«Es ist eine ewige Erfahrung, dass jeder, der Macht hat, ihrem Missbrauch geneigt ist: Er geht so weit, bis er auf Schranken stösst»
Baron de Montesquieu
Liebe Leserin, lieber Leser
Der Bundesrat hat die noch immer in Kraft stehende Covid-19-Verordnung nicht befristet. Doch gemäss dem Juristen Artur Terekhov hätte er dies längst tun müssen. Denn eine Notverordnung sei nach dem schweizerischen Verfassungs- und Gesetzesrecht unbedingt zu befristen. Die Covid-19-Verordnung bilde damit keine tragfähige Rechtsgrundlage, um Fehlbare in einem nachträglichen Strafverfahren zu sanktionieren.
Dies sei grundsätzlich rechtswidrig und dürfte einer Normenkontrolle nicht standhalten, kommt Terekhov in einem Artikel in der juristischen Fachzeitschrift Plädoyer zum Schluss. Da die Schweiz im Gegensatz zu anderen Staaten keine Verfassungsgerichtsbarkeit kennt, obliegt eine solche Normenkontrolle dem Bundesgericht.
Auch Andreas Kley, Professor für Staats- und Verfassungsrecht schreibt in einem NZZ-Artikel von Anfangs April: «Jegliches Abweichen vom geltenden Recht, sei es in Form einer Polizeigeneralklausel oder eines ungeschriebenen Notrechts, birgt die Gefahr des Machtmissbrauchs.»
Denn das vom Bundesrat gegen die Coronakrise angerufene Instrument sei die in Art. 185 der Bundesverfassung geregelte «Polizeigeneralklausel», die es der Regierung nur erlaube, «schweren Störungen der öffentlichen Ordnung» zu begegnen, mehr aber nicht.
Jegliches Abweichen vom geltenden Recht, auch eines von den Sternen heruntergeholten (also ungeschriebenen) Notrechts, berge die Gefahr des Machtmissbrauchs, sagt Kley. Denn andere für den Bundesrat «nützlich erscheinende» Massnahmen wie Maskenpflicht, Massentests oder Versammlungsverbote, dürften der Bundesrat oder Kantonsregierungen im Fall einer Notlage nicht treffen. Gegen demokratische Verfahren dürfe die Generalklausel grundsätzlich nicht angerufen werden, betont Kley.
Das Schweizer Parlament räumte der Exekutive am Vorabend des Zweiten Weltkriegs weitreichende Notstandrechte ein. Der Bundesrat durfte, so wie heute, ohne Zügelung durch das Parlament fortan eigenständig entscheiden. Schon damals also fand der Bundesrat im sogenannten «Vollmachtsregime» Freude am autoritären Regieren. Das Parlament machte Gebrauch von der Dringlichkeitsklausel und das Volk wurde als stärkste Kraft in der Demokratie, so wie heute wieder, weitgehend ausgebremst.
Das Notrecht blieb noch lange nach dem Kriegsende 1945 bestehen. Ohne zwei vom Volk im Jahr 1946 eingereichte Initiativen hätte dieses «Bundesratsregime» wohl noch länger angedauert. Beide Volksbegehren richteten sich direkt gegen die praktisch uneingeschränkte Machtfülle der sieben Bundesräte. Doch dieser schob die Initiative auf die lange Bank: «Dem Bundesrat pressiert es nicht mit der Rückkehr der direkten Demokratie», titelten Zeitungen damals – nicht so wie heute, leider.
1949, also erst vier Jahre später, sagten Volk und Stände endlich Ja zur ersten Initiative – Parlament und Regierung waren schockiert darüber. Aufgrund eines «indirekten Gegenvorschlags» wurde das Notrechtsregime schliesslich nach dreizehn langen Jahren (1939 bis 1952) aufgehoben.
Diesmal darf es nicht so lange dauern. Wenn der Machtmissbrauch so weit geht, bis er auf Schranken stösst, wie es der Jurist und Philosoph Montesquieu in Worte fasste, müssen diese Schranken durch das Volk errichtet werden.
Herzliche Grüsse
Stephan Seiler
PS: An diesem Wochenende werden in Lugano Schranken errichtet:
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