Das grösste Problem des Journalismus liegt darin, einem Auflageninstinkt ohne Rücksicht auf Wahrheit und Gewissen zu widerstehen.
Joseph Pulitzer
Liebe Leserinnen und Leser
Von 1939 bis 1952 regierte der Schweizer Bundesrat per Notrecht. Verfassungsrechte wurden während dieses Zeitraums teils massiv eingeschränkt, weite Teile der Medien gleichgeschaltet. Justizminister Eduard von Steiger ging gar soweit, dass er antifaschistische Zeitungen zensieren und Kritiker überwachen liess.
Bis vor kurzem staunten die meisten von uns sicherlich noch darüber. Ich fragte mich beim Lesen historischer Bücher oft, wie das gewesen sein mag, einer Regierung dermassen viel Macht zu geben. Spätestens seit 2020 weiss ich das auch. Denn die heutigen Parallelen zum damaligen Vollmachtenregime sind kaum von der Hand zu weisen.
«Der Bundesrat legt die Kriterien und Richtwerte für Einschränkungen und Erleichterungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens fest», heisst es in Artikel 1a des Covid-19-Gesetzes. Viel deutlicher geht es nicht mehr. Die Regierung kann schalten und walten, wie es ihr gerade so passt. Und das bis 2031!
Denn bis dann sind einzelne Bestimmungen des Gesetzes gültig. Da können gouvernementale Journalisten noch so oft schreiben, dass das Zertifikatssystem lediglich bis 2022 laufe: Das Gerüst für das Gesetz bleibt bei einem Ja bestehen. Und zwar längerfristig. Regierungen, die es schaffen, Macht an sich zu reissen, geben diese nicht mehr so einfach ab. Das weiss eigentlich jeder und sollte uns auch nicht überraschen. Gerade Medienschaffende müssten das als Erste wissen. Entsprechend sollten sie ein Gegengewicht gegen die Machttrunkenheit der Regierenden bilden. Doch schön wär’s.
«Diesmal habe ich ein leises Ja abgeschickt», schrieb WOZ-Journalist Kaspar Surber am Donnerstag in seinem Leitartikel zum Covid-19-Gesetz. Für Surber sind Argumente von uns Kritikern, die wir von Massenüberwachung sprechen, «masslos übertrieben». Sowieso haben Kritiker, die von «Apartheid» oder Diktatur» sprechen, für Surber jegliche Relationen vergessen. Deshalb rät er uns, «den Sound leiser zu stellen».
So weit, so gut. Von der einst staats- und machtkritischen linken WOZ, die sich seit rund 18 Monaten in staatshöriger Berichterstattung immer wieder selbst überbietet, erwartete ich nicht mehr. Zur Tamedia- und Ringier-Presse erübrigt sich ein Kommentar. «Noch nie in der Schweizer Geschichte hat ein Verlag dermassen an seinem Publikum vorbeigeschrieben», urteilte die Weltwoche unlängst über das Ringier-Medienhaus.
Umso erstaunter bin ich aber angesichts der rückgratlosen Haltung NZZ. Die einst liberale Zeitung von Weltformat brachte doch tatsächlich das Kunststück zustande, zum Covid-19-Gesetz keine Parole gefasst zu haben. «Das Gesetz ist bei unserem Leserkreis und innerhalb der Redaktion sehr umstritten. Es gibt viele plausible Argumente auf beiden Seiten», erklärte Chefredaktor Eric Gujer in der heutigen Ausgabe und begründete so die Neutralität des Blatts.
Vorbei sind die Zeiten, als die NZZ gegen Totalitarismus aufbegehrte. Man erinnert sich an den legendären Chefredaktor Willy Bretscher, der gegen Hitler anschrieb. Er soll stets eine geladene Pistole im Pult an der Falkenstrasse aufbewahrt haben: Immer damit rechnend, dass ihn die Nationalsozialisten jeden Moment nach dem Leben trachteten.
In der heutigen Zeit bedarf es sicherlich nicht so viel Mut, gegen ein Gesetz anzuschreiben, das mit liberalen Werten rein gar nichts mehr zu tun hat. Trotzdem bringt es die NZZ nicht zustande. Fest steht schon jetzt: Da hat sich die «mondäne» Zeitung nicht mit Ruhm bekleckert. Ein historischer Irrtum!
Herzlich
Rafael Lutz
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Hinweis:
Solothurn: Fackelzug für Frieden und Grundrechte
Donnerstag, 18. November, 19.00 Uhr
Freitag, 26. November, 19.00
Besammlung: Baseltor/St. Ursen-Kathedrale
Keine Transparente! Fackeln beschränkt vorhanden.
Kontakt: [email protected]
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Der Corona-Ausschuss von Dr. Reiner Füllmich und Viviane Fischer leistet seit über einem Jahr hervorragende Arbeit. Da es nicht jedermanns Sache ist, sich die Sitzungen des Ausschusses von mehreren Stunden Dauer anzuschauen, publizieren wir trotz des enormen Arbeitsaufwands schriftliche Zusammenfassungen der entscheidenden Aussagen.
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