Italien streitet über ein Buch. Die Welle der Empörung ist sogar über die Alpen geschwappt. Geschrieben hat «Il mondo al contrario» («Die Welt steht Kopf») der General Roberto Vannacci. Es ist zur Zeit das erfolgreichste italienische Buch auf Amazon.
In dieser angeblich verkehrten Welt steht Vannacci nun am Pranger: «Homophob», «sexistisch», «rassistisch» und «rechtsradikal» sei er, und zwar, weil er sich unter anderem gegen die Cancel Culture sowie die Woke-Ideologie ausspricht und für die traditionelle Familie eintritt. So ist er beispielsweise der Ansicht, dass der Feminismus schuld an Abtreibungen, Scheidungen und niedrigen Geburtenraten sei.
Vannacci schreibt auch, Homosexuelle seien «nicht normal». Das sage nicht nur die Natur, «die allen normalen gesunden Lebewesen die Möglichkeit zur Fortpflanzung gibt», auch die Gesellschaft sage: «Ihr seid eine winzig kleine Minderheit». In einem Interview mit der linken Tageszeitung la Repubblica erläuterte der General:
«Auch ich bin nicht normal, ich bin abnormal. Bei den Spezialeinheiten habe ich Dinge getan, die normale Menschen nicht tun. Ich mache die Abnormalität zu einem Vorzug. Und in der Tat schreibe ich, dass Normalität nicht besser oder schlechter ist. Doch wenn wir über Gewohnheiten sprechen, gibt es etwas, das normal ist und etwas, das es nicht ist. Zu behaupten, dass eine Minderheit normal ist, ist ein Widerspruch.»
Vannacci kritisiert unter anderem auch die Netto-Null-Politik, durch die angeblich die Klimaerwärmung aufgehalten werden soll. Seine Aussage, das Klima habe sich schon immer verändert, wertet der Schweizer Tages Anzeiger als «altbekannte Waffe rechtspopulistischer Kulturkämpfer».
Wie Nicholas Farrell in der Weltwoche erklärt, ist das Leitmotiv des Buches die Diktatur von Minderheiten über die Mehrheit. Gemäss Vannacci hätten die Minderheiten den gesunden Menschenverstand in sein Gegenteil verkehrt.
Laut dem Stern steigt der General «gerade zum neuen Held all derer auf, denen Premierministerin Giorgia Meloni zu gemässigt erscheint». So äusserte der Lega-Chef und gegenwärtige Minister für Transport und Infrastruktur, Matteo Salvini, Sympathien für den General. Der Tages Anzeiger sieht darin einen «verzweifelten Versuch, seinen persönlichen politischen Abstieg und den Niedergang seiner Partei zu stoppen».
Besondere Empörung verursachten Vannaccis Äusserungen über die italienische Volleyballspielerin Paola Egonu, die nigerianische Eltern hat. Dem General zufolge ist Egonu «somatisch gesehen keine Italienerin». In der rechten Zeitung il Giornale erläutert er, diese Aussage sei falsch dargestellt worden:
«Paola Egonu ist Italienerin, sie nimmt an Wettbewerben teil und repräsentiert definitiv Italien. Was ich damit sagen will, ist, dass ihre körperlichen Merkmale nicht die Italianità repräsentieren, wie sie 4000 Jahre Geschichte seit den Fresken der Etrusker gezeigt haben. Wenn man nach Papua-Neuguinea geht und um das Porträt eines Italieners bittet, wird er nicht mit schwarzer Haut gezeichnet, weil wir traditionell nicht schwarz sind.»
Gemäss Vannacci gibt es in Italien Tabus. Viele Menschen, mit denen er gesprochen habe, würden jedoch wie er empfinden. Der General ist der Meinung, dass unsere westliche Zivilisation auf der Meinungsfreiheit beruht. Er macht klar:
«Hoffen wir, dass wir nicht zu den Ketzern zurückkehren, zum Scheiterhaufen für abweichende Meinungen. Ich bin bereit, Zeile für Zeile über ‹Il mondo al contrario› zu diskutieren, wobei ich sicher bin, dass ich niemanden beleidigt oder beschimpft habe. Ich habe mich nicht sexistisch ausgedrückt und ich bin nicht homophob.»
Als Offizier und Stabsoffizier war Vannacci unter anderem in Afrika, Afghanistan und im Irak tätig. Wegen seiner führenden Tätigkeit in der Armee stellt L’AntiDiplomatico die Rolle Vannaccis als Dissidenten in Frage. Die Debatte um sein Buch sei eine «Fehde innerhalb des kulturellen Systems des Imperialismus». Und zwar zwischen denjenigen, die den «guten alten Zeiten» einer Welt nach dem Gleichnis von «Reagan-Amerika» nachtrauern, und denjenigen, die stattdessen «das neue regenbogenfarbene und integrative Gewand der internationalen Diktatur Washingtons bevorzugen». Das Portal stellt fest:
«Hätte Vannacci sich von seinen Aktionen im Nahen Osten distanziert, hätte er die völlige Unterordnung der italienischen Institutionen und damit auch der Armee unter die Interessen der USA kritisiert, indem er angeprangert hätte, wie unser Staat im Namen von Interessen, die sich von denen der überwältigenden Mehrheit der Italiener völlig unterscheiden, an Aggressionskampagnen teilgenommen hat, die auch das Leben zahlreicher italienischer Soldaten gekostet haben, wäre die Verurteilung umfassend, unverzüglich und überparteilich gewesen.»
Verteidigungsminister Guido Crosetto hat Vannacci jedenfalls von seinem Posten als Präsident des Istituto Geografico Militare in Florenz, das Landkarten herstellt, enthoben.
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