«Aufbau von Vertrauen in die digitale Identität», war der Titel, unter dem am letzten Freitag in London die «IdentityTrust-Konferenz 2023» stattfand. Der Veranstalter, Open Identity Exchange (OIX), wollte nach eigener Aussage die «Akzeptoren» von digitalen Ausweisen mit denjenigen zusammenbringen, die digitale ID-«Ökosysteme» auf der ganzen Welt erstellen und anbieten.
Unter dem Stichwort «intelligente Geldbörsen» sollten die Teilnehmer erfahren, wie sie zusammen mit ihren Kunden von der Nutzung der digitalen ID profitieren könnten, lautete die OIX-Ankündigung. Man wollte untersuchen, wie sich die digitale Identität in «wichtigen Anwendungsfällen» wie Altersüberprüfung, Zugang zu Finanzmitteln, Kauf und Verkauf von Immobilien, Reisen oder Überprüfung von Arbeitsplätzen durchsetze.
Digitale Geldbörsen stellten die nächste Stufe in der öffentlichen Akzeptanz von digitalen IDs dar, fasst Biometric Update, selbst Medienpartner der Veranstaltung, in einer Bekanntmachung zusammen. Man erwähnt, das US-Ministerium für Heimatschutz suche nach Partnern aus dem Privatsektor, die ihm bei der Digitalisierung von Reiseausweisen helfen könnten. Auf der Konferenz werde dargelegt, wie und warum der private Sektor bei digitalen Geldbörsen die Führung übernehmen sollte.
Wer die Regeln macht ...
OIX definiert sich als eine Gemeinschaft für alle, die im ID-Sektor tätig sind, um sich zu vernetzen und Leitlinien, Regeln und Werkzeuge für «vertrauenswürdige Identitäten» zu entwickeln. Die Gründung dieser Gesellschaft im Jahr 2010 geht auf eine Initiative der US-Regierung und eine öffentlich-private Partnerschaft mit der Open ID Foundation (OIDF) und der Information Card Foundation (ICF) zurück. An dem Prozess beteiligt und teilweise Gründungsmitglieder waren zum Beispiel Google, Microsoft, PayPal und Equifax, was nicht überraschend ist.
Heute zählen zu den Mitgliedern von OIX auch Visa, Barclays, die International Airlines Group (zu der unter anderem British Airways und Iberia gehören) und der Rüstungskonzern Thales. Letzterer hat einen Geschäftsbereich «digitale Identität und Sicherheit», was sein Interesse an der Gestaltung von Regeln für den Sektor erklärt.
Thales ist derweil kein unbeschriebenes Blatt auf diesem Gebiet. Im Zuge der Corona-Überwachungsmassnahmen erkannte man bereits vor zwei Jahren den strategischen Zweck digitaler Impfpässe und bezeichnete sie als Wegbereiter für mobile digitale Identitätsnachweise. In Spanien ist der Konzern mit seinem KI-gestützten biometrischen Identifizierungssystem im Geschäft (wir berichteten hier und hier.)
Ideologie und Marketing
Das Engagement des militärischen Überwachungsunternehmens für die Menschen- und Bürgerrechte durfte der Vizepräsident Sébastien Gueremy kürzlich beim OIX-Medienpartner Biometric Update feiern. Als Ankündigung des «International Identity Day» am 16. September getarnt, betonte der Thales-Manager das Bestreben des Konzerns, vertrauenswürdige Technologie bereitzustellen, um die Vision einer Identität für jeden Menschen auf dem Planeten zu unterstützen. So könne man «eine gerechtere Welt für alle schaffen».
Konkreter geht Thales auf den «Internationalen Tag der Identität» auf seiner eigenen Website ein. Dort greift man den offiziellen Zweck dieser UN-Kampagne auf und beschreibt den eigenen Einsatz für die «Grundprinzipien der Identität»: Inklusion, Schutz und Nützlichkeit. Auch der Hinweis darauf, wie man gedenke, mit seinen technischen Lösungen die Zukunft zu gestalten (Shaping the Future), fehlt nicht.
Unter dem Dach der UNO und der Agenda 2030 wird die ID-Day-Kampagne betrieben. Das UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) Nummer 16.9 dient als Begründung: Man wolle «bis 2030 dafür sorgen, dass alle Menschen eine rechtliche Identität haben». Zu beachten ist jedoch, dass dort weder von einer «digitalen» noch einer «biometrischen» Identität die Rede ist.
Die Aktion wurde 2018 auf dem Jahrestreffen von ID4Africa in Nigeria gestartet. Das gewählte Datum, der 16. September, verweist symbolisch auf das SDG 16.9. Dass der Ursprung wieder einmal in Afrika liegt, wundert nicht. Heikle Dinge werden gerne unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit verkauft und zuerst mit den Bedürftigen ausprobiert, die sich nicht wehren können.
Eine mächtige Lobby
Vieles, was Rang und Namen bei der Agenda-Ideologie hat, gehört zu den Partnern des ID-Day. Aber auch andere interessante Namen sind dabei. Um nur einige zu nennen: Weltbank, Visa, Mastercard, Microsoft, Omidyar Network, OIX, Thales sowie etliche weitere UN-Programme und Regierungsbehörden.
Der mächtigste Vertreter ist vermutlich die ID2020 Allianz. Sie wurde 2017 von der Rockefeller Foundation zusammen mit Microsoft, der US-Beratungsgesellschaft Accenture und der Impf-Allianz Gavi (ebenfalls ein Gates-Projekt) gegründet. ID2020 hat bereits vor Jahren die «Immunisation als Einstiegspunkt für digitale Identität» ausgemacht.
Egal ob EU, WHO oder G20: Digitale Identitäten sind beliebte Vorhaben und sie werden gerne als logisch und «alternativlos» dargestellt. Sicherheit, Komfort, Solidarität oder Nachhaltigkeit sind übliche Argumente. Der Bürger tut jedoch gut daran, skeptisch zu sein. Daher die Bemühungen der Betreiber, Vertrauen in die digitale Identität zu erzeugen.
Tatsächlich sind biometrische digitale IDs und die angeschlossenen Projekte nichts anderes als Werkzeuge für den «grossen Umbruch» – ohne unbequeme demokratische Meinungsbildungsprozesse hin zu globalisierten, digitalisierten und vollständig kontrollierten Gesellschaften. Dagegen müssen und können wir uns wehren.
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