Vor einigen Tagen schlabberte die Kampagne #NoLiestal durch den Twitter’schen Buchstabensalat. Das Ganze sollte eine digitale Gegendemonstration zur Demonstration gegen die Corona-Massnahmen vom 20. März 2021 in Liestal darstellen.
Ja, die meisten Demonstranten an der Kundgebung in Liestal trugen keine Maske. Soll das, gebetsmühlenhaft wiederholt, als Totschlagargument dagegen gelten, ein Verfassungsrecht zu beanspruchen (Art. 22 BV), das seit einem Jahr de facto abgeschafft ist?
So eine Geisteshaltung offenbart viel über diejenigen, die sich im solidarischen Vorzeigemäntelchen inszenieren: Einerseits über ihre staatsphilosophische Auffassung; andererseits, wieviel Wert sie Grundrechten zugestehen. Das Solidaritätsargument ist im wahrsten Sinne des Wortes rasch demaskiert. Ist es solidarisch – um nur ein Beispiel zu nennen – die aufgrund der Massnahmen explodierende sozioökonomische Ungleichheit zu ignorieren?
Eine Twitter-Demonstration 2021 geht so: Maske auf, am besten eine mit chinesischer Qualitätszertifizierung, ernste Grimasse, und mit Filzstift einen flotten Spruch des gängigen Narrativs auf Karton kritzeln. Das Ganze collagiert man zu einem Selfie im Home Office und garniert es mit einem Hashtag. #NoLiestal. PR-Kampagne gelungen. Protest für Daheimgebliebene.
Für einen Hashtag und zwei Wörter in der Welt der 140-Zeichen-Häppchen-Gourmets braucht sich niemand artikulieren zu können. Den eigenen affektiven Moralismus zur Schau zu stellen, genügt. So muss auch kein Dialog gesucht werden und keine intellektuelle Anstrengung aufgewendet werden, um sich zu fragen, weshalb es Menschen gibt, die mit den Regierungsmassnahmen unzufrieden sind. Kurz und knackig soll es sein. Je kürzer, desto besser. Denken für Daheimgebliebene.
Brotz gibt den Startschuss
Der Aktion vorausgegangen war ein Tweet des SRF-Manns Sandro Brotz vom 20. März 2021, der die Demonstranten in Liestal pauschal als «Flat Earther» abstempelte.
Quelle: https://twitter.com/sandrobrotz
Über die undifferenzierte Einfältigkeit und Scheuklappen-Weltsicht des gutbezahlten, gebührenfinanzierten Arena-Moderators kann man nur staunen. Doch damit nicht genug. Die vulgärsten Reaktionen auf seinen Flat-Earth-Tweet schnipselte Brotz zu einem weiteren Tweet zusammen. Brotz, das selbstinszenierte Opfer von Hate Speech?
Brotz hat sich sein fragiles Gedankengebäude offenbar aus dem Befehlsrapport des SRF-Wahrheitsministeriums zusammengezimmert. Vielleicht haben solche unkritischen Haltungen etwas damit zu tun, dass im vergangenen Jahr so viele Beschwerden gegen SRF vorgebracht wurden?
Brotz’ Geisteshaltung bestätigt nur, wie sehr die Arena zu einem pseudokritischen TV-Zirkus mit den immergleichen Corona-Lieblingen verkommen ist, bei denen man zuverlässig andocken kann, wenn’s brenzlig wird. Die Weltwoche (Nr. 12/21) urteilt, Brotz sei die «fatalste Fehlbesetzung, die sich SRF je geleistet hat».
Lieber sich im warmen, konformistischen Sumpf des Leutschenbach suhlen, statt sich auf eine Demonstration begeben – was doch der eigentliche Job eines Journalisten wäre. Aber das scheint dem selbstgerechten Wadenbeisser nicht zu entsprechen. Würde sich Brotz der journalistischen Ethik verpflichten und sich um Anstand bemühen, müsste er erkennen, dass es sich nicht einfach bloss um eine Demo von «Flat Earthern» handelte.
Flach ist vor allem die Berichterstattung über die Demonstration gewesen, wie es ein Artikel der Freunde der Verfassung vom 26. März 2021 auf den Punkt bringt. Hier wird auch die offensichtlich mediale Inszenierung der «Flat Earthers» von Liestal thematisiert. Die Autoren waren – im Gegensatz zu Brotz – vor Ort.
«Justsaying» (wie es Brotz in seiner digitalen Flipper-Terminologie ausdrückt), dass seine Kritik an den Massnahmen-Gegnern sich in einem Zirkelschluss verirrt. Oder gibt es Corona-Massnahmen nur deswegen, weil Menschen demonstrieren? Wenn es also keine Demonstrationen gäbe, bräuchte es auch keine Massnahmen? Wenn man sich als besserwisserischer Moralapostel aufspielen will, sollte man aber sauberer argumentieren und vielleicht auch mal selber recherchieren – «justsaying».
Republik bläst ins gleiche Horn
Mit einer ähnlichen Wahrnehmungsverflachung hat auch die Republik zu kämpfen, die es dem Bildungsbürgertum in einem Artikel vom 27. März 2021 etwas mehr sophisticated verklickern will, letzten Endes aber ins gleiche Brotz-Horn bläst und in Liestal lauter Rechtsextreme und «rücksichtslose Massnahmen-Verächter» identifiziert. Auch hier stimmt man in die Ode an die «individuellere und vielfältigere Gestalt» der digitalen Protestform ein. Und auch hier darf das selbstverständliche «Sie trugen keine Masken!»-Bashing nicht fehlen. Die Nazi- und Masken-Keule als stichhaltigstes Argument.
Die bei den Journalisten vorherrschende kognitive Dissonanz könnte damit erklärt werden, dass man über Ereignisse zunehmend vom Schreibtisch aus berichtet, statt vor Ort. Und dass man sich am besten gleich von Anfang an gegenseitig abschreibt. Anders ist die inflationäre Benutzung des Anti-Massnahmenkritiker-Vokabulars, das zum Standardrepertoire jedes gouvernementalen Schreiberlings geworden ist, kaum zu erklären.
Was darf es heute sein? Rechtsesoteriker, Massnahmen-Schwurbler, Nazis, der Corona-Skeptiker oder doch der «Flat Earther»? Alles wird zusammengepampt und als versalzene Bouillabaisse serviert, bestens geeignet, um auf Argumente zu spucken, mit denen man sich nicht beschäftigen will.
Die Republik behauptet zu wissen, dass die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung in sämtlichen Umfragen hinter den Massnahmen des Bundesrates stehe. Es bleibt ein Mysterium, wie man zu dieser Erkenntnis gelangt, zumal es widersprüchliche Angaben zur Corona-Lage der Nation gibt. Und selbst wenn dem so wäre: Dass sich eine Mehrheit dermassen rücksichtslos über eine Minderheit hinwegzusetzen versucht, widerspricht der politischen Tradition der Schweiz durch und durch.
Es betrifft nicht nur die Republik – zahlreiche Journalisten scheinen sich daran gewöhnt zu haben, in ihren vier Wänden eingesperrt zu sein und von dort aus ihr Recht auf Pressefreiheit auszuleben. Gehorsam ist aber wenig republikanisch. Es ist Journalismus für Daheimgebliebene.