Der Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam trieb die Menschen im Land auf die Strasse. Auch im Ausland gab es Demonstrationen – in Berlin letzten Samstag mit angeblich gar 80’000 Teilnehmern. Für diese Menschen ist klar, dass die Sicherheitskräfte am Tod von Amini schuld sind; sie betrachten ihn als Ausdruck einer frauenfeindlichen Regierung.
Kritik an der Regierung und den Bekeidungsvorschriften für Frauen ist berechtigt. Amini wurde schliesslich wegen inkorrektem Tragen ihres Kopftuchs verhaftet. Doch die grosse Aufmerksamkeit der Proteste in westlichen Mainstream-Medien sowie die Anzahl der Teilnehmer – insbesondere im Ausland – lässt den Verdacht aufkommen, dass die Fäden nicht im Iran gezogen werden. Es könnte sich um einen weiteren Versuch einer «farbigen Revolution» gegen ein Land handeln, das dem Diktat der USA feindlich gesonnen ist.
Diese These vertritt Fatemeh Saberi in einem Beitrag in der Tehran Times, von dem l’AntiDiplomatico einen ins Italienische übersetzten Auszug veröffentlicht hat. Er hält das weitverbreitete Narrativ über Mahsa Amini und die iranische Gesellschaft für «repetitiv, falsch, irreführend und emotional». Dieses Narrativ hätte in einer Woche 93 Millionen Einträge bei Google generiert, und der Hashtag «Mahsa Amini» sei auf Twitter viral gegangen.
Mit dem Zustrom irreführender Erzählungen zahlreicher in- und ausländischer Medien seien die «Gefühle» der iranischen Gesellschaft entzündet und die Menschen dazu gebracht worden, auf die Strasse zu gehen. Offiziellen gerichtsmedizinischen Untersuchungen zufolge sei der Tod von Mahsa Amini jedoch nicht durch einen Schlag auf den Kopf verursacht worden.
Saberi merkt an, dass Mahsa im Alter von acht Jahren leider an einer Hormonstörung und einem Hirntumor litt, der operiert werden musste. Da in den ersten Momenten keine wirksamen Wiederbelebungsmassnahmen durchgeführt worden seien, habe sie den Hirntod und anschliessend einen Herzstillstand erlitten.
Der Journalist stellt sich deshalb die Frage, warum es zu sensationellen Reaktionen und Protesten innerhalb und ausserhalb des Iran kam, obwohl die Voruntersuchung noch nicht durchgeführt worden war und noch nichts feststand. Er weist darauf hin, dass US-Präsident Joe Biden wie auch sein nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan ihre Unterstützung für die Demonstranten bekundet haben. Sullivan erklärte: «Wir stehen weiterhin an ihrer Seite, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten». Darüber hinaus habe eine Zwei-Kammer-Gruppe von Kongressabgeordneten eine Resolution zur Unterstützung der Demonstranten im Iran verabschiedet. – Saberi kommentiert:
«Diese Unterstützungsbekundungen sind Beispiele für die Doppelmoral und Heuchelei des Westens. Die Untersuchung der verschiedenen Dimensionen dieses Vorfalls sowie die wahre Geschichte des herzzerreissenden Todes des jungen Mädchens zeigen, dass Aminis Vorfall und die damit verbundenen Ereignisse nicht normal waren.»
Eine Computertomographie des Gehirns und der Lunge von Mahsa Amini, eine Autopsie sowie pathologische Tests haben Saberi zufolge ergeben, dass ihr Tod nicht auf ein Schädeltrauma oder einen Schlag auf lebenswichtige Organe zurückzuführen ist. Im Bericht der Organisation für Gerichtsmedizin stehe, dass Amini im Alter von acht Jahren am Schädel operiert wurde, was zu Störungen im Hypothalamus und in der Hypophyse führte, und dass das junge Mädchen Hydrocortison, Levothyroxin und Desmopressin als Medikamente einnahm.
Zum Tod von Mahsa Amini sagt Ehsan Sekhavati Moghadam, Fakultätsmitglied der Universität für Medizinische Wissenschaften in Teheran:
«Die Untersuchung des Falles, die unter der Aufsicht von Dr. (Hossein) Qenaati durchgeführt und aus der Sicht der Gerichtsmedizin untersucht wurde, zeigt, dass sie in keiner Weise ein Trauma (einen schweren Schlag) erlitten hat, und dass die wahrscheinlichste Todesursache nach dem Video und der Meinung von Gerichtsmedizinern und Fallstudien eine Herzsynkope war.»
Der Kardiologe erläutert: Wenn jemand einen plötzlichen Blutdruckabfall oder über 2-5 Minuten einen Herzstillstand erleidet und in dieser kurzen Zeit nicht wiederbelebt wird, keinen Schock, keine Herzmassage und auch keine Medikamente erhält, so erleidet diese Person in der Regel schwere Gehirnschäden.
Zur öffentlichen Reaktion macht Saberi darauf aufmerksam, dass laut einer Umfrage von Cyberspace-Experten bis zum 9. Oktober 62 Millionen Tweets veröffentlicht wurden. An denen hatten sich 400’000 Nutzer beteiligt. Eine genauere Analyse habe ergeben, dass 76 Prozent der Nutzer einschliesslich allgemeiner Nutzer und Nicht-Bots nur 4 Prozent der Tweets-Inhalte produziert hätten; der Rest der Nutzer 76 Prozent der Tweetsinhalte. – Saberi weiter:
«Diese Statistiken zeigen, dass dieses seltsame Volumen durch Roboter und Quasi-Roboter, soziale Netzwerke und Streaming gebildet wurde. (…) Das bedeutet, dass nicht die ‹Realität› wichtig ist, sondern die ‹Gefühle›. Dies ist vielleicht die wichtigste Aussage bei der Analyse von Mahsas Geschichte. Nach Ansicht von Experten verschwinden in der heutigen neuen mediengesteuerten Welt – auch Postwahrheit genannt – der ‹Bezug zur Wissenschaft›, der ‹wissenschaftliche Beweis› und die traditionellen Medien, über die bislang Botschaften vermittelt wurden.
Das ist die ‹Super-Realität›, die ‹erweiterte Realität› oder die ‹Fantasie-Realität›, die mit Hilfe der digitalen Technologie die ‹Post-Wahrheits-Welt› bilden. Das bedeutet, dass es in dieser Welt ‹alternative Fakten› gibt, die echte Fakten ersetzen, und dass ‹Gefühle› eine höhere ‹Beweiskraft› haben. Auch im Fall von Mahsa Amini haben wir erlebt, dass einige Menschen protestiert haben, ohne zu wissen, dass eine Untersuchung stattfindet, oder ohne infrage zu stellen, dass die Umstände ihres Todes bereits abgeklärt worden sind.»
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