Die in der Wissenschaft diskutierte Studie fördert das Verständnis der aktuellen Situation, die von steigenden Fallzahlen bei geringen Hospitalisierungen und Sterbefällen gekennzeichnet ist.
Die Autoren der Studie behandeln dabei nicht die unbestritten Tatsache, dass in den vergangenen Monaten Wochen mehr getestet wurde und weiterhin wird – sie wenden sich einem wenig diskutierten, aber interessanten Aspekt zu: Der Dynamik der Infektionsverbreitung.
Der Begriff «Herdenimmuniät» ist usprünglich nur im Zusammenhang mit Impfprogrammen verwendet worden. Die «Herdenimmuniät» dient als Mittel oder Mass, um die Wirksamkeit einer Impfkampagne zu beurteilen. Doch die Gesetzmässigkeiten, die bei der Ausbreitung einer Infektionskrankheit gelten, sind andere.
Die Studienautoren aus Oxford und Edingburgh zeigen, dass das Konzept der «Herdenimmunität» untauglich ist, um abzuschätzen, wie sich die Epidemie entwickelt.
Der leicht gekürzte und editierte Kommentar zur Studie von Prof. Vernazza:
Am Anfang einer Infektionskrankheit erwischt es immer diejenigen die am „stärksten“ empfänglich sind. Bei Covid-19 sind dies Menschen über 85 Jahre. Ihr Immunsystem hat keine Reserve – sie werden zuerst betroffen. Zuerst betroffen sind aber auch vor allem Menschen, die aufgrund ihrer Kontakte mehr Chancen haben, überhaupt angesteckt zu werden. So sind Bewohner eines Altersheims eher betroffen als Senioren im Eigenheim.
Und parallel dazu bildet sich eine Population auf, die eine zelluläre Immunantwort entwickelt. Diese Form der Immunantwort beschränkt sich eben nicht nur auf die Antikörper (wie bei der Herdenimmunität bei Impfungen), sondern umfasst auch den Aufbau einer zellvermittelten Immunantwort. Diese hilft dem Körper bei einem Kontakt mit dem Virus, rascher eine schützende Abwehr aufzubauen, die das Virus schneller unschädlich macht
Basierend auf dieser neuen Hypothese eines dynamischen Aufbaus der Immunität nebst der Abschwächung der Gefährdungslage über die Zeit, berechnen die Autoren die Ausbreitung von Covid-19 neu.
Indem sie die Variabilität der Empfänglichkeit von einzelnen Personen in die Modelle einbeziehen, erhalten sie eine neue Definition für die «Herdenimmunität» bei der sich ausbreitenden Covid-19 Epidemie.
Ihre Resultate postulieren, dass eine Immunität von 10-20% der Bevölkerung bereits einen relevanten Einfluss auf das Fortschreiten einer neuen Infektionskrankheit wie Covid-19 haben könnte. Das würde einige unserer Beobachtungen der Fallentwicklungen erklären.