«Die Mehrheit der Menschen, die SSRI-Antidepressiva einnehmen, bekommen irgendeine Form von sexueller Funktionsstörung – das ist unbestritten», zitiert die britische Zeitung Daily Mail Joanna Moncrieff, Professorin für kritische und soziale Psychiatrie am University College London. Nicht von ungefähr würden diese Präparate «Sexualstraftätern verschrieben, um deren Libido zu zügeln. Daher ist es nicht sehr weit hergeholt, sich vorzustellen, dass die Symptome fortbestehen.»
Quelle: dailymail.co.uk
Ein weiterer Grund, der dafür spricht, dass SSRI-Antidepressiva sexuelle Funktionsstörungen verursachen, sei, so Moncrieff, «die Tatsache, dass die Entzugserscheinungen bei SSRI sehr lange anhalten. Wenn man Medikamente über einen langen Zeitraum einnimmt, verändern sie das Gehirn auf eine Art und Weise, die möglicherweise dauerhaft ist oder zumindest lange Zeit braucht, um sich zu normalisieren.»
Dr. Moncrieff sei allerdings der Ansicht, so der Daily-Mail-Bericht, dass diese Warnungen nicht zu den Ärzten durchdringen und daher auch nicht an die Patienten weitergegeben würden. «Die Menschen müssen sich darüber im Klaren sein, dass wir nicht viel darüber wissen – wir wissen nicht, wie häufig es ist und wie wir es behandeln können», wird Moncrieff weiter zitiert.
Und der Umstand, dass die Zahl junger Menschen, denen Antidepressiva verschrieben wird, steigt, mache diese Warnungen «noch wichtiger», ergänzt Moncrieff.
Dass SSRI-Antidepressiva sexuelle Funktionsstörungen verursachen können, darauf hatte Moncrieff auch kürzlich im Interview mit Transition News hingewiesen, indem sie etwa konstatierte: «Es handelt sich um eine sehr häufige Nebenwirkung, die sehr gut bekannt ist.»
Dabei werde es auch immer deutlicher, so Moncrieff im Interview, «dass die sexuellen Nebenwirkungen bei manchen Menschen auch dann noch auftreten, wenn sie das Antidepressivum absetzen. Das deutet darauf hin, dass das Antidepressivum die Sexualität verändert hat. Und das setzt voraus, dass das Antidepressivum das Gehirn in irgendeiner Weise verändert hat, in einer schädlichen Weise.»
Bemerkenswert auch: Im Jahr 2019 hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA die wachsende Zahl von Berichten über sexuelle Funktionsstörungen nach der Einnahme von SSRI – so genannten Serotonin-Aufnahmehemmern, die den Serotonintransporter blockieren und dadurch die Konzentration von Serotonin in der Gewebsflüssigkeit des Gehirns erhöhen – anerkannt. Als Folge davon hat die EMA verfügt, dass ein entsprechender Warnhinweis in die Packungsbeilage aufgenommen wird.
Wie Dail Mail auch berichtet, sei «die Zahl der Briten, die Antidepressiva einnehmen, seit dem vergangenen Jahr um fünf Prozent gestiegen, und zwar von 7,9 Millionen auf 8,3 Millionen». Mittlerweile würden in Grossbritannien in etwa einer von acht Personen Antidepressiva, zu denen auch SSRI gehören, verschrieben.
Es sei zwar seit langem bekannt, dass die Einnahme von SSRI sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu einem Rückgang der Libido führen kann. Doch einige Patienten berichteten, dass die Auswirkungen hartnäckiger sind und auch noch Jahre nach dem Absetzen der Medikamente anhalten oder sich sogar verschlimmern. Einige hätten bereits seit Jahrzehnten Probleme.
«Die Symptome, die sie beschreiben, sind auffallend ähnlich», so Daily Mail. Dazu zähle «Taubheit im Genitalbereich – ein völliges Fehlen des Gefühls in der Leistengegend – und bei Männern Erektionsstörungen. Sowohl Männer als auch Frauen leiden unter Anorgasmie, das heisst, sie haben Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu erreichen – und wenn sie zum Höhepunkt kommen, ist dieser schwach oder ohne Lust, oder wie eine Frau es ausdrückte: ‹Es ist wie ein Niesen›.»
Viele würden auch berichten, dass sie keinerlei sexuelle oder romantische Anziehungskraft mehr verspüren und eine emotionale Taubheit zurückbleibt. Die meisten hätten erlebt, wie Beziehungen in die Brüche gingen, andere haben die Chance verpasst, Kinder zu bekommen. «Einige haben beim Sex noch nie Freude empfunden und machen sich Sorgen, dass sie es nie tun werden.»
Bezeichnenderweise hätten «Ärzte ihre Symptome immer wieder abgetan und darauf bestanden, dass diese mit der zugrunde liegenden Depression und nicht mit den Pillen zusammenhingen». Ein 22-jähriger Student aus London etwa beschreibt gegenüber Daily Mail, wie seine Probleme begannen, nachdem er 2021 das SSRI-Medikament Escitalopram, das ihm wegen Prüfungsstress verschrieben worden war, abgesetzt hatte:
«Mein Penis ist im Grunde leblos. Jegliche Anziehungskraft, die ich für eine Frau empfunden haben könnte, ist verschwunden. Wenn ich versuche, Sex zu haben, könnte ich genauso gut den Abwasch machen. Dieser Bereich meines Lebens hat mir früher so viel Spass gemacht, und jetzt ist er eine Quelle der Angst und ein dunkler Ort in meinem Kopf geworden. Es fühlt sich an, als ob jemand mit einem Skalpell in mein Gehirn eingedrungen ist, einige Teile herausgeschnitten hat und mich als seltsame, gefühllose, asexuelle Person zurückgelassen hat. Kein Arzt zieht auch nur in Betracht, dass es mit den SSRI zusammenhängen könnte.»
Eine weitere Person, die in dem Daily-Mail-Artikel ihr extremes Leiden schildert, ist Rebecca Graham. Sie ist Anfang 40 und hat laut dem Bericht seit acht Jahren kein Gefühl mehr in ihren Genitalien – also seit dem Zeitpunkt, als sie das SSRI-Medikament Sertralin abgesetzt hat, das ihr wegen der Symptome des prämenstruellen Syndroms verschrieben worden war. Sie hätte Hilfe bei «etwa zehn Spezialisten» gesucht, darunter Beratungsstellen und Gynäkologen – doch ohne Erfolg. Sie schildert ihre Qualen wie folgt:
«Mein ganzer Genitalbereich ist taub. Ich fühle mich, als ob ich kastriert worden wäre. Ich dachte, es würde besser werden, aber das wurde es nie. Mein Partner und ich leben als beste Freunde zusammen, und den Gedanken an Kinder habe ich aufgegeben. Man hat mir gesagt, dass SSRIs keine Taubheit verursachen, dass keine Krankheit meine Symptome erklären kann, sondern dass viele Emotionen diesen Bereich des Körpers kontrollieren. Es ist, als wollte die Ärzteschaft meinen Verstand vernebeln.»
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