Die Schweizer Behörden verfolgen bezüglich dem Corona-Virus eine sogenannte Eindämmungsstrategie, schreibt die NZZ. Bis eine Impfung oder andere erfolgsversprechende Behandlungen zur Verfügung stehen, sollen mit allen nötigen Mitteln und Massnahmen die Fallzahlen so tief wie möglich gehalten werden.
Aufgrund von Messungen auf spezifische Antikörper gegen Sars-CoV-2 haben sich in der Schweiz erst rund 20% mit dem Virus «angesteckt». So gesehen wäre das Ausbruchspotential in der Schweiz immer noch relativ gross.
Dem Infektiologen Bernard Hirschel aus Genf ist jedoch aufgefallen, dass zum Beispiel in Schweden die Infektions- und Todesfallzahlen seit Anfang Juli sehr stark gefallen sind – und das bei einer geschätzten Durchseuchung in Stockholm von nur 25 Prozent!
Folgende Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle:
es scheinen nicht alle Personen gleich empfänglich für den Erreger zu sein.
stark vernetzte Personen könnten schon zu Beginn der Pandemie dem Virus ausgesetzt gewesen sein und eine gewisse Immunität aufgebaut haben.
Personen mit wenigen Sozialkontakten sind für die Virusausbreitung unbedeutend.
Gemäss Vincent Rajkumar, Onkologe an der Mayo Clinic in den USA, hat die Immunität zwei «Beine»: einerseits die Antikörper und anderseits die spezialisierten Immun- und Gedächtniszellen.
Gedächtniszellen: 80 Prozent der mit Sars-CoV-2 Angesteckten haben keine oder nur geringe Symptome bekommen. Auch wenn später nach Antikörpern gesucht wird, werden viele dieser Infektionen verpasst. Denn die schützenden Eiweissstoffe bilden sich bei 40 Prozent der Infizierten rasch wieder zurück – und dennoch kann der Kontakt mit dem Virus immunologische Spuren in Form von Gedächtniszellen hinterlassen haben.
Kreuzimmunität: Diese basiert auf Infektionen mit anderen Coronaviren. So lassen sich bei 20 bis 50 Prozent der Bevölkerung sogenannte T-Zellen nachweisen, die auf Sars-CoV-2 reagieren – selbst wenn nie eine Infektion mit dem neuen Coronavirus stattgefunden hat. In einer Studie der Universtiät Tübingen wiesen sogar 81% (!) der untersuchten Personen eine gewisse Immunität auf, die offenbar durch den Kontakt mit früheren Corona-Viren erworben wurde.
Bei der Corona-Pandemie könnte die zelluläre Immunität erklären, weshalb sich in Familien mit einem Infizierten nur etwa 30 Prozent der Familienmitglieder anstecken. Und warum der Grossteil mild erkrankt.
Es zeigt sich also, dass die Herdenimmunität schon bei Werten deutlich unter 60 Prozent erreicht sein kann.
Gemäss Bernard Hirschel ist es daher nicht ausgeschlossen, dass die Corona-Krise vielerorts schon vor dem Einsatz einer Impfung überwunden sein könnte. «Vor allem wenn die Vakzine noch lange auf sich warten lassen oder seltene, aber schwere Nebenwirkungen verursachen sollten.»
Der Artikel der NZZ endet mit einer Warnung von Pietro Vernazza vom Kantonsspital St. Gallen. Das verordnete Distanzhalten habe negative Auswirkungen auf das Immunsystem. Denn damit würden nicht nur Infektionen mit Sars-CoV-2, sondern auch mit anderen Coronaviren verhindert. Somit fehle die Möglichkeit, über die zelluläre Immunität einen gewissen Schutz gegen das aggressivere Sars-CoV-2 aufzubauen.