Unsere Gesellschaften sind nicht säkular. Sie sind transkirchlich. Sie überbieten und überformen, was ihnen die Geschichte der Kirchen und des christlichen Geistes zur Verfügung stellt. Grössere gesellschaftliche Bewegungen lassen sich durchweg auf solche früheren Vorbilder zurückführen.
Ein Beispiel aus der Gegenwart sind die Bestrebungen, die Meinungsfreiheit massiv einzuschränken.
Was wahr oder falsch, was rechtgläubig oder häretisch ist, das bestimmen redaktionelle Sturmtruppen, von höchster Stelle mit dem Harnisch kaum durchdringlicher Gesetze ausgerüstet. Schamlos kann man wieder Kollegen und Nachbarn bei eigens eingerichteten Meldestellen anschwärzen, während sich andere weiter oben für unberührbar wähnen: Ein selbstgemachtes Strafrecht schützt die immer empfindsamer werdenden Gemüter derer, die viele Seelen zuschanden reiten.
So durchzieht beispielsweise eine neue Bekenntnispflicht die teutonischen Lande. Man solle sich abgrenzen gegenüber allem, was ein verordneter Zeitgeist als unkoscher brandmarkt, bis hin zu geradezu masochistischer Selbstpreisgabe von Moral, Kultur, Geschichte, Herkunft.
Ist das säkular? «Aufgeklärt» jedenfalls wirkt es keineswegs. Aber es ist auch nicht säkular im Sinne von areligiös und glaubensfremd. Sondern es ist selber Religion, die Glauben fordert − und das nicht zu wenig.
Ein Reich, ein Glaube, das war bereits die Devise der Römer. Nicht, dass sie an sich intolerant gewesen wären. Griechische Götter wurden in den eigenen Pantheon aufgenommen, ein bunter Reigen an Kulten geduldet, und auch das Christentum konnte sich in den ersten beiden Jahrhunderten recht gut verbreiten.
Als sich dann im 3. Jahrhundert die Krisen häuften, wurde es brenzlig. Bergbau und Landwirtschaft warfen nicht mehr die gewohnten Erträge ab; an den Grenzen wurde immer öfter Krieg geführt. Einheit nach innen war gefordert. Ein Reich, ein Ober-Glaube. Jetzt galt es für das Volk, Farbe zu bekennen: dem Gott-Kaiser opfern oder nicht.
Die Krisen häufen sich. Mit der Wirtschaft geht es − gewollt − bergab, Kriege und Kriegsgerüchte greifen um sich, der allgemeine Zusammenhalt wankt. Ein einigendes Bekenntnis muss her, Fragen und Zwistigkeiten sind vom Übel. Opfer sind angesagt. Man leistet sie durch zunehmende Abstriche an Kultur und Menschenverstand. Oder man leistet sie eben nicht.
Dann wird es aber heikel. Anfang des 3. Jahrhunderts kam es deswegen zu ersten größeren Verfolgungen der Christen. Und es ist derselbe Ungeist, der sich in unseren Gesellschaften breitmacht. Die Beschneidung der Meinungsfreiheit führt zum Opferzwang: an Kultur, an Überzeugungen, an Menschenverstand.
«Eine Regierung, die ihre Bürger zwingt, einen Mann eine Frau zu nennen, nur weil der das gerne möchte − so eine Regierung ist totalitär.» − «Frau Kelle, damit riskieren Sie hohe Strafe: bis zu 10‘000 Euro.» − «Ja. Und?» − «Werden Sie das trotzdem weitermachen? Schreckt Sie das nicht ab?» − «Ja, selbstverständlich. Nein, es schreckt mich nicht ab, und ich glaub, es sollte niemand abschrecken, denn wir dürfen uns solchen Gesetzen nicht beugen.»
Birgit Kelle würde dann auf ihrem Widerstandsrecht beharren − der säkularen Art, seinen Glauben an Recht, Moral und Menschenverstand zu bekunden statt zu verleugnen. Irgendwann geht es nicht mehr nur um Meinungen, sondern es geht um die Menschenwürde und um die Freiheit als Ganze.
Bischof Cyprian von Karthago mahnte damals, den entscheidenden Schritt zum Nein nicht zu verfehlen: «Vor der Schlacht schon besiegt, ohne Kampf schon niedergestreckt, retteten viele für sich nicht einmal den Schein», sondern «freiwillig eilten sie ihrem geistlichen Tod entgegen». (nach Ronny Kamrath: Cyprian von Karthago. Bischof und Kirchenvater, Seite 131)
Wer zu weit und zu lange im bösen Treiben mitspielt, um seinen Ruf, seine Anstellung, seinen Kopf zu retten, der verliert am Ende alles. «Du selbst bist ja das Schlachtopfer, du selbst bist als Opfertier an den Altar gekommen; geopfert hast du hier dein Heil, deine Hoffnung, deinen Glauben hast du hier in den unheilvollen Flammen verbrannt.» (nach Kamrath, Seite 131)
«Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden», sagt Jesus.
Wer vor allem darauf achtet, nicht anzuecken und überall seinen Hals aus der Schlinge ziehen will, dem schnürt es genau deswegen die Luft ab.
An anderer Stelle hab ich dieses Ineinander als das Wechselspiel der Erkenntnis bezeichnet: Gesellschaftliches verdichtet sich im biblischen Wort, und das Bibelwort erhellt allgemeine Zusammenhänge.
Die Mechanismen von Meinungszensur und Glaubensverfolgung entsprechen einander. Nicht anders ist es bei den Betroffenen. Auf christlicher Seite heisst das:
«Es gilt ein frei Geständnis in dieser unsrer Zeit,
ein offenes Bekenntnis bei allem Widerstreit,
trotz aller Feinde Toben, trotz allem Heidentum
zu preisen und zu loben das Evangelium»,
dichtete Pfarrer Philipp Spitta im 19. Jahrhundert.
Im weiteren Rahmen mag das dann so klingen:
«Es gilt ein frei Geständnis in dieser unsrer Zeit,
ein offenes Bekenntnis bei allem Widerstreit,
trotz aller Feinde toben, trotz allem woken Tun
zu preisen und zu loben das freie Menschentum.»
Wer sich durch Christus befreit weiss, der lässt sich durch Menschen nicht wieder einengen.
Wer sich von Menschen eingeengt weiss, der mag im Glauben an Christus seine neue Freiheit tanken.
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Wort zum Sonntag vom 14. April 2024: Den Himmel für ein freies Wort!
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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