1972 veröffentlichte der Club of Rome die Studie zur Lage der Menschheit «Die Grenzen des Wachstums». Darin war auch die Ausbeutung von Rohstoffreserven zentrales Thema – und es wurde die These aufgestellt, dass die Rohstoffvorräte vor dem Jahr 2100 erschöpft sein würden.
Was das Nordseeöl angeht, auf das Grossbritannien Zugriff hat, so scheint sich diese These zunehmend zu bewahrheiten.
So schreibt The Telegraph in dem Beitrag «Why the death of North Sea oil is a disaster for Britain» (Warum der Tod des Nordseeöls eine Katastrophe für Grossbritannien ist), «das Vereinigte Königreich hat seinen wertvollsten Aktivposten vergeudet und sich damit in eine gefährliche Lage gebracht».
Als Beispiel für diese dramatische Situation nennt die Zeitung Brent Charlie – eine gewaltige Ölplattform, die «weit draussen in der Nordsee verlassen auf ihr Schicksal wartet». Brent Charlie sei der letzte Rest des Brent-Feldes – «einer so grossen Ressource, dass sie einst ein Drittel des täglichen Ölbedarfs des Vereinigten Königreichs deckte». The Telegraph:
«Das in den 1970er Jahren entdeckte Brent-Ölfeld förderte einst 184 Millionen Barrel Öl pro Jahr und brachte dem Eigentümer Shell Milliarden und dem Fiskus 20 Milliarden Pfund an Steuereinnahmen ein. Das Feld war so gross, dass vier riesige Plattformen benötigt wurden, um seine Reichtümer zu fördern – Brent Charlie, Alpha, Bravo und Delta.
Heute sind Alpha, Bravo und Delta verschwunden, von ihren Trägern abgeschnitten und auf den Schrottplatz gebracht. Später in diesem Jahr werden auch der Brent Charlie die Beine weggeschnitten und sie wird auf die Pioneering Spirit verfrachtet – ein riesiges Schiff, das speziell dafür konzipiert ist, verfallende Öl- und Gasanlagen zu zerlegen.»
Die Pioneering Spirit und die wachsende Flotte ähnlicher Schiffe, die Bohrinseln abtransportieren, würden vor arbeitsreichen Jahren stehen. In den Gewässern rund um Grossbritannien würden Hunderte weiterer Öl- und Gasanlagen verstummen. «50 Jahre nach dem Beginn der Nordsee-Bonanza steht der endgültige Niedergang bevor», so The Telegraph.
So müssten die stillgelegten Bohrinseln nicht nur an Land gezogen werden, auch müssten fast 8000 Bohrlöcher, die tief in den Meeresboden gebohrt wurden, gestopft werden.
Die Bohrinseln seien derweil aus mit Stahlstäben verstärktem Beton gebaut worden, als man sich noch Gedanken darüber gemacht habe, wie man die Winde von 200 Meilen pro Stunde und die 80 Fuss (rund 24 m) hohen Wellen im Atlantik nordöstlich von Shetland überstehen könnte. «Niemand dachte an ihre spätere Beseitigung», so The Telegraph.
Die entstandenen Bauwerke würden jeweils 300’000 t wiegen, so viel wie das Empire State Building in New York. Sie hätten auch als Öllagertanks gedient und würden daher Tausende von Tonnen giftigen Ölschlamms enthalten.
Vor sechs Jahren habe die North Sea Transition Authority (NSTA) die Kosten für die Beseitigung aller verrosteten Überreste der britischen Nordseeunternehmen auf 60 Milliarden Pfund geschätzt. Die Herausforderung des Schrotthaufens umfasse 320 feste Anlagen, 250 «Unterwassersysteme» – also Bohrlochköpfe und andere Ausrüstungen auf dem Meeresboden – sowie 20’000 Meilen an Pipelines, die sich zwischen Bohrlöchern, Plattformen und der Küste schlängeln.
Die kostspieligste Herausforderung seien jedoch die 7800 Bohrlöcher, die sich oft mehr als eine Meile in den Felsboden erstrecken. Bei jedem dieser Bohrlöcher müssten Teile des Stahlgehäuses entfernt und mit Zement verschlossen werden – ein Prozess, der wahrscheinlich die Hälfte des gesamten Stilllegungsbudgets verschlingt.
In diesem Zusammenhang zitiert The Telegraph einen der erfahrensten Ingenieure der Branche mit folgenden Worten:
«Jedes nicht verschlossene Bohrloch ist eine Bedrohung für die Zukunft, da es möglicherweise über Jahrzehnte oder Jahrhunderte schadstoffhaltige Öle oder Methan, ein starkes Treibhausgas, in den Ozean entweichen lässt.»
Für das Finanzministerium sei jedoch nicht die zukünftige Verschmutzung das Problem, sondern die Kosten. Und in Grossbritannien würden Stilllegungen als Betriebsausgaben behandelt, was bedeute, dass sie mit Gewinnen aus den Vorjahren verrechnet werden können, um die Steuerrechnung zu senken. «Allein die Brent-Sanierung von Shell hat das Finanzministerium seit 2018 600 Millionen Pfund an Steuererstattungen gekostet», so The Telegraph.
Wie viel das Ende der Nordsee die Steuerzahler letztlich kosten werde, sei umstritten. Das National Audit Office (NAO) habe in einem Bericht aus dem Jahr 2019 geschätzt, dass dem Fiskus eine Rechnung in Höhe von 24 Milliarden Pfund (aktuell etwas mehr als 28 Milliarden Euro) für solche Rückerstattungen bevorstehe.
Die massenhaften Stilllegungen seien, so betont The Telegraph, weder das Ergebnis von Umweltprotesten noch auf einen Mangel an Nachfrage zurückzuführen. Auch das Angebot gehe nicht zurück. So seien in den vergangenen fünf Jahrzehnten Öl und Gas im Gegenwert von 47 Milliarden Barrel Öl gefördert worden, doch seismische Untersuchungen lassen vermuten, dass noch weitere 25 Milliarden Barrel vorhanden seien.
Doch die Produktion sei nun rapide rückläufig. So würden Daten der North Sea Transition Authority (NSTA), der staatlichen Regulierungsbehörde, zeigen, dass die britische Ölproduktion im Jahr 2000 mit 150 Millionen Tonnen Öl pro Jahr ihren Höhepunkt erreicht habe – was etwa dem Doppelten des nationalen Verbrauchs entsprochen habe. Zudem habe man etwa 108 Milliarden Kubikmeter Gas produziert – etwa 20 Milliarden mehr als verbraucht worden sei. The Telegraph:
«Exporte, Arbeitsplätze und Steuern boomten. Die Öl- und Gasindustrie beschäftigte 500’000 Menschen direkt oder in ihren Lieferketten, und ihre Produkte waren die wesentlichen Brennstoffe, die nicht nur unsere Häuser und Fahrzeuge, sondern das gesamte Vereinigte Königreich antrieben.»
In den fünf Jahrzehnten bis 2020 habe die Offshore-Industrie rund 400 Milliarden Pfund an Steuern in die Kassen des Finanzministeriums gespült. Doch der Kontrast zu heute könne kaum grösser sein. So habe Grossbritannien 2023 nur 38 Millionen Tonnen Öl gefördert und damit 74 Prozent weniger als im Jahr 2000 und etwa 20 Millionen Tonnen weniger als man aktuell benötige.
Die Gasproduktion wiederum habe 30 Milliarden Kubikmeter betragen – weniger als die Hälfte des Bedarfs. Die Zahl der Arbeitsplätze sei auf 130’000 gesunken, die Steuereinnahmen auf etwa 3 Milliarden Pfund.
Die Abhängigkeit des Vereinigten Königreichs von Öl und Gas habe sich indessen kaum verändert. «Wir beziehen immer noch 75 Prozent unserer gesamten Energie aus Öl und Gas – genau wie vor zwei Jahrzehnten», so The Telegraph.
Und es werde nur allzu deutlich, dass der Verbrauch in Grossbritannien an fossilen Brennstoffen niemals so schnell sinken werde wie die Menge an Öl, das man aus der Nordsee heraushole, zurückgehen werde.
Dass es so weit kommen konnte, liege vor allem auch daran, dass der Ölboom gewaltige Umwälzungen in der britischen Wirtschaft ausgelöst und auch dazu beigetragen habe, in den 1980er Jahren Maggy Thatchers Steuersenkungsprogramm zu finanzieren.
Länder wie Norwegen hingegen hätten bei der Verwaltung ihres Öl- und Gasreichtums einen ganz anderen Ansatz gewählt. The Telegraph:
«Im Jahr 1990, als Grossbritannien seine Einnahmen aus der Nordsee zur Finanzierung von Kämpfen gegen die Gewerkschaften und zur Stützung der Tagesfinanzen verwendete, richtete Norwegen ein riesiges Sparkonto ein, das heute als Staatsfonds bekannt ist.
Dieser Fonds kontrolliert heute Vermögenswerte im Wert von 1,5 Billionen Pfund, einschliesslich eines Anteils an 113 Gebäuden in der Londoner Regent Street, vom Apple-Flaggschiff bis zum Hamleys-Spielzeugladen.
Der norwegische Staatsfonds verfügt heute über das Äquivalent von etwa 250.000 Pfund für jeden Bürger – genug, um die Nation für viele Jahrzehnte zu versorgen, auch noch lange nachdem das Öl und Gas ausgegangen ist.»
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