpflichtgesetz verankert. Daraus resultierte später die Anwesenheits- und die Präsenzpflicht, sprich: der Unterricht ist demnach an ein Schulgebäude gebunden. Das bedeute auch, dass die Kinder von der Polizei zur Schule gebracht werden oder die Eltern durch Geldbussen so lange unter Druck gesetzt werden können, bis sie ihre Kinder in die Schule schicken.
Nach dem Zweiten Weltkrieg habe dann einen Denkfehler stattgefunden. In der jungen Demokratie habe man wahrscheinlich gedacht, so Lehmann, dass alle Menschen entnazifiziert werden und alle Kinder sofort lernen müssten, wie Demokratie funktioniert.
Kritik an der Regelschule
Lehmann meint, Kinder sollten ernst genommen werden, wenn sie sich weigern, zur Schule zu gehen, weil sie gemobbt wurden oder sich nicht gut konzentrieren können, weil es zum Beispiel zu laut ist. Hochsensible Kinder, Autisten und solche mit Asperger-Syndrom seien häufig überreizt. Viele Eltern denken, es gebe hierfür keine Lösung, sagt Lehmann - statt die Schulleitung zu fragen, wie inklusiv die Schule ist und ob es für solche Kinder einen Raum des Rückzugs gibt. 2009 trat in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Seitdem ist die Inklusion gesetzlich vorgeschrieben. Für Lehmann bedeutet Inklusion, dass die Schulen auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder eingehen.
«Jeder hat das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung, also auf Freiheit. Es könnte auch in Schulen funktionieren, aber diese müssten anders gestaltet werden»
In den Schulen hätten die Kinder kein Mitbestimmungsrecht. Indirekt könnten sie zwar über den Klassen- oder Schulsprecher mitentscheiden. Diese könnten aber in der Regel nicht viel bewegen. Noch zu wenige Eltern fordern eine Änderung des Schulsystems, meint Lehmann. Ihrer Meinung nach müssten sich mehr Eltern darüber echauffieren, dass mit ihren Steuergeldern eine Art Diktatur geschaffen werde. Sie fordert tiefgreifende Veränderungen im Schulsystem.
«Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass der Staat die Schulpflicht anordnet, weil er dazu verpflichtet ist, die Schulen zur Verfügung zu stellen», so Lehman. Das beinhalte auch die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Eltern der ihren nachkämen. Falls sich ein Kind etwa aufgrund von Mobbing weigert, weiterhin zur Schule zu gehen, könnte der Schuldirektor laut Lehmann die Eltern zunächst anschreiben und sie daran erinnern, dass ihr Kind ein Recht auf Bildung hat. Ausserdem könnte er sie dazu auffordern, darauf zu achten, dass ihr Kind das Wesentliche lernt. Erst wenn offensichtlich ist, dass die Kinder zu Hause keine Bildung erhalten, sollte das Jugendamt informiert werden. Lehmann hält nichts von Bussgeldern oder Zwangsmassnahmen, die dazu dienen, die Kinder in die Schule zu zwingen.
Der heutige Unterricht sei nicht mehr zeitgemäss, sagt Lehmann. Hirnforscher meinten ebenfalls, dass die Art und Weise des Unterrichts starke Mängel aufweise. Auch Unternehmen klagten darüber, dass junge Schüler erst einmal Nachhilfe in Deutsch und Mathe erhalten müssen und oft nicht praktisch veranlagt seien. Die Lerninhalte hätten heute nichts mehr mit dem Leben zu tun; die Schule entspreche einer Parallelgesellschaft. Sie böte keinerlei Vorbereitung auf die Welt der Erwachsenen, kritisiert Lehmann.
In der Kinderrechtskonvention gehe es um Grundbildung und darum, dass alle jungen Menschen die Möglichkeit haben sollen, eine solche zu erlangen. Hierfür bietet der Staat einige Grundlagen wie Bibliotheken zu nutzen und den dortigen Internetzugang. Statt Milliarden in die Rüstung zu stecken, fände es Lehmann weitaus wichtiger, dieses Geld für die Digitalisierung, die Schaffung von Spielplätzen und die Weiterbildung von Lehrern auszugeben.
Was bedeutet Bildung?
Lehmann beschreibt den Begriff der Bildung mit einem Tisch. Die Eltern decken den Bildungstisch und geben den Kindern die Möglichkeit, sich an der Inhalte zu bedienen, an die sie leicht herankämen. Dabei sind die Eltern in der Nähe und reichen den Kindern jene Inhalte, die für sie nicht in greifbarer Nähe sind. Eltern sollten Lehmann zufolge zeigen, dass alles möglich und machbar ist.
«Verantwortungsbewusste Erwachsene sollten ein anderes Mindset zeigen und sich dessen bewusst werden, dass sie dafür verantwortlich sind, dass es ihren Kindern gut geht »
Homeschooling als Alternative
Für die Website Homeschooling Wagen von Svenja Herget, wirbt Lehmann gern. Herget zeigt auf, dass es nicht schwer ist, sich auch zu Hause auf Schulabschlüsse vorzubereiten. Informationen über ausserschulische Bildungsangebote sind auch auf der Website Kern-Bildung zu finden. Der Vorteil des Homeschooling besteht für Lehmann darin, dass die Kinder zu Hause in einem gesicherten Rahmen lernen. Dort entwickeln sie sich selbstständiger und lernen in frühem Alter bereits praktische Dinge wie kochen und backen. Kinder werden laut Lehmann zu Hause eher dazu animiert, frei zu recherchieren und Sprachen zu lernen.
Herausforderungen an die Eltern
Auf die Frage, was Eltern denn beim Homeschooling tun müssen, antwortet Lehmann, der Mensch hole sich das aus seinem sozialen Umfeld das heraus, was er braucht. Die Kinder werden durch das Zuhause, Verwandte und Freilernergruppen geprägt. Lehman gibt zu bedenken, dass beim Homeschooling entweder der Vater oder die Mutter zu Hause sein muss, um die Kinder zu begleiten.
Freilerner beim Berufseinstieg
Arbeitgeber seien von Freilernen oft positiv beeindruckt, weil sie sich nicht auf ihr Zeugnis berufen können, sondern vielmehr soziale Komeptenzen aufgezeigt bekommen. Oft seien die Arbeitgeber überrascht, da Freilerner selbstbewusst und wissbegierig sind. Ausserdem sprechen sie mit ihnen auf Augenhöhe statt nur unterwürfig zu kuschen. «Manch einem Chef mag es dreist vorkommen, dass da jemand ohne Zeugnis ankommt», sagt Lehmann.
Bei Jugendlichen auf Jobsuche lauteten die ersten Sätze häufig in etwa so: «Guten Tag. Das Jobcenter hat mich geschickt. Ich soll mich bei Ihnen bewerben. Wenn Sie mich nicht nehmen wollen, müssen Sie hier unterschreiben. » Ein Freilerner würde sich ungefähr so vorstellen: «Ich gehe jeden Tag an Ihrer Werkstatt vorbei. Es riecht immer so schön nach Holz. Ich habe mich daran erinnert, dass ich mit meinem Opa einmal einen Kaninchenstall gebaut habe. Da war ich zehn. Damals habe ich mich dazu entschlossen, später einmal Tischler zu werden. Nun habe ich mich daran erinnert. Kann ich bei Ihnen ein Praktikum machen? Ich muss erst mal schauen, ob ich das gut kann. Später möchte ich vielleicht eine Lehre machen.»
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Kristin Lehmann ist Teilnehmerin des Kongresses «Gemeinsam-Frei-Vernetzt». Teilnahme am Kongress ist bis zum 27. März jederzeit möglich; anschliessend stehen die Inhalte zeitlich unbegrenzt zur Verfügung.
Hier bietet Corona-Transition eine Übersicht über die Kongressthemen und ausgesuchte Highlights.
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