Der Traum von einem geeinten Europa existiert schon seit mehr als 2000 Jahren. Dabei gelten die alten Griechen als die Ersten, die eine Vorstellung von einem Kontinent «Europa» entwickelten und ihm auch seinen Namen gaben. Er entstand womöglich als Abgrenzung zur «asiatisch» empfundenen Kultur der seinerzeit expandierenden Perser.
Mit der Entstehung der Europäischen Union, deren Anfänge in die 1950er Jahre zurückreichen, nahm der europäische Gedanke dann konkret Gestalt an. Er war und ist, jedenfalls offiziellen EU-Verlautbarungen zufolge, geprägt von hehren Zielen.
Dazu gehören die Eindämmung von sozialer Ungerechtigkeit und von Diskriminierung, die Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts und der Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsländern sowie die Förderung des Friedens, der europäischen Werte und des Wohlergehens ihrer Bürger/innen.
Wie aber steht es nach nur rund 70 Jahren um die Umsetzung dieser Ziele und um das «Projekt» Europa überhaupt? Laut Allister Heath von der Sunday Times so schlecht, dass er sich genötigt sieht, in einem Kommentar zu schreiben:
«Es ist an der Zeit, den Untergang des alten Europas zu beklagen.»
Der einst reichste und fortschrittlichste Kontinent der Welt sei am Ende, sein demütigender Fall sei für den Rest der Welt, wenn nicht sogar für die verblendeten Europäer nur allzu offensichtlich.
Seine «selbstverschuldeten Pathologien» – katastrophales wirtschaftliches Versagen, nahezu völlige geopolitische Irrelevanz, eine Migrations- und Integrationskrise und ein klaffendes Demokratiedefizit – hätten sich inzwischen «metastasiert». Deutschland, Frankreich, die Niederlande und andere Länder stünden am Rande einer sozialen Explosion, wobei die Landwirte die letzten seien, die sich radikalisiert hätten.
Jeder junge, ehrgeizige Europäer wäre besser dran, wenn er in die USA auswandern würde, vor allem nach Florida oder Texas. Dort würde er oder sie weniger Steuern zahlen und überhaupt ein besseres, glücklicheres und freieres Leben führen – und dazu noch mit geringerer Wahrscheinlichkeit einem «totalen Krieg» ausgesetzt sein. «Ihr Lebensstandard wird drastisch höher sein», ist Heath überzeugt. Und weiter:
In dem 248 Jahre währenden innerwestlichen Wettstreit zwischen den USA und Europa hat es nur einen Sieger gegeben. Auch Amerika ist krank, wie sein eigener sozialer Verfall, der Aufstieg der ‹Woke›-Ideologie und die absurde Neuauflage des Greisenduells zwischen Donald Trump und Joe Biden zeigen.
Doch anders als in Paris, Berlin, Rom oder Brüssel ist von seinem kapitalistischen Geist, seiner Dynamik, seinem Unternehmertum, seiner Liebe zur Wissenschaft, zur Leistungsgesellschaft und zur Technologie noch genug übrig geblieben, um die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu überstehen.
Europas grösstes Vermächtnis in die Welt, wie Kapitalismus, individuelle Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, würde in den USA weiterleben. Demgegenüber gebe es für den europäischen Kontinent keinen Weg dorthin zurück. Denn in Europa habe man sich Dingen wie dem Nihilismus, dem Illiberalismus und der Politik des Neids verschrieben. Man glaube dort, dass die Rettung des Planeten die Schliessung erfolgreicher Industrien und die Verarmung seiner Bevölkerung erfordere.
Selbst der Brexit, das ultimative Warnsignal, habe daran nichts geändert. Die herrschende Klasse Europas habe den Austritt des Vereinigten Königreichs als Irrweg abgetan, als Eigentor sich selbst schädigender britischer Exzentriker. Und diese Klasse habe an ihrer gescheiterten Politik festgehalten. Sie habe sich geweigert, den Wählern zuzuhören. «Kein Wunder, dass ihre Wut immer entflammbarer, unausgegorener und unkonzentrierter wird», so Heath.
Zumal die Wohlfahrtsstaaten implodierten, da die Steuern für die Jungen in die Höhe schnellten, um die Gesundheitsversorgung und die Renten für die Alten zu bezahlen. Die einzige Antwort der Euro-Eliten heisse: «noch mehr Migration». Doch die werde potenziell gefährlichen Extremisten Auftrieb geben.
Grossbritannien sei derweil genau wie das restliche Europa «in einem entsetzlichen Zustand». Das Problem dabei sei, dass sich das Establishment geweigert habe, den Brexit zu nutzen, um mit der Brüsseler Regulierungsphilosophie zu brechen und die britische Wirtschaft weg von den stagnierenden EU-Märkten zu führen. Grossbritannien leide daher zunehmend unter denselben Pathologien wie Europa und stehe vor einem ähnlichen Niedergang.
Das Ergebnis sei, dass die Kluft zwischen den USA und Europa in Bezug auf den Lebensstandard immer grösser werde. Im letzten Quartal 2023 sei das US-BIP um annualisierte 3,3 Prozent gewachsen, die Eurozone hingegen um null Prozent. Und die deutsche Wirtschaft sei erneut geschrumpft. Und weiter:
«Das Hochsteuer- und Hochregulierungsmodell des Kontinents hat zu jahrzehntelanger Leistungsschwäche geführt. Und nun legen Emmanuel Macron, die EU sowie die niederländische und die deutsche Regierung absichtlich weite Teile ihrer Landwirtschaft still, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen. Die Deutschen zerstören ihre Autoindustrie und Europa wird stattdessen chinesische Elektrofahrzeuge importieren.
Jahrzehntelange ‹Industriestrategien› und Subventionen haben es nicht geschafft, eine europäische Tech-Industrie von Weltrang zu schaffen. Der wirtschaftliche Selbstmord des Kontinents führt bereits zu einer Abwanderung der besten und klügsten Köpfe.»
Kommentar von Transition News-Redakteur Torsten Engelbrecht:
Heath spricht viele Punkte an, die gerade auch diejenigen, die von der Politik enttäuscht sind, für diskussionswürdig erachten. Doch man fragt sich, warum die Umstände, dass Europa von «postchristlichem Heidentum» befallen sei, das deutsche Militär ein «Witz» und der Pazifismus «zu tief verwurzelt» sei, wesentlich dazu beitragen sollten, dass «Europa am Ende» sei.
Denn die Historie hat nicht gerade gezeigt, dass mehr Christentum, weniger Pazifismus und mehr Militärausgeben automatisch zu mehr Frieden und Gerechtigkeit führen ...
Natürlich kann man etwa darüber streiten, inwiefern das Militär bei den aktuellen weltweiten politischen Gegebenheiten notwendig ist, und wie die Militärausgaben international verteilt werden sollten, um (mehr) Frieden in der Welt zu schaffen. Doch die weltweiten Militärausgaben haben bereits die Zwei-Billionen(!)-Dollar-Marke – in Zahlen: 2’000’000’000’000 – geknackt. Und dennoch ist die Welt nicht friedlicher geworden.
Da drängen sich die Fragen auf, ob nicht das aktienmarktdominierte System, das die Welt dominiert, das Problem ist, und welche Rolle hier insbesondere die Nichtverhinderung von Korruption spielt.
Die Begriffe «korrupt» oder «Korruption» kommen in Heaths Beitrag derweil kein einziges Mal vor – genauso wenig wie der Vorschlag, einen grossen «Batzen» von den weltweiten Militärausgaben umzuschichten und mit den dann frei werdenden Geldern dem Hungerleid auf der Erde ein Ende zu setzen und weltweit korruptionsresistente Demokratien aufzubauen.
Auch mag sein Rat, in die USA auszuwandern, reizvoll erscheinen. Doch dabei sollte man sich vergegenwärtigen, dass die normalen Beschäftigten von den gestiegenen Erträgen der US-Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas abbekommen, wie Analysen zeigen.
Wenn also Heath in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass die US-Wirtschaft wächst, die deutsche zum Beispiel hingegen nicht, dann mag dies für börsennotierte Unternehmen und deren Lenker eine gute Nachricht sein – die «Masse» der Bevölkerung, auch die der USA, hat davon nichts ...
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