«Volkstümlicher werden!» Dazu fordert der Publizist Rüdiger Rauls die alternativen Medien in einem Text auf, der in den letzten Tagen von einigen dieser Medien veröffentlicht wurde. Ihm ist dort zuzustimmen, wo er meint, dass Themen und Inhalte mehr mit der realen Lage und den Interessen der «einfachen Leute» zu tun haben müssten.
Nur so können die unabhängigen Medien mehr Publikum finden, ist sich Rauls sicher. Widerspruch hat er verdient, wenn er meint, das Volkstümliche, also das Populistische allein verhelfe zu mehr Aufmerksamkeit und Zuspruch.
Denn das offensichtliche und weitverbreitete Desinteresse an Aufklärung über die Ursachen und Zusammenhänge der Lage hat vielfältige Ursachen. Auf die meisten davon haben die unabhängigen Medien wenig Einfluss, weil diese Ursachen einsetzen, bevor sich Menschen den medienvermittelten Informationen zuwenden.
Im Visier der Macht
Rauls meint, die Zahl der sogenannten alternativen Medien wachse weiter. Allerdings ist mit dem Ende der offensichtlichen «Corona-Krise» eher ein Eingehen mancher Projekte zu beobachten, die gerade in Folge der Panikdemie entstanden sind. Auch das Interesse des Publikums an alternativen Informationen scheint nachzulassen.
Der Autor hat Recht, wenn er feststellt, dass «Verbreitung und Einfluss der unabhängigen Medien in der Gesellschaft gering» sind. Es gibt Fälle, wo einzelne Projekte Breitenwirkung hatten und haben – das ist unter anderem am Gegendruck erkennbar, den sie aus den etablierten Medien und auch aus der Politik erfahren.
Beispiele dafür sind unter anderem die NachDenkSeiten oder das Online-Magazin von Boris Reitschuster. Sie werden ins Visier genommen und mit verschiedenen Mitteln bekämpft, weil sie aus Sicht der Herrschenden und ihrer politischen und medialen Handlanger zu viel Resonanz haben. Und weil sie für die öffentlich-rechtlichen und die Konzern-Medien zu einer ernsthaften Konkurrenz geworden sind.
Sicher stimmt es, dass viele Menschen nur geringes Interesse an politischen und gesellschaftlichen Themen haben, erst recht an kritischen Beiträgen dazu, wie Rauls feststellt. Er hat auch recht, wenn er dies mit dem zunehmenden Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der kapitalistischen Realität und einer Politik erklärt, die mehr den Interessen weniger als der gesamten Gesellschaft dient.
Zu grosse Distanz
Ihm ist auch zuzustimmen, dass eigentlich gerade dies ein «Treibsatz für die alternativen Medien» sein könnte. Doch er muss – zumindest teilweise – Widerspruch bekommen. So, wenn er schreibt, es liege fast nur an der inhaltlichen Distanz der unabhängigen Medien zu den Lebensrealitäten der «einfachen Leute», dass noch kein alternatives Medium ein wirkliches Massenmedium geworden ist.
Natürlich hat das auch etwas mit der «eigenen Blase» zu tun, in der sich jene bewegen, die auch medial Alternativen suchen. Zu oft ist das Anderssein im Gegensatz zu den etablierten Medien sogar damit verbunden, dass Standards des journalistischen Handwerks mindestens unbeachtet bleiben.
Dazu gehört, was Rauls unter anderem kritisiert:
«Die Sprache ist oftmals zu intellektuell, die Themen teilweise zu psychologisch oder gar esoterisch. Befindlichkeit hat bei vielen eine hohe Bedeutung. Das ist weit weg von der Welt der einfachen Leute. Das sind nicht die Themen, die sie umtreiben.»
Zu den Ursachen dafür gehört die soziale Herkunft vieler, die angesichts der gesellschaftlichen Realitäten nach Alternativen dazu suchen. Es sind eben selten Menschen, die aus dem «überwiegenden Teil der Bevölkerung, die mit den Realitäten des alltäglichen Kapitalismus konfrontiert ist», stammen.
Sie selbst entstammen zumeist dem «intellektuellen Milieu, das weitgehend die öffentliche, aber auch die Meinungen der alternativen Medien bestimmt». Und nur wenige von ihnen kommen aus den gesellschaftlichen Schichten, für die der Begriff «Proletariat» laut Rauls «objektiv eigentlich viel eher angebracht wäre». Er passe «aber nicht mehr zur heutigen gesellschaftlichen Wahrnehmung und vor allem der Selbstwahrnehmung jener gesellschaftlichen Gruppen, um die es hier geht».
Manipulation der Wahrnehmung
Das verweist auf eine Ursache für das benannte Problem der unabhängigen Medien: Die gesellschaftliche Wahrnehmung und die Selbstwahrnehmung gesellschaftlicher Gruppen und der Einzelnen. Diese wird geformt nach den Vorgaben der Herrschenden und Mächtigen, orientiert an den ihren Interessen untergeordneten realen Eigentums-, Verteilungs- und Machtverhältnissen.
Das beginnt mit Erziehung und Bildung, geht weiter über massenmediale Beeinflussung samt Manipulation und reicht bis in die Zwänge des alltäglichen Lebens, die Anpassung statt Widerstand erzwingen. Das formt, erzeugt Hilflosigkeit und Anpassung. Es fordert die Energien der «einfachen Leute», die dann nicht mehr ausreichen für die mögliche Suche nach Alternativen und den Informationen dazu.
Zu erwähnen sind noch die Prozesse wie Entfremdung und Individualisierung: Sie tragen dazu bei, dass Menschen in uniformierten Verhältnissen nicht mehr erkennen, dass es jedem und jeder Einzelnen genauso geht wie dem Menschen in der Nachbarschaft, im selben Haus, in derselben Strasse, im selben Viertel und so weiter.
Die Frage ist berechtigt, was diese nicht neue Erkenntnis beim Versuch nutzt, die schlechten Verhältnisse zu ändern. Rauls hat Recht, wenn er für klare Sichten auf die Realität statt verschwommene Visionen und Prognosen für die Zukunft plädiert.
«Das Darstellen der Zustände, das Herausarbeiten von Zusammenhängen sowie das Einordnen in erkennbare Entwicklungen sollten im Vordergrund stehen: Was sind die Fakten, wie sind sie zu deuten und was drückt sich darin aus, welche Entwicklung ist darin zu erkennen?»
Zu Recht zitiert er in dem Zusammenhang Rosa Luxemburg, die einst feststellte:
«Wie Lasalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer ‹das laut zu sagen, was ist›.»
Aber was, wenn (zu viele) Menschen in ihrer Lage das nicht hören wollen? Wenn sie angesichts ihres Erlebens des realen Kapitalismus nicht noch an ihre eigene Hilflosigkeit erinnert werden wollen und lieber in Unterhaltung und alle möglichen Fantasiewelten fliehen, um die Realität zu ertragen?
Grundlagen für das Handeln
Ich weiss keine Antwort darauf und gestehe, dass ich zunehmend ratlos bin angesichts der Wirkungslosigkeit der zahlreichen alternativen Angebote, die tatsächlich so aufklären, wie Rauls es einfordert. Er hat Recht, wenn er schreibt:
«Die Welt wird nicht besser durch Visionen, sondern durch Handeln, und Handeln muss solide Grundlagen haben.»
Dem hat sich auch Transition News verschrieben, durch Aufklärung das Handeln für Alternativen zu fördern. Das gehört zu den Gründen, warum ich mich seit kurzem daran beteilige und diesen Anspruch mit meiner journalistischen Ausbildung und Erfahrung gern unterstütze.
Deshalb stimme ich Rauls auch zu, wenn er von den unabhängigen Medien «mehr Neutralität und Sachlichkeit in der Bearbeitung des Themas, ruhige Argumentation, nachvollziehbare Sichtweisen und belegte Aussagen» einfordert. Und wenn er hervorhebt:
«Nicht durch andere Inhalte, sondern durch anderen Umgang mit den Inhalten sollten sich alternative Medien von den Hoheitsmedien des Mainstreams abheben.»
Das Darstellen der Zustände, das Herausarbeiten von Zusammenhängen, sowie das Einordnen in erkennbare Entwicklungen sollten aus seiner Sicht im Vordergrund stehen. Ob das dann in einer «volkstümlichen» Sprache geschehen muss, ob es manchmal ein wenig BILD-mässig sein muss, das bleibt zu diskutieren.
Es bleibt die Aufgabe, aufzuklären und einen Beitrag zu leisten, dass Menschen erkennen, warum ihre kleine und grosse Wirklichkeit so ist wie sie ist. Damit sie in die Lage versetzt werden, vom Erkennen zum Handeln zu kommen.
Wie Sisyphus
Und es bleibt etwas, was Rauls nicht benennt und was bis heute fehlt: Die notwendige Vernetzung, das Bündeln der Kräfte der unabhängigen Medien, wo das notwendig und möglich ist. Auch das wäre notwendig, um den konzertierten Angriffen der Mainstream-Medien und der hinter ihnen Stehenden auf Sinn und Verstand der Menschen etwas entgegenzusetzen.
Das, was Rauls zum Teil zu Recht einfordert, erinnert mich an ein Gedicht des 2012 verstorbenen Brecht-Schülers und DDR-Schriftstellers Heinz Kahlau:
Lob des Sisyphus
Das Haar muss geschnitten werden.
Die Teller müssen gespült werden.
Die Strassen müssen gebaut werden.
Die Dummen müssen belehrt werden.
Die Erde muss bewahrt werden.
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2022 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare