«Haben sich 200 Hamas-Kämpfer, die nach Angaben des IDF-Geheimdienstes nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober im Shifa-Krankenhaus waren, in Luft aufgelöst?», fragt der istraelische Journalist Yonah Jeremy Bob in der Jerusalem Post. Er bezieht sich dabei auf Berichte der israelischen Streitkräfte (IDF) nach deren Eindringen in das Krankenhaus in Gaza City.
Die israelischen Streitkräfte (IDF) hätten keine Verhaftungen gemeldet, ausländische Medien deren zwei, so Bob. Fünf Hamas-Terroristen seien ausserhalb des Krankenhauses getötet worden, aber keiner innerhalb des Krankenhauses. Nicht einmal ein einziges Feuergefecht habe es gegeben. Dies werfe eine Reihe von Fragen auf.
Zuerst erinnert der Journalist aber daran, dass israelische Armeespitzen seit 2014 wiederholt erklärt hatten, hochrangige Hamas-Funktionäre hätten sich während des Gaza-Konflikts 2014 und anderer Konflikte in Tunneln unter dem Shifa-Krankenhaus versteckt gehalten. Angesichts dessen seien die Erwartungen von Verteidigungsanalysten hoch gewesen, dass die IDF nach ihrer Invasion im Gazastreifen Ende Oktober der Übernahme des Shifa-Krankenhauses Priorität einräumen würden, um das riesige Tunnelnetz und den Militärapparat der Hamas dort so schnell wie möglich zu entlarven.
Bob weist auch darauf hin, dass die IDF und Israel während der letzten Woche wegen der Belagerung von Shifa weltweit Kritik von vielen Seiten einstecken mussten.
Am Mittwoch präsentierten die IDF ihre Funde, die sie im Shifa-Krankenhaus machten (wir berichteten). Darunter sind ein paar AK47-Sturmgewehre, Granaten, Munition und ein Laptop. Auch sollen die Hamas-Kämpfer Überwachungskameras abgedeckt haben, um die Aufzeichnung ihrer Bewegungen zu verdecken. Electronic Intifada veröffentlichte einen ausführlichen Bericht darüber. Bob kommentiert:
«Aber das sind ziemlich dürftige Beweise angesichts des Umfangs der IDF-Ansprüche.»
Am Donnerstag teilten die IDF laut dem Guardian zudem mit, sie hätten einen Tunnelschacht der Hamas und ein Fahrzeug mit Waffen im Krankenhauskomplex entdeckt. Die militante palästinensische Gruppe wies die Behauptung der IDF, einen Hamas-Tunnel gefunden zu haben, Sputnik zufolge als «unbegründete Lüge» zurück. Yonah Jeremy Bob stellt dazu einige Fragen:
«Sind alle Hamas-Kräfte geflohen? Oder haben sie sich unter die zivilen Patienten gemischt? Warum haben die IDF erst vor wenigen Tagen im Rantisi-Krankenhaus weitere Spuren von Geiseln und stärkere Waffen, wie zum Beispiel Panzerfäuste, gefunden? Hat die Hamas aus den Beweisen, die sie Israel dort hinterlassen hat, gelernt und vor der Flucht aus Shifa besser aufgeräumt? Wenn ja, warum haben die IDF zuerst Rantisi angegriffen? War ihnen nicht klar, dass die Hamas aus dieser Erfahrung lernen und in Shifa besser aufräumen könnte? Dies wirft einige Fragen zur grossen Strategie und zu den Trends des Krieges auf.»
Der Journalist stellt zudem fest, dass die IDF zwar die Kontrolle über den nördlichen Gazastreifen haben, und ausserdem wichtige Infrastruktur und Waffen der Hamas zerstört und seit dem 7. Oktober wahrscheinlich mehr als 5000 Hamas-Kämpfer getötet haben. Aber die grosse Mehrheit der geschätzten 30’000 Kräfte sei nicht angetastet worden. Vor etwa einer Woche hätten die IDF glaubhafter argumentieren können, dass sie die meisten von ihnen in Tunneln im nördlichen Gazastreifen finden würden. Bob stellt weitere Fragen:
«Aber jetzt, nachdem die Hamas aus Rantisi und Shifa entkommen ist, sind sie alle im südlichen Gazastreifen? Haben sie sich unter die Zivilbevölkerung im Norden und im Süden gemischt? Ist es möglich, dass einige sogar aus Gaza in andere Gebiete geflohen sind? Haben die IDF in dieser Sache einfach den Ball verfehlt, oder haben sie gehofft, die meisten Hamas-Kämpfer aus dem Norden zu verscheuchen, ohne dass es zu vielen Kämpfen kommt, oder sich mehr darauf zu konzentrieren, die Symbole ihrer Herrschaft zu brechen?»
Positiv sei, dass im Shifa-Krankenhaus ein verheerendes Blutbad vermieden wurde, so der Journalist. Die IDF könnten nun sagen, es sei ihnen gelungen, die Hamas einzuschüchtern. Daraus ergibt sich jedoch nochmals eine Frage:
«Aber wenn die überwiegende Mehrheit der Hamas immer noch da draussen ist und unter der Zivilbevölkerung nur schwer auszumachen ist, hat die Hamas vielleicht einfach beschlossen, vom Krieg auf die Taktik der Aufstandsbekämpfung umzusteigen, noch bevor der grosse Krieg stattfindet?»
Bob spekuliert, dass die Hamas vielleicht nur darauf warte, dass Israel seine Wachsamkeit aufgibt, seine schweren Waffen abzieht und Soldaten in stationären Stellungen aufstellt, bevor sie zurückschlage. Er schliesst:
«Die Einnahme von Shifa sollte der grösste Moment des Krieges sein, in dem die Hamas am stärksten zerbrochen war, und möglicherweise die führenden Köpfe der Hamas gefangengenommen oder getötet werden würden. Stattdessen hat die Übernahme der Kontrolle mehr Fragen darüber aufgeworfen, ob Israel sein Hauptziel, die Hamas langfristig in Schach zu halten, erreichen kann. Und das, ohne auch nur in die Nähe der Frage der Geiselbefreiung zu kommen, über die die IDF-Kommandeure mehr als fünf Wochen nach dem Verschwinden der Geiseln immer noch nicht sprechen wollen.»
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