Letzte Woche hat der neu gewählte Präsident Argentiniens, der libertäre Javier Milei, seine «Grundlagen für den Aufschwung der argentinischen Wirtschaft» auf den Weg gebracht. Der Massnahmenkatalog aus dreissig Punkten sieht eine tiefgreifende Deregulierung der Wirtschaft vor.
In einer seiner ersten Amtshandlungen hat Milei damit auf ein international scheinbar immer beliebter werdendes Mittel zurückgegriffen: die Notverordnung. Die argentinische Verfassung gibt der Exekutive diese Möglichkeit. Jedoch darf das Instrument nur angewendet werden, wenn aussergewöhnliche Umstände es unmöglich machen, die vorgesehenen ordentlichen Verfahren einzuhalten. Ausserdem nur, wenn es sich nicht um Vorschriften handelt, die strafrechtliche, steuerliche oder wahlrechtliche Angelegenheiten regeln oder die politischen Parteien betreffen.
Ein solches «Decreto de Necesidad y Urgencia» (DNU; deutsch: Notwendiges und dringliches Dekret) wird direkt vom Präsidenten zusammen mit dem Ministerrat verabschiedet. Das Parlament, der eigentliche Gesetzgeber, hat dabei nur eine formal prüfende Funktion.
Die einschneidenden Massnahmen des jetzigen DNU 70/2023 hätten laut Milei «sogar die eigenen Reihen überrascht». Das Dekret deklariert «den öffentlichen Notstand in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Steuern, Verwaltung, Sozialversicherung, Gebühren, Gesundheit und Soziales bis zum 31. Dezember 2025». Man könne es in drei fundamentale Bereiche fassen:
«Es gibt einen Teil, der dem Einzelnen mehr Freiheit gibt. Ein anderer Teil betrifft die Deregulierung und den Übergang zu wettbewerbsfähigeren Strukturen, und ein weiterer Teil hat mit der Beseitigung der Fesseln der Politik zu tun.»
Für die Kritik der Opposition hat der Präsident kein Verständnis und er greift sie hart an. Laut dem Magazin Clarín habe er sogar angedeutet, dass einige Abgeordnete ihre Stimmen verkaufen könnten. Auch die Gewerkschaften, die für den heutigen Mittwoch erneut zu Protestdemonstrationen aufgerufen haben, kritisierte er. Milei:
«Es mag sein, dass einige Leute unter dem Stockholm-Syndrom leiden; sie sind in das Modell verliebt, das sie verarmen lässt. Das Dekret ist nicht unternehmensfreundlich, es ist marktfreundlich, es wird den Wohlstand der Menschen erhöhen. (...) Dieses Mal lohnt sich die Mühe.»
«Ich warne Sie, es gibt noch mehr»
Das Dekret hat eine politische und juristische Kontroverse ausgelöst, die gerade erst begonnen habe, befindet Clarín. Milei hatte bereits kurz nach der Veröffentlichung des Dekrets bekundet, dass dies erst der Anfang sei, er habe noch einen «liberalen Schock» auf Lager.
Qualifizierten Quellen in der Casa Rosada, dem Regierungssitz, zufolge werde Präsident Milei dem Kongress in Kürze einen Gesetzentwurf zur Staatsreform vorlegen, der noch ehrgeiziger sei als das «Skandaldekret». Der sogenannte «Gesetzentwurf für die Reform der staatlichen Aufgaben» würde rund 800 Artikel umfassen, die mehr als 400 Seiten einnehmen.
Die neue Gesetzesvorlage sehe Änderungen bei der Vermögenssteuer, die Anhebung der Quellensteuer, ein Steuermoratorium, eine neue Regelung zur Legalisierung bisher nicht gemeldeter Dollarvermögen, die Abschaffung von Subventionen in mehreren Wirtschaftsbereichen und die Deregulierung weiterer Sektoren vor, so das Magazin.
Darüber hinaus solle es Änderungen im Justizwesen, im Zivilgesetzbuch sowie beim Wahlsystem geben: Es sei beabsichtigt, das PASO-Gesetz (Primarias, Abiertas, Simultáneas y Obligatorias), also das System der Vorwahlen abzuschaffen.
Das «Beste»: Der Kongress solle ihm Befugnisse übertragen, die nach der Verfassung bei der Legislative liegen. Gleich im ersten Artikel bitte der Präsident um derartige Handlungsfreiheit, mehr Entscheidungen ohne parlamentarische Kontrolle zu treffen.
Seit der Verabschiedung der Verfassung hätten alle demokratischen Präsidenten mit vom Kongress übertragenen Befugnissen regiert, beschwichtigt Clarín. Noch heute gebe es etwa 300 Gesetze, die eine Übertragung von Befugnissen des Kongresses vorsehen, wie zum Beispiel der Zollkodex oder die Geldschöpfung.
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