Anfang Juli wütete das deutsche Weblog Volksverpetzer, das sich in seiner Selbstdarstellung «für Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit» einsetzt, in gewohnter Manier gegen vermeintliche Kritiker der Corona-Maßnahmen. Unter der Überschrift «Maskengegner erschlagen Busfahrer in Frankreich: Tote durch Fake News» griffen sie den Fall eines Mannes im französischen Bayonne auf, der in einer Auseinandersetzung mit Jugendlichen derart attackiert worden war, dass er wenige Tage später im Krankenhaus verstarb.
«Diese Gewalt kommt von dieser Propaganda, dieser irrationalen Weigerung, eine Maske zu tragen», lautete ihr Fazit. Und dass sollte stimmen, schließlich haben sie sich dem «Kampf gegen Fake News, Hass, Hetze, Ausgrenzung, Diskriminierung und Manipulation» verschrieben und der Verfasser des Artikels, Thomas Laschky, ist kein Geringerer als der Kopf und Vordenker der Volksverpetzer-Crew.
Zwar waren sie mit ihrer Berichterstattung nicht alleine, doch sie führten die deutsche Propagandaphalanx an. Der Fall hatte weltweit für Entsetzen gesorgt. Und schnell war die Mär geboren, der Busfahrer Philippe M. hatte sich mit Maskenverweigerern, sogenannten Covidioten, angelegt. Sie seien seiner Aufforderung zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes nicht nachgekommen und daraus sei der Konflikt entstanden.
Obwohl der französische Le Parisien gemeldet hatte, die Verdächtigen seien eher als unangenehme Zeitgenossen bekannt, die darüber hinaus keine gültigen Fahrscheine gehabt hätten, wurde der Fall eiligst medial politisiert. Via dpa ging die Meldung an sämtliche Redaktionen: «Es habe sich um eine absolut abscheuliche, unaussprechliche Tat gehandelt. Der Busfahrer ist attackiert worden – vorausgegangen war ein Streit über Schutzmasken.»
Spiegel und Konsorten vom Boulevard schmückten die Nachricht nach Belieben aus, zuverlässige Erkundigungen vor Ort hat keiner von ihnen eingeholt.
Verdient um die Wahrheit des Falles hat sich im Gegensatz dazu kürzlich die NZZ gemacht. Am 18. September enthüllte Lucien Scherrer in seinem Artikel «Anti-Masken-Propaganda tötet» – vom medialen Missbrauch eines Gewaltdelikts die Fake News, Verschwörungstheorien und voreiligen Schlüsse der Medien.
«Dieses Narrativ passte zwar perfekt in die medialen Diskussionen über ‹Covidioten›, Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker, die oft von Pauschalisierungen und Dämonisierungen geprägt sind», schreibt Scherrer und verpasst all den Schreiberlingen damit einen kräftigen Schlag auf ihre oft allzu unbedacht und voreilig über die Tasten huschenden Finger. Scherrer legt noch nach: «Der Anwalt des Hauptverdächtigen, Maître Thierry Sagardoytho, drückt es auf Anfrage der NZZ so aus: ‹Mein Mandant hat überhaupt nichts gegen Masken. Er hatte an jenem Tag schlicht keine in der Tasche.› Auf Videoaufnahmen ist laut Sagardoytho zu sehen, dass auch andere Passagiere ohne Maske fuhren, von Philippe M. jedoch in Ruhe gelassen wurden.»
Und zu guter Letzt verteilt der NZZ-Autor noch einen Extrahieb auf die Volksverpetzer: «Im Fall Bayonne wussten die mehrfach preisgekrönten Blogger noch mehr als alle anderen, wer die eigentlichen Schuldigen waren: rechtsextreme Corona-Leugner. (…) Das alles wäre unwichtig, wenn der «Volksverpetzer» bei manchen Journalisten nicht als seriöse Quelle gelten würde, etwa bei ‹Watson›. Dort wurde der Blog von einer Kriminalpsychologin empfohlen – als Mittel gegen Verschwörungstheoretiker.»
Danke Lucien Scherrer – Chapeau!