«Es ist etwas potenziell Großes passiert.» Das habe ihm ein US-Geheimdienstmitarbeiter zum israelischen Gegenschlag auf den Iran am 19. April erklärt, schreibt der Journalist Seymour Hersh in einem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag.
Die israelische Entscheidung, die iranische Atomanlage Natanz nicht anzugreifen, könnte zu einem völlig neuen Nahen Osten führen, sei ihm gesagt worden, so Hersh. Und: «Israel hat gezeigt, dass die iranische Atombombe ein falscher Alarm war.»
Das zählt laut dem investigativen US-Journalisten zu den wichtigsten Erkenntnissen aus dem israelisch-iranischen Schlagabtausch. Der begann mit dem israelischen Bombenangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus am 1. April und wurde mit einem massiven iranischen Angriff auf Israel am 13. April fortgesetzt.
Der nächste Schlag Israels soll laut Hersh mit zwei Kampfflugzeugen ausgeführt worden sein. Diese hätten ausserhalb des iranischen Territoriums «Hyperschallraketen» auf eine iranische Luftabwehranlage nahe der Atomanreicherungsanlage bei Natanz abgefeuert.
Die New York Times habe dazu geschrieben, damit sei Teheran signalisiert worden, dass Israel in der Lage ist, jedes beliebige Ziele mitten im Iran anzugreifen. «Das Tabu gegen direkte Angriffe auf das Territorium der jeweils anderen Seite war nun aufgehoben», so die Zeitung.
Hersh verweist darauf, der israelische Gegenschlag sei weltweit mit Besorgnis aufgenommen worden. Medienberichten zufolge solle US-Präsident Joseph Biden den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu aufgefordert haben, auf aggressivere Angriffe zu verzichten.
Eigene Bedrohungslegende widerlegt?
Doch politische und militärische Experten der US-Geheimdienste sehen das angeblich anders, wie der US-Journalist schreibt. Dass nur die Abwehranlage und nicht die Atomfabrik ins Visier genommen wurde, sei ein «Hinweis auf eine viel tiefere Bedeutung» des Geschehens.
Die bestehe darin, dass die jahrzehntelange Behauptung der israelischen Regierung, der Iran baue an einer Atombombe damit widerlegt sei. Dabei sei ausser Acht gelassen worden, dass das iranische Programm unter der Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde und unter ständiger Kameraüberwachung steht.
Hersh erinnert an zwei streng geheime nationale Geheimdienstschätzungen der USA aus den Jahren 2007 und 2011, über die er in der Zeitschrift The New Yorker berichtet hatte. Die seien ebenfalls zu dem Schluss gekommen, dass der Iran keine Anstrengungen unternommen hat, sein mutmaßlich hochangereichertes Nuklearmaterial in einen Sprengkopf zu verwandeln.
Die US-Atomwaffenexperten hätten trotz jahrelanger Bemühungen keine Beweise für eine unterirdische iranische Anlage gefunden, die hochangereichertes Uran in eine Waffe verwandeln könnte. Die Entscheidung, die Anreicherungsanlage bei Natanz nicht anzugreifen, zeige, dass die israelische Regierung das nun bestätigt.
«Das war’s», habe ihm sein Geheimdienst-Informant dazu mitgeteilt, schreibt der Journalist. Den Israelis sei gesagt worden:
«Der Iran stellt keine Bedrohung dar und Sie wissen das. Dies eröffnet dem Westen und dem Nahen Osten eine neue Chance für eine risikofreie Verhandlungsstärke.»
Was wollte Israel zeigen?
Der Geheimdienstmitarbeiter habe ihm auch erklärt, dass die Aussenpolitiker in der Biden-Administration «keine Ahnung» gehabt hätten, was vor sich geht. Er sei froh gewesen, dass der israelische Angriff «gemässigt» blieb. Bei den Reaktionen darauf habe aber niemand «die richtige Frage» gestellt:
«Wollte Israel der Welt wirklich zeigen, dass es eine iranische Luftabwehranlage mit einer Hyperschall-Superwaffe treffen kann?»
Die Entscheidung der israelischen Führung, Natanz nicht anzugreifen, könne «zu einem völlig neuen Nahen Osten führen». Zudem könne sich der Iran nun «der Welt anschliessen», zitiert Hersh seinen Informanten.
«Israel hat gezeigt, dass die iranische Bombe ein falscher Alarm war.»
Zweifel an den Aussagen der Geheimdienstquelle des US-Journalisten äussert erneut der ehemalige hochrangige CIA-Mitarbeiter Larry Johnson. Hersh berichte «genau das, was ihm seine Quelle(n) sagen. Das bedeutet aber nicht, dass die berichteten Informationen korrekt sind.»
Johnson äussert sich in dem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag auf seiner Webseite auch über die Behauptungen des Journalisten Pepe Escobar. Dieser hatte auf der Plattform Telegram am 20. April behauptet, laut einer Geheimdienstquelle habe die russische Luftabwehr eine israelische F-35 mit einer Atombombe abgeschossen, die über dem Iran gezündet werden sollte.
Der Ex-CIA-Mitarbeiter schreibt, dass Hersh und Escobar darin übereinstimmen, dass ein israelischer Kampfjet durch jordanischen Luftraum flog. Dann sei etwas passiert, als er Irak und Syrien überfliegen wollte. Für Johnson handelt es sich um «ziemlichen Schwachsinn», da der Bericht keinen Sinn ergebe.
Bewusste Täuschung über Vorgänge?
Bisher sei von den Raketentypen Israels nicht bekannt, dass sie die notwendige Reichweite für solch einen Angriff hätten. Es gebe keine Wrackteile der Rakete und überhaupt «Null Beweise», dass israelische Jets in den iranischen Luftraum eindrangen.
Das bedeute, «dass Israel jetzt eine Luft-Boden-Rakete mit einer Reichweite von mehr als 1.000 km im Einsatz hat». Das hält Johnson für «unwahrscheinlich».
Escobar hatte am Mittwoch auf Telegram noch einmal zum «F-35-Mysterium» geschrieben, seine Informationen seien ihm bestätigt worden. Seine Quelle aus einem Geheimdienst habe ihm gesagt, dass «es manchmal keine andere Wahl gibt, als keine Klarstellung zu geben, nachdem die Nachrichten in den Medien erschienen sind».
Ein russischer Diplomat ohne genaue Kenntnisse der Vorgänge habe ihm gegenüber diese als «durchaus möglich» bezeichnet. Und dazu gesagt: «Wenn das wahr ist, dann werden alle Seiten entschlossen sein, es zu vertuschen.»
Escobar schreibt, ihm sei nicht klar, warum «die grosse Machtquelle» ihm die Informationen weitergegeben habe. Er neige zu der Annahme, um damit «Spuren in der Kette zu verwischen».
Gezielte Desinformation?
Nun sei es «Sache eines breiteren Publikums, zu beurteilen, ob – und wie – die Informationen mit neuen Entwicklungen zusammenhängen, die sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit vollziehen und Teil eines neuen Paradigmas sind».
Ex-CIA-Mann Johnson schreibt dazu, dass er Escobar schätze. Dieser sei «weder ein Lügner noch ein Erfinder. Er ist niemand, der nach Ruhm oder Publicity sucht. Er ist ein Reporter und gibt die Geschichte so weiter, wie sie ihm erzählt wurde».
Die eigentliche Frage sei, warum die Quellen diese Geschichte verbreiten. Niemand habe Zugang zu geheimen Informationen, die die Bewegungen israelischer, russischer und amerikanischer Flugzeuge am 18. April 2024 im Detail beschreiben. «Es könnte also wahr sein», so Johnson.
«Es könnte aber auch sein, dass es sich um einen Desinformationsplan handelt, der Pepe in seiner Glaubwürdigkeit angreifen soll. Seine Berichte über die Ukraine und den Krieg zwischen Israel und Palästina sind dem Westen ein Dorn im Auge. Das ist also eine mögliche Erklärung.»
Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter ist sich sicher: «Die Berichte über den gescheiterten Angriff Israels auf den Iran ergeben keinen Sinn.» Es gebe keine genauen Angaben darüber, was passiert sei.
«Gab es einen Raketenangriff, den der Iran abwehrte? Oder war es eine kleine Gruppe von Quadcopter-Drohnen, die abgeschossen wurde? Das ist nicht klar.»
Fakt sei nur, dass die USA und Israel den Angriff erst gross herausstellten, nun aber gar nicht mehr darüber reden wollen. Die «atemlosen Berichte» der US-Medien darüber seien inzwischen versiegt.
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