«Wir liefern keine Waffen mehr an die Ukraine, weil wir Polen jetzt mit moderneren Waffen ausstatten», sagte der Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki auf die Frage eines Reporters, ob sein Land Kiew trotz der Meinungsverschiedenheiten über Getreideexporte weiterhin unterstützen werde.
Es ist klar, dass die Beziehungen zwischen den beiden Länder sich verschlechtern. Polen ist der wichtigste Verkehrsknotenpunkt in die Ukraine, weil alle leistungsfähigen Verkehrswege durch dieses Land in Richtung der westukrainischen Metropole Lemberg (ukrainisch Ľviv, polnisch Lwów) gehen.
Die neue Krise in den Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen begann, nachdem der ukrainische Präsident Selenski Warschau angeprangert und gesagt hatte, Polen spiele «politisches Theater» um Getreideimporte, «und alles, was es tut, hilft Moskau»!
Polen ist einer der treuesten Verbündeten der Ukraine und beherbergt etwa eine Million ukrainische Flüchtlinge, die von verschiedenen Formen staatlicher Hilfe profitieren. Doch nun sind die beiden Länder in einen Streit über Agrarimporte verwickelt, seit Polen zusammen mit Ungarn und der Slowakei ein Verbot von Getreideimporten aus dem kriegsgebeutelten Nachbarland verlängert hat.
Der polnische Ministerpräsident erklärte zudem, dass sein Land möglicherweise auch Einfuhrverbote für andere ukrainische Lebensmittel verhängen würde. Offen gab er zudem zu, dass die Politik seines Landes auch im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober gesehen werden müsse.
Die EU hatte zunächst ein Einfuhrverbot für Getreide gültig für Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Slowakei und Polen akzeptiert. Es ist aber am 15. September ausgelaufen und die EU will es nicht verlängern.
Auf die Tatsache, dass Polen, Ungarn und die Slowakei das Einfuhrverbot unilateral verlängern und auf zusätzliche Produktkategorien ausdehnen wollen, reagierte Kiew mit einer Klage gegen diese drei Länder vor der Welthandelsorganisation WTO.
Was steckt hinter dem Streit?
Ein Video, das der ungarische Landwirtschaftsminister István Nagy auf seiner Social-Media-Seite veröffentlichte, wirft ein anderes Licht auf den Streit.
Der Minister zeigt auf, dass grosse Mengen von landwirtschaftlich genutzten Flächen an westliche Investoren verkauft wurden, dass also schon heute zum Beispiel das amerikanische Agrobusiness stark in der ukrainischen Landwirtschaft involviert ist.
Ausserdem stehen private westliche Investoren wie der Vermögensverwalter BlackRock bereits Schlange, wenn es um den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg geht.
Vor allem die polnische Landwirtschaft ist kleinteilig und von privaten Bauern dominiert, die ihre Höfe teils seit Generationen bewirtschaften. Als Kuriosität ist zu erwähnen, dass es auch den Kommunisten zwischen 1945 und 1989 nicht gelungen ist, die Landwirtschaft zu verstaatlichen.
Polen, Ungarn und die Slowakei schützen also einfach ihre einheimische Produktion und ihre Bauern. Minister Nagy aus Ungarn bietet aber ausdrücklich dafür Hand, dass das ukrainische Getreide weiterhin im Transit zu den traditionellen Kunden auf der arabischen Halbinsel und in Afrika über das Gebiet der drei genannten Länder transportiert wird.
Man täte also gut daran, ihre Position und ihre Interessenlage zu verstehen. Gerade Polen kann man nicht vorwerfen, nicht genug für die Ukraine getan zu haben, wie das Selenski tut.
Man kann auch aus den Schritten Polens nicht ableiten, es wolle Russland unterstützen.
In den Medien erscheint jedoch wenig über diese Zusammenhänge. Entweder werden Hintergedanken vermutet, wonach bei einem Auseinanderbrechen der Ukraine Polen Teile der 1945 verlorenen Ostgebiete um die Stadt Lemberg zurückgewinnen könnte. Oder das Thema wird ausschliesslich durch das Prisma des Wahlkampfes in Polen betrachtet.
Ein Beispiel dafür ist Viktoria Großmann, ist Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Warschau. Sie berichtet über Polen, Tschechien, die Slowakei, Litauen, Lettland und Estland und schreibt auch für Tamedia. Diese Plattform scheint keine aussenpolitische Kompetenz in diesem Bereich mehr zu haben. Sie berichtet zwar kenntnisreich, aber auch sehr einseitig über den Streit. Polen wirft sie vor, alles dem Wahlkampf unterzuordnen. «Polen zuerst und Polen allein gegen alle» titelt sie. «Grenzen zu für Flüchtlinge, Grenzen zu für Weizen und Mais aus der Ukraine, keine Waffenlieferungen fürs Nachbarland,» schreibt sie.
Dass bei Polen Wahlkampfrhetorik dabei ist – die regierende nationalkonservative PIS und die liberale Opposition unter Führung des früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk schenken sich nichts – gibt selbst der Ministerpräsident zu. Doch das allein erklärt die Gemengelage nicht. Es gibt vielmehr auch legitime Interessen der drei betroffenen Länder, die man nicht einfach ausblenden kann.