Die Investmentbank Goldman Sachs hat öffentlich mitgeteilt, dass sie ihre Geschäfte in Russland «auflöst» – angeblich, um die USA in ihren Bemühungen zu unterstützen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu stoppen. Doch gemäss NBC News klafft zwischen dieser Aussage und der Realität eine riesige Lücke. Dar Nachrichtensender beruft sich dabei auf vier Quellen aus der Finanzwelt, die mit der Strategie von Goldman Sachs vertraut sind.
Das Unternehmen nutze ein Schlupfloch in den von den USA gegen Russland verhängten Sanktionen, indem es als Vermittler zwischen Moskaus Gläubigern und US-Investoren agiere. Indem es Russlands Schuldtitel jetzt billig kauft und sie später teuer verkauft, biete es seinen Kunden die Möglichkeit, von Russlands kriegsgeschädigter Wirtschaft zu profitieren.
Ein Investor berichtete, dass ihm ein Goldman-Sachs-Händler vorgeschlagen habe, russische Schuldtitel in das Portfolio seines Hedge-Fonds aufzunehmen, indem er sie «einfach auf sein persönliches Konto legt». So würde er eine Überprüfung vermeiden können. Der Investor lehnte das Angebot angesichts des Krieges in der Ukraine ab.
Das vorgeschlagene Verfahren verstosse nicht gegen die US-Sanktionsregelungen, so NBC News. Die Vermittlung von Geschäften mit russischen Anleihen sei nicht illegal. Die Regierung Biden habe denn auch den Investmentfirmen grünes Licht für den Handel mit russischen Vermögenswerten gegeben. Ein Sprecher von Goldman Sachs erklärte am Donnerstag in einer E-Mail:
«Die Beendigung unserer Aktivitäten in Russland und die Unterstützung unserer Kunden in aller Welt bei der Verwaltung und Abwicklung ihrer Marktverpflichtungen schliessen sich nicht gegenseitig aus. Wir haben robuste Systeme und Kontrollen in unserer gesamten Organisation, um sicherzustellen, dass wir nicht mit sanktionierten Gegenparteien handeln.»
Aufgrund der Sanktionen, die die US-Behörden in diesem Monat gegen russische Banken verhängten, ist es für US-Unternehmen illegal, direkt mit grossen russischen Finanzinstituten Geschäfte zu machen. Das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums habe jedoch in einem Memo bestätigt, dass der Handel mit russischen Vermögenswerten auf «Sekundärmärkten» legal sei – also auf Märkten, an denen die russischen Banken nicht direkt beteiligt sind, merkt NBC News an.
Laut einem Dutzend Investoren sowie aktuellen und ehemaligen US-Regierungsvertretern und Finanzanalysten hat die Sorge der Biden-Administration um die Investoren aus den USA sie davon abgehalten, härter gegen Russland vorzugehen. Ein ehemaliger US-Sanktionsbeamter warnte: «Wenn sie den Handel komplett einstellen, wird das kollaterale Folgen haben.»
Die Bemühungen von Goldman Sachs, vom Krieg zu profitieren, würden deutlich machen, wie schwierig es für die Regierung Biden ist, Russland zu bestrafen, ohne die Wall Street und die Wirtschaft der USA und ihrer Verbündeten zu schädigen, erklärt NBC News.
«Russische Staatsanleihen sind in unserer Wirtschaft allgegenwärtig», zitiert NBC News einen hochrangigen Regierungsbeamten, der anonym bleiben will. Der grösste Teil der fraglichen Staatsschulden bestehe aus russischen Anleihen, die über staatliche Kanäle, einschliesslich der russischen Zentralbank, ausgegeben werden.
Neue Staatsschulden könne man sanktionieren, doch sie hätten sich noch nicht mit der Frage beschäftigt, wie man Schulden sanktionieren kann, die sich bereits auf dem Markt befinden.
Obwohl es für US-Firmen illegal ist, Geschäfte mit sanktionierten Russen zu machen, sei es gemäss einem Sanktionsexperten schwierig, die Quellen des russischen Reichtums zu bestimmen. Das Schlupfloch in den Russland-Sanktionen lasse einen Weg für bargeldarme russische Investoren offen, um sich Geld im Austausch für die Anleihen ihrer Regierung zu sichern.
Die Experten weisen auch darauf hin, dass es schwierig ist, Sanktionen gegen Einzelpersonen durchzusetzen, da nicht immer klar ist, ob sie Bevollmächtigte haben, die Finanztransaktionen für sie durchführen.
Die meisten Investoren würden das offensichtliche PR-Risiko scheuen, von Russlands Krieg zu profitieren, konstatiert NBC News. Doch Goldman Sachs, JPMorgan Chase und viele Hedgefonds würden das trotzdem tun. Während Goldman vor allem mit russischen Staatsschulden handle, habe JPMorgan Chase Geschäfte mit den Schulden privater russischer Unternehmen vermittelt, um sich zu erholen, berichtet Bloomberg News.
Die Investmentbank JPMorgan habe letzte Woche ebenfalls bekanntgegeben, dass sie ihre Geschäfte in Russland «auflösen» werde, räumte aber ein, dass sie Kunden bei Geschäften mit Russland unterstützt hat. Am 4. März, als Russland die Ukraine angriff, habe das Unternehmen einen Bericht veröffentlicht, in dem es seinen Kunden den Kauf russischer Unternehmensanleihen empfahl.
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