Die Masken-Affäre in Deutschland weitet sich zu einem systemischen Problem aus. Am 9. Juni fand im Bundestag auf Verlangen der Fraktion Die Linke eine Aktuelle Stunde zu dem Thema «Presseberichte über vermeintlich minderwertige Masken für benachteiligte Menschen und erneuter Maskenskandal um Gesundheitsminister Jens Spahn» statt, so RT.
Der Linken-Abgeordnete Jan Korte kritisierte die Fehlleistungen von Spahn (CDU). Korte bezog sich auf Medienberichte vom Spiegel und verwies auf den Vorwurf an Spahn, Obdachlosen und behinderten Menschen mangelhafte Masken anzubieten, sei an politischer und menschlicher Verkommenheit nicht zu überbieten.
«Beeindruckend, dass Sie noch im Amt sind.» Korte kritisiert Spahn im Bundestag. Quelle: YouTube, RT.
Der Spiegel schreibt von Millionen nutzloser Masken im Wert von über einer Milliarde Euro. Parteikollegin und Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich gemäss Tagesschau unlängst hinter Spahn. Die Kanzlerin scheine dabei dem «Erdreich völlig entrückt zu sein». Er habe keine Ahnung, was sie in diesen ganzen Affären tue, so Korte.
Mit Maskengeld bereichert
Zudem erinnerte Korte daran, dass sich Parteikollegen von Spahn mit Maskengeld bereichert haben (Corona-Transition berichtete). Noch sei unklar, inwiefern Spahn und das Gesundheitsministerium darin verwickelt seien. In diesem Zusammenhang steht das Gesundheitsministerium auch wegen fragwürdiger Maskenbestellungen am Pranger: Es ist bereits auf über 400 Millionen Euro von Lieferanten verklagt worden (Corona-Transition berichtete). Dazu kommen Abrechnungsmanipulationen in Testzentren. Die FDP fordert nun laut RT «wegen der langen Fehlerkette von Minister Spahn» einen Sonderermittler. Auf Twitter wird Spahns Rücktritt gefordert. Korte fasste zusammen:
«Was wirklich beeindruckend ist, wie man eine so schlechte Politik, so viele Skandale und so viele Milliarden verbrennen kann, und dass Sie trotzdem noch im Amt sind.»
SWR-Recherche: Steuergelder verschleudert
In einer im Mai 2021 ausgestrahlten Recherche gingen die SWR-Autoren Barbara Hirl und Moritz Hartnagel dem Verdacht nach, dass durch eine falsche Einkaufspolitik möglicherweise Millionen Euro an Steuergeldern verschwendet wurden. So habe die Beschaffungspolitik des Gesundheitsministeriums bizarre Formen angenommen, es sei zu undurchsichtigen Deals und Pannen gekommen.
Das Bundesgesundheitsministerium hat mit über 700 Händlern Verträge über die Lieferung von Masken und Schutzkitteln abgeschlossen. Wert: über sechs Milliarden Euro. 88 dieser Händler klagen nun vor dem Landgericht Bonn gegen das Ministerium. Es hat vertragliche Garantien zur Abnahme der Ware geleistet und holte sie nicht ab. Die Lieferanten haben das Nachsehen.
Bundesrechnungshof kritisiert Spahns Corona-Management
Der Bundesrechnungshof (BRH; prüft die Haushaltsführung des Bundes) wirft Spahn in einem Prüfbericht vom 9. Juni Geldverschwendung vor. Laut BRH hat Spahns Ministerium Geldgeschenke an Apotheken verteilt und Krankenhäusern Anreize gegeben, die Zahl der freien Intensivbetten gering zu halten. So erhielten Apotheken im Herbst 2020 sechs Euro pro Maske vom Bund, ab Februar 2021 3,90 Euro. Und das, obwohl «Schutzmasken mit nachweislicher Zertifizierung zu einem durchschnittlichen Preis von 1,62 Euro erhältlich waren».
Das Gesundheitsministerium habe jedoch keine Preisanalysen vorgelegt, aus denen diese Beträge hätten abgeleitet werden können. Der BRH hält fest, dass die Beträge «zu einer deutlichen Überkompensation zu Gunsten der Apotheken führten». Konkret: die Apotheken erhielten durch die Maskenaktion 2,1 Milliarden Euro. Das macht durchschnittlich mehr als 100’000 Euro pro Apotheke in Deutschland, so die Tagesschau.
Fehlanreize für Kliniken
Auch Krankenhäuser profitierten von der «Überkompensation». 2020 hatten die Kliniken von den gesetzlichen Krankenkassen 1,3 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr erhalten, trotz tieferer Auslastung als 2019. Zusätzliche 10,2 Milliarden Euro kamen als Ausgleichszahlungen aus Steuermitteln hinzu, weil während der Pandemie Eingriffe verschoben oder annulliert wurden.
Die Kliniken erhalten Ausgleichszahlungen seit November nur noch bei hoher Auslastung. Das heisst, wenn die freien Intensivbetten in der Region weniger als 25 Prozent betragen. Dies stellt gemäss BRH einen gefährlichen Fehlanreiz dar, die Intensivbettkapazitäten künstlich nach unten zu rechnen. Der BRH kritisierte weiter, dass Zahlungsempfänger die erforderlichen Kriterien beeinflussen könnten.
«Das RKI [Robert-Koch-Institut] berichtete über mehrfache Kontaktaufnahmen mit dem Ziel, Meldungen der freien betreibbaren Intensivbetten nachträglich zu korrigieren.»
Dadurch, so der BRH, könnten Kapazitätsengpässe abgebildet worden sein, die es in diesem Masse nicht gab. Das sei äusserst problematisch, da politische Massnahmen unter anderem mit drohenden Engpässen bei der medizinischen Versorgung gerechtfertigt werden. Der BRH hält fest:
«Zur sachgerechten Bewertung der epidemischen Lage vor Ort sollten neben der 7‐Tage‐Inzidenz weitere Merkmale herangezogen werden.»
Zahl der Intensivbetten unklar
Ein weiterer Punkt im Bericht ist die Schaffung von Intensivbetten. Der Bund finanzierte zusätzlich von März bis September 2020 jedes neue Intensivbett mit 50’000 Euro. Die Krankenhäuser beanspruchten dafür knapp 700 Millionen Euro. Das wären 13’700 neu geschaffene Intensivbetten in Deutschland. Spahns Ministerium sei jedoch bis heute nicht in der Lage, «die Zahl der tatsächlich aufgestellten sowie die der zusätzlich angeschafften Intensivbetten verlässlich zu ermitteln», so der BRH.
In seinem Bericht erkennt der BRH die Beschwichtigungsversuche («unbürokratische Hilfe») des Gesundheitsministeriums indirekt zwar an, betont aber: «Die gezielte Steuerung und laufende Kontrolle der eingesetzten Mittel muss jedoch stets gewährleistet bleiben.» Der BRH sieht in den Milliarden-Ausgaben per Rechtsverordnung «die Gefahr einer partiellen Aushöhlung des parlamentarischen Budgetrechts».
Der bayerische Landesgruppenchef der FDP-Bundestagsfraktion Karsten Klein übte in der Welt Kritik an der Bundesregierung:
«Eine Pandemie darf keinen Freifahrtschein für den Umgang mit Steuermitteln bedeuten. Zweifellos muss während einer Pandemie schnell und unbürokratisch gehandelt werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass Geld mit der Giesskanne verteilt wird.»
Der Bericht des BRH muss noch abschliessend vom Parlament beraten werden.