Die SBB behauptet, ihre Angestellten seien ermächtigt, medizinische Atteste auf Echtheit zu prüfen. Dies geht aus meiner Korrespondenz mit dem SBB-Kundendienst und dem Leiter Kundenbegleitung und Cleaning, Herr Reto Liechti, hervor. Es ist eine Behauptung, die jeglicher rechtlicher Grundlage entbehrt und deshalb willkürlich ist.
Auszug der Mail von Reto Liechti, 15. 11. 2020:
Um als solches akzeptiert zu werden, muss ein Attest zur Maskendispens folgende Punkte beinhalten:
Namen und Vornamen der / des Reisenden
Geburtsdatum der / des Reisenden
Hinweis, was das Schreiben attestiert (Maskendispens)
Unterschrift und Stempel der Ärztin, des Arztes, welcher die
Bescheinigung ausgestellt hatEnthält ein ärztliches Zeugnis ein oder mehrere dieser Angaben nicht, gilt dieses nicht als Nachweis und wird von unserer Kundenbegleitung nicht akzeptiert.
Es erschliesst sich mir nicht, weshalb SBB-Angestellte plötzlich die Kompetenz haben sollen, rechtlich und medizinisch fachkundig Atteste auf Gültigkeit überprüfen zu können! Was hier von der SBB mitgeteilt wird ist reine Willkür und zudem ein krasser Verstoss gegen Treu und Glauben (Bundesverfassung Art. 9).
Auch auf mehrere Nachfragen hin konnte mir von den SBB-Kontaktpersonen niemand die rechtlichen Grundlagen nennen, worauf obige Ausführungen beruhen.
Es stellt sich auch die Frage, wie die SBB ihre Angestellten intern schult.
Auch solche Schulungen haben gemäss der gültigen Rechtslage zu erfolgen.
Mit Sicherheit jedoch ist das Folgende weiterhin gültig.
Aus der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie:
Personen, die nachweisen können, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen können.
Aus den Erläuterungen zur obigen Verordnung:
Auf eine Pönalisierung von Verhaltensweisen von Privatpersonen, die sich nicht an die Regeln dieser Verordnung halten, wird angesichts der im Zentrum stehenden Eigenverantwortung und mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip verzichtet.
Dieser Punkt der Erläuterungen wird in einer früheren im Mail von Reto Liechti (24. 9. 2020) vorbehaltlos unterstützt:
Wie vereinbart sende ich Ihnen hier meine Empfehlung, wie Sie Sich verhalten sollen falls ein Kundenbegleiter der SBB sie zum Vorweisen eines «Maskenattests» auffordert. Verweisen sie die Mitarbeitenden freundlich auf die geltenden SBB-internen Anweisungen, dass Kundenbegleiter auf ein Vorweisen von Attesten verzichten und den Kunden in diesen Fällen vertrauen.
Was also hat sich seit dem 24.9.2020 (Mail von Reto Liechti) geändert?
Wer hat SBB-Angestellte ermächtigt, Atteste auf Echtheit zu prüfen?
Seit wann haben sie die rechtliche und medizinische Befugnis bzw. die entsprechende Ausbildung, solche Atteste zu prüfen?
Ich erhalte oft Anfragen, wie gegen renitente SBB-Zugbegleiter vorzugehen sei, wenn diese stur darauf beharren, Atteste einsehen zu dürfen, obwohl die Passagiere über die rechtliche Situation Bescheid wissen und dies nicht zulassen.
Ich habe deshalb die SBB per Mail darauf aufmerksam gemacht, dass Ihre Angestellten mit einer Strafanzeige wegen Nötigung und Amtsmissbrauch rechnen müssen.
Abgesehen davon existiert auch eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Hier wäre juristisch zu klären, inwiefern die SBB gegen diese Bestimmung (OR Art. 328) verstösst, wenn diese ihre Angestellten der Gefahr aussetzt, strafbare Handlungen vorzunehmen. Weiter hat ebenfalls geklärt zu werden, ob nicht sogar die Anstiftung zu einer Straftat durch Verantwortliche der SBB vorläge (StBG Art. 24).
Nochmals: Die SBB handelt willkürlich. Sollte sich ein SBB-Angestellter erdreisten, ein medizinisches Attest prüfen zu wollen, handelt es sich meines Erachtens – die SBB ist noch immer in staatlichem Besitz! – auch um Amtsmissbrauch.
Falls es zu Schwierigkeiten mit uneinsichtigem SBB-Personal kommen sollte: Eine Anzeige wegen Nötigung und Amtsmissbrauch ist selbstverständlich jederzeit möglich!