Der Iran «hat keine Bombe und kann keinen Krieg gewinnen» – diese Aussage eines namentlich nicht genannten US-Regierungsmitarbeiters zitiert der US-Journalist Seymour Hersh in seinem jüngsten online veröffentlichten Text. Darin geht es um die anhaltenden israelischen Behauptungen, der Iran baue an einer Atombombe und bedrohe damit Israel.
Hersh erinnert in seinem Text an den Auftritt des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vor der UN-Generalversammlung im Herbst 2012. Dabei habe er eine simple Grafik hochgehalten und vor einer iranischen Atombombe gewarnt.
Der investigative Journalist verweist auf einen eigenen Beitrag zum Thema vom Mai 2011 im Magazin The New Yorker. Darin hatte er enthüllt, dass eine streng geheime Einschätzung (National Intelligence Estimate – NIE) der US-Geheimdienste zu dem Ergebnis kam, dass es keine schlüssigen Beweise dafür gab, dass der Iran vor oder nach der US-Invasion des Irak im Jahr 2003 Anstrengungen unternommen hatte, die Bombe zu bauen. Der Bericht sei von den Vertretern von 17 amerikanischen Geheimdiensten und Spionageabwehrbehörden einstimmig gebilligt worden.
«Wie im Jahr 2012 gibt es immer noch keine Beweise dafür, dass der Iran, der sein einziges Kernkraftwerk mit schwach angereichertem Uran betreibt, in der Lage ist, die für eine Bombe erforderlichen Mengen an hoch angereichertem Uran herzustellen. Es gibt auch keine Hinweise auf eine sichere Anlage, die in der Lage wäre, aus angereichertem Uran einen festen Atomkern herzustellen, der eine Bombe auslösen könnte.»
Hersch schreibt, die US-Geheimdienste hätten «jahrelang erfolglos» nach einer unterirdischen Produktionsanlage für Atomwaffenmaterial im Iran gesucht. In seinem Bericht von 2011 hatte er beschrieben, wie US-Agenten vor Ort nach Spuren für mögliche geheime Arbeiten für eine Atomwaffe suchten.
Es seien keinerlei Anzeichen für radioaktive Emissionen gefunden worden – trotz spektakulärer Suchmethoden. Dennoch muss er feststellen:
«Nichts von alledem hat die Ansicht der israelischen Führung geändert, dass der Iran unter seiner revolutionären islamischen Regierung eine baldige Atommacht ist.»
Die US-Geheimdienstanalyse von 2011 sei für das Verhältnis zwischen den USA und Israel «politisch heikel» gewesen, so Hersh. Ein US-Beamter habe ihm damals gesagt, wenn der Iran keine nukleare Gefahr sei, habe Israel auch keinen Grund, dem Land mit Angriffen zu drohen. Das gilt laut dem US-Journalisten auch für die Gegenwart.
Er macht darauf aufmerksam, dass die US-Administration und Präsident Joseph Biden für solche Geheimdiensteinschätzungen, die mit den jeweils besten Wissenschaftlern in den jeweiligen Bereichen abgestimmt würden, nur «wenig Interesse» zeige. Ihm sei keinerlei entsprechende Analyse bekannt, die sich mit dem Ukraine-Krieg, dem israelischen Krieg in Gaza oder den Folgen eines angedrohten Angriffs Israels auf den Iran beschäftige.
Laut Hersh hat Israels Regierungschef Netanjahu auf vorsichtige US-Kritik am Vorgehen in Gaza «mit einer Verschärfung seiner Rhetorik und seines Vorgehens gegen den Iran reagiert». Dazu gehöre der israelische Bombenangriff am 1. April auf ein Nebengebäude der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dabei wurden 16 Menschen ermordet, darunter ein Kommandeur des Korps der iranischen Revolutionsgarden.
Netanjahus Botschaft an Biden, der langsam von seiner uneingeschränkten Unterstützung für den israelischen Krieg in Gaza abrücke, könnte im Wesentlichen lauten: «Ich werde weiterhin tun, was ich will.»
Der israelische Bombenangriff in Syrien sei eine verblüffende Eskalation «eines seit Jahrzehnten andauernden Krieges auf niedrigem Niveau zwischen Damaskus, Teheran und Tel Aviv» gewesen, schreibt Hersh. Er habe in Israel und anderswo sofort Spekulationen ausgelöst, dass Netanjahu bereit ist, einen Krieg mit dem Iran zu riskieren, um im Amt zu bleiben.
Doch trotz aller iranischen Ankündigungen einer «unweigerlichen Antwort», ebenso von der Hisbollah im Libanon, seien solche Reaktionen bisher ausgeblieben. Sein Informant aus Regierungskreisen habe erklärt, dass die in Damaskus getöteten iranischen Militärs den Palästinensern geholfen hätten.
Inmitten der zunehmenden Spannungen seien die Iraner «nicht auf einen Kampf» aus. Sie hätten keine Atombombe und die Islamisten vom ISIS-K «im Nacken sitzen». Zudem habe die iranische Führung Probleme mit Unruhen im Land.
Der US-Beamte habe auch darauf hingewiesen, dass die westlichen Sanktionen gegen den Iran nur die «Menschen an der wirtschaftlichen Basis» treffen, nicht die führenden Kräfte des Landes. Laut Hersh sagte er:
«Der Iran hat Leute in Uniform, aber er hat keine Bombe und kann keinen Krieg gewinnen.»
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