Anlässlich der Publikation von Prof. Mattias Desmets Buch «The Psychology of Totalitarianism» hat der Sachbuchautor und Finanzfachmann Marc Friedrich mit dem Autor ein Video-Interview geführt. In dieser Folge der Gesprächsreihe «Marc spricht mit» geht es vor allem um die Frage: Hat sich rund um Corona eine Massenpsychose gebildet?
Desmet, Professor für klinische Psychologie an der Universität Gent (Belgien), erklärt aus psychologischer Perspektive die Corona-Krise, was wir bis jetzt gesehen haben und allenfalls noch sehen werden. Welche Parallelen gibt es zu den bekannten Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts, zum stalinistischen Kommunismus oder dem nationalsozialistischen Faschismus?
Desmet begleitet auch die Entwicklung seiner eigenen Disziplin kritisch. In seinem Buch «The Pursuit of Objectivity in Psychology» konstatierte er, dass sich die akademische Psychologie seit etwa einem Jahrzehnt in einer Krise befindet: Die Replikation der überwiegenden Mehrheit der Forschungsergebnisse scheitere, das Feld werde von einer verwirrenden methodischen Nachlässigkeit geplagt; es seien mehrere Fälle von offenem Betrug aufgetaucht. Jede gründliche Analyse der Validität und Verlässlichkeit von psychometrischen Messverfahren führe zu tiefgreifender Skepsis.
Die Verwendung von Zahlen habe der Psychologie auf den ersten Blick eine Aura von Raffinesse und Exaktheit verschafft; bei näherer Betrachtung bringe sie die Psychologie jedoch eher in die Gefahr, zu einer Pseudowissenschaft zu verkommen. Desmet weist auf, dass eine Vielzahl von Faktoren, die nicht gemessen werden sollen, das Messergebnis beeinflusst und damit das meiste statistische Wissen, das man aus logischen Schlussfolgerungen zieht, wertlos wird.
Einleitend sagt Desmet (ab 2‘25“), er sei durch eine 2005 erschienene Publikation von Prof. John Ioannidis zu diesen Forschungsarbeiten inspiriert worden. Dessen Erkenntnis, dass die meisten publizierten wissenschaftlichen Ergebnisse falsch seien (Replikationskrise), habe er für die Psychologie untersuchen wollen. Darüberhinaus lasse sich so im Zuge der Corona-Krise auch eine Krise der Wissenschaften ausmachen, denn die seien von der Politik als propagandistisches Sprachrohr missbraucht worden, um Gründe für repressive Massnahmen zu finden.
Die überschätzte Gefahr
Desmet sagt, ihm sei früh aufgefallen, dass die Gefährlichkeit des Virus von Beginn an viel zu hoch eingeschätzt worden ist. Ende Mai 2020 sei für ihn gewiss gewesen, dass die Gefährlichkeit um den Faktor 10 zu hoch war. – Desmet (8‘40“):
«In dem Moment, als klar wurde, dass die Modelle völlig falsch waren, wurden das Narrativ und die Massnahmen einfach fortgesetzt, als ob sie richtig gewesen wären.»
Daneben sei ihm auch aufgefallen, dass man keine richtige Kosten-Nutzen-Analyse gemacht habe, was im Zuge von drastischen Massnahmen aber zwingend sei. Institutionen wie die Vereinten Nationen hätten gar noch gewarnt, dass diese zu erheblichen gesellschaftlichen Schäden führen könnten. So habe er sich die Frage gestellt: Was ist los in dieser Gesellschaft?
Nach einigen Monaten sei ihm klar geworden, dass es sich um ein grossangelegtes Phänomen der Massenbildung handle. Diese typische Art von Gruppenbildung habe eine charakteristische und bemerkenswerte Wirkung auf die individuelle psychologische Funktion. Zunächst mache sie blind für alle Informationen, die dem Narrativ, an das die Gruppe glaubt, widersprechen; des weiteren fehle die Fähigkeit zur kritischen Distanz vollständig, egal,wie absurd das Narrativ wird. – Desmet (13‘10“):
«Massenbildung ist jener Prozess der Gruppenbildung, der die Grundlage für alle Arten von Totalitarismus ist.»
Die Massenbildung
Menschen in einer Masse seien bereit, alles zu opfern, was ihnen vor deren Entstehen wichtig war. Das betreffe etwa 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung. Man werde aber nie in der Lage sein, eine Massenbildung zu provozieren, wenn sich die Bevölkerung nicht in einem ganz bestimmten Zustand befinde. Die wichtigste Voraussetzung sei, dass viele Menschen in der Bevölkerung von ihrem sozialen und natürlichen Umfeld abgekoppelt sind und sich einsam fühlen.
Der Grad der Industrialisierung, Digitalisierung und Technologie korreliere stark mit der Zahl der Menschen, die sich abgehängt und einsam fühlen, so Desmet. Weltweit haben dies vor der Corona-Krise 30 Prozent der Menschen angegeben. In den USA und Grossbritannien seien für dieses Problem eigens neue Minister ernannt worden.
Der Einsamkeit folge ein Gefühl von Sinnlosigkeit. 60 Prozent der Menschen hätten angegeben, sie seien überzeugt, einen Bullshit-Job auszuführen. Wenn Menschen sich abgehängt fühlen und einen Mangel an Sinn erfahren, würden sie mit grosser Angst, Frustration und Aggression konfrontiert, so Desmet. Und dies könnten viele nicht mit einer mentalen Repräsentation verbinden, das heisst, sie verstehen nicht, weshalb sie sich so fühlen. Also können sie sich davor auch nicht schützen. – Desmet (20‘10“):
«Wenn die Massenmedien unter diesen Bedingungen ein Objekt für diese Angst darbieten und eine Strategie zum Umgang damit verbreiten, dann könnte sich all diese frei flottierende Angst sofort damit verbinden und die Menschen dazu bereit machen, sich an dieser Strategie zu beteiligen, selbst wenn diese selber völlig absurd ist.»
So entstehe die Illusion, man könne diese Ängste kontrollieren. Und weil viele Menschen gleichzeitig diesen heroischen Kampf austragen und an der Strategie teilnehmen, würden sie sich wieder verbunden fühlen. Die wichtigste Bedingung, die soziale Unverbundenheit und die Einsamkeit, scheint verschwunden zu sein. Das führe zu einem seltsamen mentalen Zustand, einer Art Rausch der extremen Verbundenheit – dem eigentlichen Grund, warum die Menschen sich auf die Erzählung einlassen würden. Sie glauben also nicht, weil es richtig ist, sondern weil sie sich dadurch verbunden fühlen. – Desmet (21‘40“):
«Je absurder das Narrativ und die Massnahmen werden, desto mehr funktionieren sie als Ritual, denn Rituale sind genau die Art von Verhalten, ds in einem pragmatischen Sinne sinnlos ist, aber dem einzelnen ein Opfer abverlangt, durch das dieser zeigt, dass ihm die kollektiven Interessen wichtiger sind als seine individuellen. (...) Und genau das verleiht den Massnahmen ihre psychologische Attraktivität.»
Doch diese Massenbildung basiere nicht darauf, dass Individuen sich mit anderen Individuen verbunden fühlen, sondern es sei lediglich eine Solidarisierung des Individuums mit dem Kollektiv. So hätten im März 2020 alle von Solidarität geredet, aber gleichzeitig haben sie akzeptiert, einem verunglückten Menschen ohne Maske und Handschuhe nicht mehr zu helfen, oder alte sterbende Menschen im Namen der Solidarität nicht zu besuchen.
Massenbildung macht paranoid
Und das sei der Grund, warum in einem totalitären Staat, der immer auf einer Massenbildung beruhe, die Menschen in einer völlig paranoiden Atmosphäre enden würden. Jeder sei dann bereit, jeden einzelnen, sogar seinen Nachbarn, den Sohn oder die eigene Mutter dem Staat zu melden, sobald sich dieses Individuum dem Kollektiv gegenüber als zu wenig loyal zeige. – Desmet (25‘00“):
«Vor zwei Monaten hatte ich ein Gespräch mit Shoraif Ashtari, einer Frau, die während der Revolution 1979 im Iran gelebt hatte. Und sie erzählte mir, sie habe mit eigenen Augen gesehen, (...) wie eine Mutter ihren Sohn beim Staat anzeigte und wie sie ihm den Strick um den Hals legte, bevor er gehängt wurde, und wie sie behauptete, eine Heldin zu sein.»
Ein Merkmal der Massenbildung sei die Tendenz, Menschen, die dort nicht mitgehen, zu stigmatisieren und am Ende Grausamkeiten als eine gleichsam ethische Pflicht zu begehen. Es sei wie bei einer Hypnose, wenn die Aufmerksamkeit nur auf einem kleinen Aspekt der Realität ausgerichtet ist und alles andere so weit ausserhalb der Wahrnehmung liegt, als würde es gar nicht existieren.
Grundsätzlich seien alle Menschen empfänglich für Massenbildung. Doch: je höher der Bildungsgrad, desto anfälliger. In der Masse habe jeder das gleiche verengte Blickfeld; weitergehende Informationen und Argumente könnten gar nicht empfangen werden.
Transhumanismus und Technokratie als totalitäre Ideologie
Desmet meint, es geht nicht darum, dass man die Massen aufweckt, sondern dass man Einfluss und Wirkung erzielt. Denn jedes Mal, wenn man spricht, wird der Prozess der Massenbildung ein wenig gestört, und das ist so wichtig, damit die Hypnose nicht so tief greift, dass Menschen Grausamkeiten begehen. – Desmet (39‘20“):
«Wir sind auf dem Weg zu einem totalitären Regime. (...) Und immer basiert der totalitäre Staat auf einem Narrativ, einer Ideologie, die immer eine pseudowissenschaftliche Ideologie ist, die auf ihrer Theorie stets eine neue Gesellschaft schaffen will. (...) Und ich glaube, dass die zugrundeliegende Ideologie in dieser Situation Transhumanismus und Technokratie ist. Die Menschen glauben, dass wir ohne eine weitreichende technologische Kontrolle niemals in der Lage sein werden, mit den aufkommenden Ängsten wie Terrorismus, Klimawandel, allen Arten von Viren usw. umzugehen.»
Diese Ideologie trete nicht offen zutage, aber alle Narrative, die im Umlauf seien, hätten die gleichen Auswirkungen. Sie würden die Bevölkerung zu überzeugen versuchen, dass die Gesellschaft in eine Technokratie umgestaltet werden sollte, sodass sie nicht mehr von demokratisch gewählten Menschen geführt werde, sondern von technischen Experten und rationalem Wissen. Doch man könne eine Gesellschaft niemals auf der Grundlage von rationalem Wissen organisieren. Der Kern der Gesellschaft und des menschlichen Lebens müssten ethische Prinzipien sein.
Alle grossen Wissenschaftler seien zu dem Schluss gekommen, dass rationales Wissen die Welt nur sehr begrenzt erklären kann, egal, ob Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger, Niels Bohr, Max Planck, Benoît Mandelbrot usw. Es sei unmöglich, das Wesen des Lebens und der Natur des Menschen auf rationale Weise zu begreifen. Jedes komplexe dynamische System, also fast jedes Phänomen in der Natur, sei in sich selbst irrational, zum Beispiel das Turbulenzgleichgewicht oder das Klimasystem. Man sei nicht in der Lage, ihr Verhalten auch nur eine Sekunde im voraus exakt zu bestimmen. – Desmet (50‘20“):
«Der einzige und zugleich zynische Vorteil von Massenbildung und Totalitarismus ist, dass er sich immer selbst zerstört. (...) Die Herausforderung ist, zu schauen, dass das System sich selbst zerstört, bevor es dich zerstört. Der wichtigste Rat ist, sich weiterhin zu Wort zu melden.»
Da es sich um eine Art Hypnose handle, würden totalitäre Führer immer zuerst Indoktrination und Propaganda einsetzen und erst dann Terror. Es sei wichtig, nicht so sehr auf der eigenen Überzeugung zu beharren, aber festzuhalten am Recht zur Artikulation der eigenen Meinung. Auch für diejenigen, die mitmachen, werde es nicht einfach, weil der totalitäre Staat am Ende – in Hannah Arendts Worten – ein Monster wird, der seine eigenen Kinder verschlingt.
Das Wichtigste nicht verlieren
Deswegen lohne es sich, auf der untersten Ebene der Gesellschaft parallele Strukturen aufzubauen, um etwas Unabhängigkeit zu bewahren. Das eigentliche Problem sei eine zu weit getriebene rationalistische Sichtweise. Sobald die an ihre Grenzen gestossen sei, müsse mit einer andern Art von Wissen weitergemacht werden. Und dieses «mitschwingende Weltwissen» sei die wahre Lösung für das Problem der Massenbildung und des Totalitarismus, das immer wieder auftauche. – Desmet (56‘00“):
«Nur wenn wir akzeptieren können, dass unser rationales Verständnis begrenzt ist, können wir anfangen, die Welt auf eine andere Art und Weise zu entdecken. Nur so werden wir das Problem des Totalitarismus, wie wir es jetzt kennen, wirklich überwinden.»
Im Chaos werde es Leute geben, die es zu ihrem Vorteil nutzen, um die Bevölkerung in eine technologisch kontrollierte Gesellschaft zu drängen. Doch wichtiger, als sich mit Vorhersagen zu beschäftigen, sei es, den ethischen Grundsätzen und dem Prinzip der Menschlichkeit treu zu bleiben. Diese müssten sich immer wieder neu finden. Desmet rät, darauf zu achten, dass wir das wahrscheinlich Wichtigste nicht verlieren: die ethischen Grundlagen und die eigene Seele.
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Mehr zu Prof. Mattias Desmet bei Transition News hier.
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Zum Autor:
Mattias Desmet gilt als einer der führenden Experten für die Theorie der Massenbildung bei der COVID-19-Pandemie. Er ist Professor für klinische Psychologie am Institut für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Gent (Belgien) und praktizierender psychoanalytischer Psychotherapeut.
Zu seinen früheren Büchern gehören «The Pursuit of Objectivity in Psychology» und «Lacan’s Logic of Subjectivity». 2018 erhielt er den Evidence-Based Psychoanalytic Case Study Prize der Association for Psychoanalytic Psychotherapy und 2019 den Wim Trijsburg Prize der Dutch Association of Psychotherapy.
Buch-Hinweis:
Mattias Desmet: The Psychology of Totalitarianism. Chelsea Green Publishing, 2022, 240 S., ISBN 978-1-64502-172-8.
Das Buch (auf englisch) kann im deutschsprachigen Raum im Handel erworben werden, zum Beispiel als E-Book beim Kopp-Verlag hier (30,99 €). Eine deutsche Übersetzung des Buches ist derzeit noch nicht verfügbar.
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