Transition News: Eine Palästina-Konferenz in Berlin wurde am Freitag, dem 12. April, von der Polizei geräumt. Am nächsten Tag fand eine Pro-Palästina-Demonstration in der deutschen Hauptstadt statt. Sie trugen gemeinsam mit anderen ein Banner, auf dem in grossen Lettern «Frieden jetzt! Ohne Waffen!» geschrieben steht. Von wann stammt eigentlich dieses Friedens-Banner?
Christiane Tan: Mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine bekam das Thema Frieden bei unseren Demonstrationen gegen das Corona-Regime und für die Achtung der Grundrechte immer mehr Gewicht. Unserer Initiative «Querdenken Berlin» hatten sich damals schon weitere Gruppierungen angeschlossen, und so war die Initiative «Wir sind Viele» entstanden. Und später bildeten wir das «Bündnis für Frieden» – dazu gehören zum Beispiel auch Dieter Dehm und Jens Fischer Rodrian mit ihren «Friedensnoten». Aus dieser Zeit stammt auch dieses Friedens-Banner. Gemeinsam mit der Friedenskonferenz (Friko) konnten wir zum Beispiel den Ostermarsch 2023 organisieren – da steckte wirklich einiges an Arbeit dahinter, damit sie uns überhaupt zuhören, da wir ja seit Jahren als «rechts» verleumdet werden.
Läuft die Zusammenarbeit zwischen «Wir sind viele» beziehungsweise dem Friedensbündnis und der alten Friedensbewegung noch immer so gut?
Die Spaltung läuft quer durch die Gesellschaft. Bei der Friko gibt es die typischen Gremien, in denen alles totgequatscht wird, und strenge Hierarchien. Das Rechtsframing wurde immer wieder aufgewärmt, ausserdem glauben da einige noch immer ans Corona-Narrativ. Und so hat sich nach und nach die Spaltung wieder durchgesetzt. 2023 machten wir noch einen gemeinsamen Ostermarsch, aber dieses Jahr waren wir nur eingeladen. Da am selben Tag die Kundgebung und Demonstration zum vierten Jahrestag der Demokratiebewegung stattfand, sind viele von uns lieber dort hingegangen.
Sie führen ein Reisebüro, das auf Geschäftsreisen für Künstler spezialisiert ist. Da es massnahmenbedingt 2020/21 kaum Auftritte gab, kam es zu einem Totalausfall. Doch Sie nutzten die Zeit, um Demonstrationen für die Achtung der Grundrechte, für Freiheit und Demokratie mitzuorganisieren. Sie wurden sogar zu einer Geldstrafe verurteilt, weil Sie Menschen in der Öffentlichkeit umarmt hatten. Wo sehen Sie die den Zusammenhang zwischen Corona, dem Krieg in der Ukraine und in Gaza?
Ja, ich hatte im Dezember 2020 bei einer Kundgebung einige Menschen umarmt, nachdem wir eine brutale Verhaftung miterleben mussten. Ein Jahr später verurteilte mich ein Amtsrichter wegen zwei Umarmungen, und weil er Wiederholungsgefahr annahm, im Namen des Volkes zu einer Geldstrafe. Auch derzeit gibt es wieder viele absurde Verfahren gegen Menschen, die sich für Palästina einsetzen.
Aber warum das alles zusammenhängt: Der Krieg wird doch von oben gegen unten geführt. Das wurde für viele seit Corona sehr gut sichtbar, wir bekamen das am eigenen Leib zu spüren. Ausserdem haben wir uns auch schon bei den Demonstrationen während des Corona-Regimes für Frieden und Menschenwürde eingesetzt. Und darauf spreche ich auch die Menschen auf den Pro-Palästina-Demonstrationen an – wir haben eine grosse palästinensische Community hier in Berlin. Und in Einzelgesprächen geben mir die Menschen auch Recht, dass es in erster Linie um Frieden gehen muss. Aber verständlicherweise sind viele so betroffen, der Schmerz und das Leid sind so gross, da verliert man die übergeordneten Ziele leicht aus dem Blick.
Dabei sind die Angriffe auf Gaza ja auch nur ein Symptom. Das ganze Gesellschaftskonzept ist doch falsch – wenige an der Spitze kämpfen um Macht und Kapital auf Kosten der Mehrheit. Genau diese Struktur führt doch zu all diesen Symptomen: Verarmung, Vereinsamung, Inflation, Krankheiten, Konflikte.
Es wird höchste Zeit für eine kreisförmige Gesellschaftsstruktur, bei der jeder Mensch beteiligt ist. Wenn Grundrechte, Menschenwürde und Frieden bewahrt sind, dann brauchen wir doch keine anderen Gesetze mehr! Da steckt doch alles drin.
Welche Auswirkungen hat das alles auf Ihre Familie? Sie stammen aus Thüringen, Ihr Mann kommt aus der Türkei und Sie haben zwei Töchter. Wie reagieren die auf Ihr Engagement?
Mein Mann und ich sind uns in der Sache einig, auch wenn er es nicht so nach aussen trägt. Meine jüngere Tochter ist 13 und die ältere 19, sie macht gerade Abitur. Bei Corona war sie zwar auf unserer Linie, brauchte aber ihre Abgrenzung. Seit der Nahost-Konflikt immer weiter eskaliert, ist sie sehr engagiert. Meine älteste Tochter erlebt jetzt am eigenen Leib, was ich schon bei Corona erfahren hatte.
Es gibt auch eine Fortsetzung bei der Missachtung der Grundrechte: Demonstrationen für Palästina waren in Berlin über mehrere Wochen verboten, Menschen die gegen die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Gaza sind, werden von den Medien diffamiert. Und dann dasselbe brutale Vorgehen der Polizei: Auf der Sonnenallee hier in Berlin gibt es viele arabische Fleischer, Supermärkte, Bäckereien, Restaurants und so weiter. Die Bürgersteige sind immer voller Menschen. Und dort sind wochenlang an jeder Kreuzung Wasserwerfer aufgefahren. Es war verboten, zu dritt zusammenzustehen. Die Polizei stürmte einen Hähnchengrill, weil mehr als drei Gäste an den Tischen sassen, zerrte die Menschen von den Stühlen – auch das musste meine Tochter miterleben.
Als im November 2023 die erste erlaubte Pro-Palästina-Demonstration am Potsdamer Platz stattfand, ging die Polizei genauso vor wie bei unseren Protesten gegen das Corona-Regime: holte sich einige Demonstranten heraus, schlug auf sie ein und erzeugte auf diese Weise abschreckende Bilder, die dann durch die Medien gingen. Meine Tochter macht also dieselben Erfahrungen wie ich davor, und das hat uns wieder inniger verbunden.
Ein Foto von der Pro-Palästina-Demo am 13. April in Berlin, auf dem Sie zu sehen sind, wie Sie das Friedens-Banner tragen, war in einer linken Zeitung zu sehen, die Pro-Palästina-Bewegung wird von linken Gruppierungen unterstützt. Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, Mitbegründer der Partei Diem25, bekam sogar Einreiseverbot in Deutschland. Wie fühlt es sich an, gemeinsam mit Menschen zu demonstrieren, die sich dem Corona-Regime nicht widersetzt beziehungsweise sogar mitgemacht haben?
Screenshot aus der Tageszeitung «Junge Welt» vom 13. April 2024.
Erstens, Parteien interessieren mich überhaupt nicht mehr. Weder die SPD, noch die Partei Die Linke oder das Bündnis Sarah Wagenknecht sind auf den Pro-Palästina-Demos vertreten. Die gehen lieber auf die sogenannten «Demos gegen rechts» – ich bin in der DDR aufgewachsen, ich kenne solche Aufmärsche für das Regime! Selbst einige Politiker der Linken, wie Gregor Gysi oder Bodo Ramelow in Thüringen, haben sich für Waffenlieferungen ausgesprochen ...
Auf diesen Demonstrationen versuche ich in direkten Gesprächen Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten – es würde auch nichts bringen zu schreien: «Rafft ihr das nicht?» Ich habe das alles ja auch erst spät erfahren – ich engagiere mich seit 2020 – und konnte für mich inzwischen viel Wahrheit finden. Ich bin froh über jeden, der erkennt, dass, egal ob Corona, der Krieg in der Ukraine oder in Palästina, alles doch nur Symptome ein und derselben Ursache sind.
Wir gehen dahin, um uns über unsere gemeinsame Gesellschaftskritik mit anderen zu verbinden, wir sprechen über die Desinformation der Medien, wie falsch die Strukturen sind. Auf den Demonstrationen trifft sich die Menschheitsfamilie.
Es ist wichtig, sich zu vernetzen und das passiert eben auf der Strasse, deswegen werden Versammlungen und Kundgebungen ja auch immer wieder verboten.
Warum engagieren Sie sich für Frieden? Und wie sehen Sie die Rolle Deutschlands?
Mir ist doch die Nationalität egal, im Krieg sterben immer die einfachen Menschen, ganz gleich ob Israelis oder Palästinenser. Deswegen ist Frieden die einzig sinnvolle Lösung.
Aber in Deutschland wird Krieg wieder salonfähig gemacht. Bei dieser Kriegsrhetorik wird mir übel. Politiker reden wieder von Vergeltung, Ruhm, Ehre, feiern ein neues Werk von Rheinmetall. Diese Kriegstreiberei ist unfassbar. Politiker fungieren als Handlanger der Waffenlobby. Es ist ein Totalversagen. Dabei werden die vielen Traumata vergessen, die der Krieg verursacht. Wir müssten es doch besser wissen und nur in unsere eigenen Familien schauen.
Schon kurz nach dem 7. Oktober 2023 hielten Sie in Berlin-Neukölln Mahnwachen für den Frieden ab, inzwischen finden die jeden Montagabend auf dem Potsdamer Platz statt. Wie reagieren die Menschen?
Wir führen bei diesen Mahnwachen tolle Gespräche mit den Passanten und bekommen viel Zuspruch. Aber viele Menschen sagen, sie gehen nicht für Frieden auf die Strasse, weil sie zu beschäftigt sind. Es herrscht eine allgemeine Verwirrung, dazu trägt auch die Berichterstattung in den Medien bei. Das Thema Frieden scheint für viele so weit weg zu sein.
Aber immerhin: Viele, die Corona nicht durchschaut haben, durchschauen jetzt diese Kriegstreiberei. Und die so wichtige Aufarbeitung findet in diesen Zweiergesprächen statt. Auch dafür sind Demonstrationen und analoge Treffen wichtig. Wir müssen überlegen, wie wir es gemeinsam hinbekommen, weltweit neue Strukturen zu schaffen.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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