Man muss das Leben so einrichten, dass jeder Augenblick bedeutungsvoll ist. Iwan Sergejewitsch Turgenjew
Liebe Leserinnen und Leser
Am 1. Mai bin ich umgezogen: in ein Haus im tiefsten andalusischen Hinterland. Der Blick von der Terrasse auf den Sonnenuntergang ist nicht zu toppen! Auch nicht zu toppen ist allerdings die «Maskensolidarität» in den kleinen Dörfern. Denn die spanischen Mainstream-Medien sind perfekte Paniktreiber und aufgrund der unterschiedlichen «Corona-Knast»-Varianten des vergangenen Jahres hatten die Menschen viel Zeit, sich von den TV-Machern das Hirn waschen zu lassen.
Schon nach zwei Wochen unter der «fünften Pinie», wie es bei uns in Spanien heisst, weiss ich, die Maskerade auf dem Land ist einzigartig. Meine erste Erfahrung machte ich mit José Maria, dem «Mann für alles», wie meine Vermieterin ihn nennt. José Maria musste eine Schrankwand abmontieren, dafür brachte er Paco mit. Beide kamen voll maskiert am Häuschen an, mitten in der unberührten Natur und bei bester frischer Luft.
Ich sagte also: «Chicos, nehmt die Masken ab. Ich mag es, in eure Gesichter zu schauen.» Sie stutzten, deshalb schob ich hinterher: «Wenn ihr euch sicherer fühlt, lasst sie meinetwegen auf. Aber wenn dann einem von euch schwindelig wird bei der Arbeit, weil das Gehirn nicht so viel Sauerstoff kriegt, bin ich nicht schuld.» José Maria schiebt die Maske runter ans Kinn und sagt: «Wir machen das für dich.» Ich befreie ihn von der schweren Verantwortung, die er trägt: «Nicht nötig!» Auch Paco schiebt die Maske ans Kinn.
Über den Sinn von Masken am Kinn, Hals, Handgelenk, Ellbogen, Oberarm oder Autorückspiegel könnte man speziell in Spanien durchaus ein Buch schreiben. Der Schrank wurde abgebaut, die Masken blieben am Hals. Einige Tage später kam José Maria, um mir einen Schlauch zu bringen. Er hatte keine Maske auf.
Kurz darauf brauchte ich einen Elektriker. David kam mit Antonio, in voller Maskenmontur standen sie vor der Tür. Ich sagte: «Chicos, nehmt die Masken ab.» Gleiches Prozedere wie bei José Maria und Paco. David schiebt die Maske ans Kinn, Antonio behält sie auf. Vielleicht, weil er eine schicke FFP2-Version trägt? Das elektrische Problem ist schnell gelöst, bei David bleibt die Maske unten, bei Antonio oben.
Deshalb habe ich ein wenig über den Nutzen von Masken philosophiert. Als die beiden Helden weg waren, fragte ich mich, ob ich mir das lieber hätte sparen sollen. Denn ich habe gerade neulich ein Video von Mateo, dem Präsidenten der Organisation «Policías por la Libertad» (Polizisten für die Freiheit) gesehen, in dem er speziell die «Balkon- und Supermarktpolizisten» aufs Korn genommen hat.
Die spanischen Medien haben ganze Arbeit geleistet, das Denunziantentum blüht. Ich mache trotzdem weiter mit der Aufklärung: Denn steter Tropfen höhlt den Stein!
Herzliche Grüsse
Wiltrud Schwetje