Über 11’000 Menschen haben laut der palästinensischen Gesundheitsbehörde durch Israels Bombardierung in Gaza seit dem 7. Oktober bereits ihr Leben verloren. Darunter seien mehr als 4500 Kinder.
Während die Bürger in den EU-Ländern auf die Strasse gehen und einen Waffenstillstand fordern, haben sich deren Spitzenpolitiker lediglich für «humanitäre Pausen» eingesetzt. Die Investigativjournalistin Rachel Donald untersucht auf ihrem Substack Planet: Critical, ob dieses Verhalten mit den Gasreserven vor Israels Küste in Verbindung steht.
Donald verfolgt die Ereignisse nach der Entdeckung des grossen Gasfeldes «Gaza Marine» im Jahre 1999 vor der Küste des Gazastreifens. Dabei geht sie auf die Komplexitäten und Konflikte rund um deren Ausbeutung ein. Letztendlich seien die palästinensischen Gasfelder mit dem Einmarsch Israels in den Gazastreifen im Dezember 2008 unter israelische Kontrolle gebracht worden, «unter Missachtung des Völkerrechts».
Seitdem habe die britische BG Group (BGG), welche das Gasfeld entdeckt hatte, mit der israelischen Regierung zu tun, wobei die Firma 2015 von Shell übernommen wurde. Die UNO schätzt den Schaden für das palästinensische Volk laut Donald auf mehrere Milliarden Dollar. «Aber mehr Gas für alle anderen», merkt Donald lakonisch an.
Die Journalistin offenbart zudem: Israel habe am 30. Oktober zwölf Lizenzen an sechs Unternehmen vergeben, um vor der Mittelmeerküste des Landes nach Erdgas zu suchen. Und weiter:
«Dies ist das jüngste Projekt zur Ausbeutung eines von mehreren Gasfeldern, die in den letzten Jahrzehnten an der Mittelmeerküste entdeckt wurden, um Israels Energieabhängigkeit und vor allem die Europas zu lösen.»
Die gesamten Öl- und Gasreserven vor Israels Küste wurden 2019 gemäss Donald auf 524 Milliarden Dollar geschätzt. Laut einem im selben Jahr veröffentlichten UN-Bericht hat Israel jedoch nicht den alleinigen Rechtsanspruch auf dieses Geld. Donald erläuterte:
«Nicht nur, dass ein Teil der 524 Milliarden Dollar aus den besetzten Gebieten Palästinas stammt, ein grosser Teil des Rests befindet sich ausserhalb der Landesgrenzen in der Tiefsee und sollte daher mit allen betroffenen Parteien geteilt werden. Der Bericht stellt das nationale Recht auf diese Ressourcen in Frage, da es Millionen von Jahren gedauert hat, bis sie entstanden sind, und die Palästinenser das gesamte Gebiet bis zur jüngsten offiziellen Gründung Israels besetzt hielten.»
Rot: Gasfelder; Gelb: Umstrittene Gebiete; Quelle: The Cradle
Den Autoren des UN-Berichts zufolge ist es ein weiteres Kriegsverbrechen, wenn die Besatzungsmacht den Bürgern das Recht verweigert, ihre eigenen natürlichen Ressourcen zu nutzen. Sie stellen fest:
«Bis heute haben sich die realen und die Opportunitätskosten der Besatzung ausschliesslich im Bereich Erdöl und Erdgas auf Dutzende, wenn nicht Hunderte von Milliarden Dollar summiert.»
Donald betont, dass die USA und Westeuropa seit der Gründung Israels im Jahr 1948 mit dem Land verbündet sind und die Beziehungen durch Abkommen laufend verstärkt haben. Im Juni 2022 habe die EU dann unter dem Druck, nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine eine andere Gasquelle zu finden, eine Vereinbarung mit «einer anderen Kolonialmacht» über den Import von Gas aus dem Leviathan-Gasfeld unterzeichnet. Dieses Gasfeld, das grösste der jüngsten Entdeckungen, enthalte 6,7 Billionen Kubikmeter an förderbarem Erdgas und könne Israels Inlandsbedarf für 40 Jahre decken.
Die USA gingen laut Donald noch einen Schritt weiter und schlossen ein Abkommen über die Zusammenarbeit mit Israel im Energiebereich ab, in dem es heisst, dass:
«(...) die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Israel im Energiebereich und die Erschliessung natürlicher Ressourcen durch Israel im strategischen Interesse der Vereinigten Staaten liegen.»
Dabei haben die USA versprochen, Israel in «regionalen Sicherheitsfragen» zu unterstützen. Erdgas wird als eine Ressource angesehen, die sich «positiv auf die regionale Sicherheit auswirkt», was gemäss Donald im politischen Jargon für den Bau von Handelsbrücken mit arabischen Nachbarländern steht. So habe Ägypten 2020 mit dem Import von Gas aus dem Leviathan-Feld begonnen und im vergangenen Jahr die Absichtserklärung mit Israel und der EU unterzeichnet.
Donald weist auf die zunehmende Bedeutung von Flüssigerdgas im Zuge der Energiewende hin. Die USA würden die Genehmigung von 20 neuen LNG-Terminals unter der Biden-Regierung erwarten. Es gebe jedoch Bedenken hinsichtlich der möglichen Umweltauswirkungen, da Analysten darauf hinweisen, dass die damit verbundenen Treibhausgasemissionen deutlich höher sein könnten als bei bestimmten Ölbohraktivitäten. Insgesamt spiele Erdgas eine entscheidende Rolle in geopolitischen Beziehungen und fungiere als wertvolle Währung, um die politische Gunst zu gewinnen. Die Journalistin schliesst:
«Die Situation in Palästina ist komplexer als die Lage der Gasfelder, aber Geopolitik und Geologie verfolgen ähnliche Wege. In der EU ist die Nachfrage nach Gas, das von den Verbündeten genehmigt wurde, höher denn je, was vielleicht dazu führt, dass man sich erdreistet, die Kriegsverbrechen Israels zu unterstützen und gleichzeitig diejenigen Russlands zu verurteilen. Was die USA betrifft, so ist ein Netz von Pipelines ein Netz von Abhängigen, die ihre Hegemonie weniger bedrohen, wenn ihre eigene Energie von dem 51. Staat abhängt. Bei all diesen Berechnungen werden Palästinenser ermordet – eine weitere externe Auswirkung der Petrostaaten, die von unseren derzeitigen Führern nie berücksichtigt wird.»
Wie komplex die Situation um Gazas Gas ist, zeigt auch ein Beitrag in The Cradle vom 1. August dieses Jahres. Das Portal berichtete über ein von den USA vermitteltes Abkommen, laut dem die Hamas-Behörden im Gazastreifen im Sommer prinzipiell ihre Bereitschaft erklärt hatten, der von der Fatah geführten Palästinensischen Autonomiebehörde Zugang zu einem Erdgasfeld vor der Küste Gazas zu gewähren.
Dieser Durchbruch hätte laut The Cradle die Wirtschaft und den Lebensstandard im belagerten Gazastreifen stärken und möglicherweise zu indirekten Verhandlungen zwischen Hamas und Israel führen können. Israel habe die vorläufige Zustimmung für die Erschliessung des Gasfelds vor Gazas Küste gegeben, mit Plänen für das ägyptische Unternehmen EGAS, die Exploration und den Export zu übernehmen.
Gemäss dem Portal warnten Widerstandsfaktionen im Gazastreifen jedoch vor Vereinbarungen, die den Bewohnern Gaseinnahmen vorenthalten könnten. Der Wirtschaftsanalytiker Muhammad Abu Jayab erklärt gegenüber The Cradle, dass die USA implizit zugestimmt hätten, einen Teil der Einnahmen aus dem Gaza-Marinefeld an die Hamas weiterzugeben. Das erkläre, warum diese sich nicht zu dem jüngsten Abkommen geäussert habe. Auch der ägyptische Einfluss könne ein Faktor für die positive Haltung der Hamas sein. The Cradle schloss fast schon prophetisch:
«Die israelische Zustimmung fällt mit Spannungen im Westjordanland und der Errichtung neuer Siedlungseinheiten zusammen. Einige sehen die Zustimmung als Verhandlungsmittel für Zurückhaltung von Widerstandsgruppen im Gazastreifen, doch jüngste Aktionen der Hamas deuten darauf hin, dass der Widerstand über finanzielle Anreize gestellt wird. Lehren aus der Hisbollah im Libanon dienen als Inspiration für den Widerstand im Gazastreifen bei der Durchsetzung von Bedingungen für Gasabkommen. Die Zustimmung hat auch weiterreichende politische Implikationen, die möglicherweise interne palästinensische Spaltungen verschärfen und wirtschaftliche Lösungen für den Konflikt betonen, ohne politische Dimensionen zu berücksichtigen. Insgesamt bleibt der Weg nach vorne unsicher, und Zweifel an der regionalen Stabilität bestehen trotz Behauptungen, diese mit der Zustimmung zur Erdgasförderung aufrechtzuerhalten.»
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