Die Idee einer europäischen Armee wird seit den 1950er Jahren diskutiert, als der Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) scheiterte. Die EVG hatte zum Ziel, eine gemeinsame, europäische Armee zu schaffen. Mit dieser sollte eine erneute kriegerische Auseinandersetzung in Europa verhindert und eine weitere westeuropäische Einigung befördert werden. Das Projekt scheiterte 1954, als es im französischen Parlament doch keine Mehrheit erhielt. Im Jahr darauf wurde die westdeutsche Wiederbewaffnung stattdessen durch den NATO-Beitritt der Bundesrepublik ermöglicht.
Die europäische Einigung wurde zunächst auf wirtschaftlicher Ebene vorangetrieben, was zur Gründung und Vertiefung der heutigen europäischen Institutionen führte. Seither taucht die Idee einer europäischen Armee hin und wieder auf, hat aber bisher keine wirklichen Fortschritte gemacht. Angesichts der geopolitischen Lage wird sie nun wieder aufgeworfen.
Ein Insider nimmt nun auf der Plattform Foreign Policy Stellung zur einer möglichen Schaffung einer europäischen Armee. Bart M. J. Szewczyk trägt viele Hüte. Unter anderem ist er beim German Marshall Fund tätig, nebenamtlicher Professor an der Sciences Po in Paris, ehemaliges Mitglied des Policy Planning Staff des US-Aussenministeriums und Autor eines Buches über eine neue Weltordnung. Sein Lebenslauf weist ihn daher als Atlantiker aus. Kritik an der NATO und der aussenpolitischen Strategie der USA ist von ihm nicht zu erwarten.
Dennoch sind die Ansichten des Insiders interessant. Die Gründe für die gegenwärtige geopolitische Lage sieht er ausschliesslich in der «Bedrohung durch ein expansives Russland, das die Nachkriegsordnung in Europa durch militärische Mittel zu ändern versucht» und nicht bei der NATO, die sich im Gegensatz zu mündlichen, aber protokollierten Zusicherungen immer mehr nach Osten ausdehnt.
Trotzdem denkt er, dass die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Armee angesichts der bestehenden nationalen Interessen und der Struktur der Europäischen Union äusserst unwahrscheinlich und auch nicht ratsam sei.
Die Theorie einer gemeinsamen Armee klinge zunächst attraktiv: Kosten sparen, Effizienz steigern und die militärische Schlagkraft Europas erhöhen. Doch solange die EU aus souveränen Nationalstaaten bestehe, bleibe die Umsetzung dieses Konzepts eine Herausforderung. Jedes Mitgliedsland würde weiterhin seine eigenen nationalen Interessen verfolgen.
Stattdessen argumentiert er, dass eine Stärkung der nationalen Streitkräfte der europäischen Länder effektiver wäre. Durch eine enge Koordination und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Militärs könnten die Verteidigungsfähigkeiten Europas gestärkt werden, während gleichzeitig die Flexibilität erhalten bleibt, um auf verschiedene Bedrohungen reagieren zu können. Dieser Bottom-up-Ansatz würde es den einzelnen Mitgliedsstaaten ermöglichen, ihre nationalen Sicherheitsinteressen zu wahren, während gleichzeitig eine gewisse Kooperation auf EU-Ebene gewährleistet wird.
Des Weiteren wird betont, dass eine EU-weite Koordination im Verteidigungsbereich auch weiterhin mit den NATO-Partnern ausserhalb der EU wie den USA, Grossbritannien und Norwegen stattfinden sollte.
Der Autor weist der EU bei der Verteidigung eine Rolle zu, aber vor allem bei der Schaffung eines regulatorischen Rahmens, der Investitionen in Verteidigungstechnologie fördert und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten ermöglicht.
Kommentar von Transition News
Der Beitrag von Bart M. J. Szewczyk ist wohl offiziös das, was die Planer im NATO-Hauptquartier und in Washington denken. Seit dem Brexit hat sich innerhalb der NATO zusätzlich das Gewicht in Richtung von Ländern verschoben, die nicht der EU angehören.
Einfach gesagt dürfte das dazu führen, dass militärische Entscheidungen weiterhin ausserhalb der EU-Institutionen gefällt werden, diese aber als Zahlvater sehr willkommen sind. Bei diesen Entscheidungen behalten die USA das letzte Wort. Deshalb werden sie alles tun, um zu verhindern, dass sich an diesen Kräfteverhältnissen etwas ändert – auch wenn europäische Länder im Rahmen der Zielvorgabe für Rüstungsausgaben von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung aufrüsten.
Man sah 1956 bei der Suezkrise, welche Konsequenzen sie zu gewärtigen haben, wenn NATO-Länder etwas ohne den Einbezug der USA planen (oder sogar durchführen).
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