Die Reproduktionszahl R ist ein Wert, der eine Epidemie beschreibt. Man unterscheidet die Basisreproduktionszahl R(0) und die effektive Reproduktionszahl R(eff). R(0) ist eine Kenngröße für einen bestimmten Erreger und sagt aus, wie viele Menschen ein Infizierter im Mittel ansteckt, wenn keinerlei Maßnahmen ergriffen werden. Bei Masern ist der Wert etwa 15, bei SARS-CoV-2 wird sie vom Robert Koch-Institut (RKI) mit 2,4 bis 3,3 angegeben. Wenn Maßnahmen ergriffen werden oder sonstige Bedingungen gegeben sind, ändert sich die Reproduktionszahl. Man spricht dann von der effektiven Reproduktionszahl R(eff).
Die Reproduktionszahl gibt die Steigerungs- bzw. Verringerungsrate für die Anzahl der neu Infizierten an. Ist R=2, so steckt im Mittel jeder Infizierte innerhalb der Generationszeit 2 weitere Menschen an. Ist R unter 1, dann sinken die Neuerkranktenzahlen. R=0,5 bedeutet, dass zwei Menschen im Mittel nur noch einen Menschen in der Generationszeit anstecken. Sind also aktuell 1.000 neue Erkrankte zu verzeichnen und nach 3 Generationszeiten nur noch 125, dann liegt R=0,5 vor. (1)
Die Reproduktionszahl spielt in der Debatte um den Umgang mit der Coronakrise eine entscheidende Rolle. Erst seit R unter 1 gefallen ist, erscheint es politisch möglich, über Lockerungen zu sprechen. Die Reproduktionszahl wird seit dem 8.4. vom RKI in den täglichen Situationsberichten aufgeführt.
Als mit dem 13.4. R auf 1 sank und sich die Regierenden zu Konsultationen trafen, wollte keiner “unvernünftig” sein, alle Beschränkungen sollten bestehen bleiben, um den gerade erst erreichten Erfolg nicht zu gefährden.
Das täglich gemeldete R ist nach RKI-Angaben nur eine grobe Schätzung und kann erst nach mehreren Wochen genauer berechnet werden. Für die genauere Bewertung müsste das RKI regelmäßig die genaueren – und nicht nur geschätzten – Reproduktionzahlen nach einigen Wochen herausgeben und beispielsweise im Bericht aufführen. Dies geschieht bis jetzt nicht.
Wenn plötzlich Testkapazitäten erhöht werden, wird man R systematisch überschätzen, wie auch das RKI andeutet. Wenn also nun die Testkapazitäten wegen der abflauenden Welle zurückgefahren werden und in einigen Monaten wegen eines neuen Ausbruchs wieder deutlich erhöht werden, dann wird man mehr absolute Fallzahlen und ein überschätztes R haben, ohne dass wirklich eine kritische Situation vorläge.
R ist eine Modellgröße, mit der man rückblickend sehr gut einen Pandemieverlauf beschreiben und analysieren kann, sobald die Zahlen mehr oder minder feststehen. Der prognostische Wert im Hier und Jetzt ist hingegen sehr begrenzt, denn R lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht hinreichend präzise bestimmen. Daher lässt sich am aktuell ermittelten R auch nicht der Beginn einer neuen Welle ablesen.