An guten Informationen herrscht kein Mangel. Wer will, der findet auf verschiedenen Kanälen Meldungen und Hintergründe zu wirklich allen Themenbereichen. Aufklärung ist ein Gebot der Stunde. Man will selber gut orientiert sein, sich fürs Gespräch mit anderen sicher fühlen und so beitragen zu einer Zukunft in breit abgestützter Mündigkeit.
Trotzdem beobachte ich, dass die vielen Häppchen und Happen oft eher ein blosses Gefühl von Informiertsein erzeugen als echtes Wissen, und viele Menschen sich zurückziehen aus dem, was ihnen als Wirrwarr von Fakten und Meinungen entgegenkommt – sofern sie überhaupt den Kopf aus der Masse erhoben hatten.
Läuft es also gar nicht auf den «selbstermächtigten» Menschen hinaus, sondern auf den selbstbestätigten Zuschauer? Dann würde sich jedenfalls nichts ändern: Die Aufgeklärten reiben sich auf, die Mächtigen lachen sich ins Fäustchen, und die Masse treibt ins nächste Verhängnis.
Über solche Zusammenhänge sprach der Schweizer Konrad Warner – ein Pseudonym – inmitten des Krieges «mit dem deutschen Volk». Er hielt sich geschäftlich in Berlin auf. Seine 1944 erschienenen Aufzeichnungen halten uns einen Spiegel vor.
Bis Ende 1943 wohnte er in der zunehmend umkämpften Hauptstadt. So mancher öffnete ihm sein Herz, darunter auch ein höherer Heeresbeamter. Viele Menschen waren offenbar gut informiert über die wahren Verhältnisse und gegen die politische Führung eingestellt. Warum aber werde trotzdem nur hinter vorgehaltener Hand geschimpft, fragte er.
«Diejenigen, welche schimpfen können», sagte er zu mir, «sind eigentlich beneidenswert, denn sie können sich von Zeit zu Zeit Luft machen und halten es dann wieder eine Weile aus. Aber meist sind es primitive Leute, und ihr Schimpfen führt zu nichts. Sie können dem Regime nicht gefährlich werden, weil sie zu Weiterem nicht fähig sind.
Goebbels hat in einem seiner Artikel im ‹Reich› gesagt, das Schimpfen sei der Stuhlgang der Seele, und damit versuchte er nicht nur, mit einem derben Schlagwort die Stimmung einigermassen aufzufangen, sondern er tat auch kund, dass der Führung diese Regung des Volkes nicht fremd sei und dass sie diese nicht zu fürchten brauche.
Solange in Deutschland noch geschimpft wird, ist es nicht schlimm. Das Schimpfen ist meist ein Zeichen von Ohnmacht. Viel ärger sind die anderen dran, die alles in sich hineinfressen müssen, die nicht wagen dürfen, ein lautes Wort zu sprechen, und die durch ihre Einsicht in die wahren Verhältnisse der Welt wissen können, was geschehen wird.»
Drei Menschengruppen werden hier also umrissen:
- eine Mehrheit, die schweigend mitmacht, aus welchen Gründen auch immer,
- eine Minderheit, aus deren zugeschnürter Seele sich hin und wieder emotionale Eruptionen ergießen, und
- eine noch kleinere Gruppe, die Zusammenhänge wahrnimmt und an dieser höheren Einsicht umso tiefer leidet.
Die Not der Letzteren beschrieb dieser Beamte so:
Sie leiden schon Jahre vor dem Zusammenbruch, doch sie müsssen Rücksicht nehmen, sie haben Stellung, Frau und Kind, die sie erhalten müsssen. Und schliesslich will keiner im Konzentrationslager enden.
Da die Angst vor der Geheimpolizei und ihren Spitzeln sehr gross ist, wird im allgemeinen nur innerhalb der eigenen vier Wände geschimpft.» (Warner, Seite 70)
Diese Einblicke in die zunehmend umkämpften Seelen halten uns in gewisser Weise einen Spiegel vor. Schauen wir also beim Rückspiegeln wiederum auf die genannten drei Gruppen:
- Unserer weiterhin schweigenden Mehrheit, die aus irgendwelchen Gründen mitmacht oder doch stillhält, würde man wünschen, dass sie das gute Schimpfen überhaupt für sich entdeckt. Denn das würde anzeigen, dass unterm Korsett eine Lunge noch atmen und ein Herz wieder frei schlagen will.
- Immerhin verschafft man sich mit Demonstrationen und Protestaktionen zwischendurch Luft. Das tut einem selber gut und stärkt den Zusammenhalt. Von oben betrachtet, aus der Herrschaftsperspektive, kann das dennoch als ein gut eingestelltes Ventil fungieren: Der Druck im Kessel erreicht auf diese Weise keinen gefährlichen Wert.
- Wer das Marionettenhafte einer verfilzten Regierung durchschaut hat und merkt, wie sehr das Volk mit oft nur gespielter Demokratie hingehalten und um seine Früchte betrogen wird – den zerreisst es entweder selber vor lauter Wissen und Dochnichtkönnen, oder er wird zerrissen von korrumpierter Justiz und moralisierter Meute.
Jener Berliner Beamte sah keinen Weg der Besserung. An der Erkenntnis eines umfassenden Untergangs führte für ihn kein Weg vorbei, hatte er doch das Scheitern der Weimarer Republik noch lebhaft vor Augen:
Das demokratische Deutschland hallte wider vom Streit der Gelehrten, vom bissigen Kampf der Meinungen, aber mangels einer Tradition, mangels einer grossen Linie, und weil der Wille zur Zusammenarbeit fehlte, mündete die plan- und ziellose, die unverstandene Demokratie schliesslich in einen Cäsarismus krassester Färbung aus.» (Warner, Seiten 72f.)
Eine nur installierte Demokratie scheiterte an unverbundener Vielfalt, was den Boden bereitete für eine Politik der starken Hand. Der so entstandene Freiraum wurde mit Willkür und Terror nach aussen und innen gefüllt, bis allen Beteiligten, allen Hineingerissenen, nur noch das mehr oder weniger dumpfe Warten auf den grossen Knall übrigblieb.
«Das Tragische ist», so antwortete er mir, «dass das Recht eigentlich auf deutscher Seite ist, dass es aber von Verbrechern verfochten wird.» (Warner, Seite 71).
Das Tragische ist, dass das Recht eigentlich auf schwurblerischer Seite ist, dass es aber von Verbrechern an sich gerissen wurde.
Ist nun guter Rat teuer? Ja. Er kostet immer mehr Menschen ihren Ruf, ihre Kraft, ihr Geld, ihre Familien, Jahre ihres Lebens, manchmal sogar ihr ganzes Leben. Einen solchen Preis fordert man nicht von anderen; den bezahlt man allenfalls selber, weil man sich einer höheren Einsicht verpflichtet weiss.
Für den Christen mag sich die ableiten aus dem Wissen um Gottes Ehre und Gerechtigkeit.
«Wehe denen, die ungerechte Gesetze erlassen, und den Schreibern, die bedrückende Vorschriften schreiben, womit sie die Armen vom Rechtsweg verdrängen und den Unterdrückten meines Volkes ihr Recht rauben», mahnt der Prophet Jesaja zu finsterer Zeit (Jes 10,1.2).
Mit Gottes Ehre und Gerechtigkeit verträgt es sich nicht, dass Verbrecher «höheren Ranges» die Herrschaft über Leib und Leben anderer beanspruchen, weder über ein Energie- und Verarmungsgesetz noch über ein «Covid-Gesetz» samt Willkürklauseln und schon gar nicht über einen WHO-Vertrag, der die Menschenwürde leugnen will.
Neben dumpfem Gehorsam, ziellosem Schimpfen und zermürbendem besseren Wissen tut sich ein weiterer Weg auf: das tapfere Bezeugen. Die Kenntnis hiesiger Zusammenhänge trifft auf ein gottgebundenes Gewissen. In der Schnittmenge ereignet sich ein Freimut des Geistes, der Ersteres benennt, weil ihm Letzteres Kraft und Richtung gibt.
Was dabei herauskommen kann, hat Jesus in seiner Bergpredigt vorweggenommen:
«Glückselig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel!
Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und lügnerisch jegliches böse Wort gegen euch reden um meinetwillen!
Freut euch und jubelt, denn euer Lohn ist groß im Himmel; denn ebenso haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch gewesen sind.»
Jesus nach Matthäus 5,10-12.
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Wort zum Sonntag vom 30. April 2023: Ohnmächtig, aber nicht hilflos
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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