Aus einem Interview mit der Therapieforscherin Prof. Ulrike Lüken:
«Wie wir uns konkret verhalten, hängt vor allem davon ab, wie unmittelbar wir bedroht sind. Man spricht hier auch von defensiver Distanz. Wenn wir Gefahr wittern, richten wir unsere Aufmerksamkeit darauf und unterbrechen anderen Tätigkeiten. Dann versuchen wir auch vermehrt, Informationen zu sammeln. Darauf folgt die zweite Stufe, in der das Bedrohungsgefühl wächst. Hier reagieren Menschen recht unterschiedlich: Während
sich manche vor einer Weile noch fragten, was die ganze Aufregung eigentlich soll, rannten andere bereits in den Supermarkt und kauften massenweise Toilettenpapier.
In welchem Angststadium sich Menschen befinden, hat viel damit zu tun, wie unmittelbar ihnen die Gefahr erscheint. Das sorgt natürlich für Streit um die Deutungshoheit. Was uns jedoch allen gemeinsam ist: Wir merken, dass sich da etwas zusammenbraut.
Bei Unsicherheit sind wir besonders empfänglich für Informationen, die uns weiterhelfen können. Dabei unterliegen wir so genannten Aufmerksamkeitsverzerrungen. Das heißt, Informationen über potenzielle Gefahren werden bevorzugt verarbeitet und sind daher präsenter. Um sich zu beruhigen, versuchen viele Menschen sich besonders gut zu informieren. Da wir jedoch empfindlich auf Gefahrensignale reagieren, klicken wir eher
jene Schlagzeilen an, die am bedrohlichsten erscheinen. Das ist ein Teufelskreis: Die Informationssuche beruhigt uns nicht, sondern verstärkt das Katastrophisieren.
Wir wissen aus der psychologischen Krisenintervention, dass Menschen in Krisen klare Handlungsanweisungen brauchen. Jemand soll uns an die Hand nehmen und konkrete Lösungen anbieten. Dafür ist es wichtig, klar zu kommunizieren. Politiker sollten sich nicht aus Parteitaktik profilieren, sondern verlässlich mit einer Stimme sprechen. Zugleich aber auch ehrlich sein und die Grenzen dessen aufzeigen, was wir bisher wissen. Große Versprechen würde das Vertrauen unterminieren.
Laut der Notfallpsychologie gibt es grob drei Gruppen von Menschen: Erstens jene, die ohne Probleme aus einer bedrohlichen Situation herauskommen, vielleicht sogar gestärkt. Zweitens sind da Personen, die ein erhöhtes Stresslevel haben, aber nicht erkrankt sind. Und schließlich entwickeln manche eine Störung, oder eine schon bestehende Störung verstärkt sich. Unser Gesundheitssystem muss sich auf die letzten beiden Gruppen konzentrieren.»