Der Einsturz der Francis-Scott-Key-Brücke in Baltimore in der Nacht zum 26. März hat laut dem Journalisten Sonali Kolhatkar in den USA Schockwellen ausgelöst. In einem am Montag auf dem Portal Counterpunch veröffentlichten Beitrag setzt er sich mit den grundlegenden Ursachen des Vorfalls auseinander.
Die Brücke sei nicht für den direkten Aufprall eines so grossen Containerschiffs wie der «Dali» gebaut worden. Das Schiff hatte das Bauwerk innerhalb weniger Minuten zum Einsturz gebracht, nachdem es mit Motorschaden unkontrolliert auf die Brücke zugetrieben war. Kolhatkar stellt klar:
«Der Vorfall ist ein Symbol dafür, wie der ungebremste Kapitalismus dazu geführt hat, dass Sicherheitsbelange dem Profitstreben untergeordnet wurden.»
Die vom Schifffahrtskonzern Maersk betriebene «Dali» hatte den Angaben nach mehr als 800 Tonnen ätzender und brennbarer Stoffe geladen. US-Verkehrsminister Pete Buttigieg habe das 95’000-Tonnen-Schiff mit einem Flugzeugträger verglichen, so Kolhatkar. Zum Zeitpunkt des Baus der Brücke, den 1970er Jahren, seien Frachtschiffe noch nicht so gross gewesen.
Diese Schiffe seien in den letzten Jahrzehnten immer grösser geworden. Ein Wirtschaftswissenschaftler habe gegenüber der US-Zeitung New York Times (NYT) erklärt, dass die Schifffahrtsunternehmen «das taten, was sie für sich am effizientesten hielten – die Schiffe gross zu machen – und dem Rest der Welt keine grosse Beachtung schenkten».
In der Folge seien die Wasserstrassen ausgebaut worden, um den Giganten Platz zu bieten – «oft auf Kosten der Allgemeinheit», so der Autor. Etwa 90 Prozent aller gehandelten Waren, die von einem Teil der Welt in den anderen verschifft werden, werden danach auf dem Wasserweg transportiert.
«Mit dem zunehmenden Profitstreben der Unternehmen ist auch der Handel globalisiert worden. Und Sicherheitsbedenken sind in den Hintergrund getreten, wie eine von Jacobin veröffentlichte Untersuchung zeigt.»
Laut Kolhatkar hat das US-Arbeitsministerium 2023 eine Beschwerde gegen Maersk untersucht, weil es Vergeltungsmassnahmen gegen einen Whistleblower ergriffen habe. Der hatte dem Bericht nach auf Sicherheitsbedenken hingewiesen.
Ein ähnliches Szenario der Gefährdung der Sicherheit im Dienste des Profits habe sich bei Boeing, einem der weltweit führenden Flugzeughersteller, abgespielt, schreibt der Journalist. Im Januar dieses Jahres sei ein Flug der Alaska Airlines mit einer Notlandung geendet, weil das Flugzeug, eine Boeing 737 Max, mitten im Flug ein Panel verloren habe.
Die NYT habe dazu einen Beitrag mit der Schlagzeile «Boeing steht vor einer schwierigen Balance zwischen Sicherheit und finanzieller Leistung» veröffentlicht. Darin sei das Dilemma für die Führungskräfte von Boeing mit folgender Frage umrissen worden: «Sollen sie die Sicherheit oder die finanzielle Leistung in den Vordergrund stellen?»
Das Flugzeugbauunternehmen habe «jahrelang zu viel Wert auf die Steigerung der Gewinne und die Bereicherung der Aktionäre durch Dividenden und Aktienrückkäufe gelegt und nicht genug in Technik und Sicherheit investiert». Kolhatkar meint gar: «Ein unsicheres Flugzeug ist kein Flugzeug, es ist eine Todesfalle.» Und weiter:
«Und doch läuft in einem kapitalistischen Rahmen alles auf eine Kosten-Nutzen-Analyse hinaus. Wenn die Kosten für die Sicherheit von Unternehmen wie Boeing oder Maersk den finanziellen Nutzen übersteigen, ist es das für die Führungskräfte und Aktionäre einfach nicht wert.»
In diesem Zusammenhang macht Kolhatkar auch auf Folgendes aufmerksam: Während der Alaska-Airlines-Flug dieses Mal glücklicherweise keine Todesopfer gefordert habe, hätten Hunderte von Menschen an Bord von Boeing 737-Maschinen in den Jahren 2018 und 2019 nicht so viel Glück gehabt.
«Die Arbeiter in den Boeing-Fabriken in Washington und South Carolina, in denen die Flugzeuge zusammengebaut werden, müssen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit arbeiten und Kompromisse bei der Sicherheit eingehen, um die Flugzeuge so schnell wie möglich zu produzieren.»
Die gefährdeten Arbeitnehmer und die Öffentlichkeit würden den Preis für diese unternehmerische Hybris zahlen. Im Fall des Brückenunglücks in Baltimore seien alle 22 Arbeiter an Bord der «Dali» indischer Herkunft. Ihr schnelles Handeln bei der Benachrichtigung der Behörden über den Stromausfall des Schiffes habe die Zahl der Opfer so gering wie möglich gehalten.
Ein Mitglied der Schiffscrew sei verletzt, während es sich bei den sechs vermutlich toten und den zwei aus dem eiskalten Wasser geretteten Personen um eingewanderte Arbeiter aus Mexiko und Mittelamerika handele, die als Teil eines Bautrupps auf der Brücke gearbeitet hätten.
Kolhatkar macht zudem auf die Tatsache aufmerksam, dass Bauarbeiter in den USA überproportional häufig aus lateinamerikanischen Einwanderergemeinschaften stammen und viele von ihnen an arbeitsbedingten Verletzungen sterben. Nach Angaben des Bureau of Labor Statistics seien im Jahr 2022 792 und damit 63,5 Prozent aller 1248 Todesfälle unter hispanischen und lateinamerikanischen Arbeitern auf im Ausland geborene hispanische oder lateinamerikanische Arbeiter zurückzuführen gewesen.
«Auch die Steuerzahler zahlen den Preis für die Profitgier der Unternehmen auf Kosten der Sicherheit», stellt der Autor klar. Die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten an der Brücke von Baltimore würden aus der Staatskasse bezahlt. Kolhatkar betont:
«Es ist von entscheidender Bedeutung, Unfälle, die darauf zurückzuführen sind, dass Unternehmen ihre Gewinne über die Sicherheit und die Menschen stellen, in den richtigen Kontext zu stellen.»
Diese Vorfälle seien keine Einzelfälle oder unvorhersehbar: «Sie sind die Kosten der Geschäftstreibens – Kosten, für die wir alle mit Geld und Menschenleben bezahlen.»
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2023 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare