Seit der Corona-Krise macht sich in der Gesellschaft grosse Unzufriedenheit breit. Viele Menschen haben verstanden, dass die Institutionen nahezu aller Bereiche nichts anderes sind als der verlängerte Arm der Macht. Es hat sich ein politisch-gesellschaftliches System herausgebildet, in dem Regierung, Medien, grosse Unternehmen und die Justiz die herrschende Meinung bestimmen und zu Sanktionen greifen, wenn jemand von ihr abweicht.
Wer in diesem Mechanismus nicht zerrieben werden will, muss konform bleiben und das bestehende System mittragen. Um dieser Entwicklung eine andere Richtung zu geben, haben viele mutige Menschen mit innovativen Projekten den Grundstein für alternative Strukturen gelegt.
Wer aber wirklich etwas verändern will, muss beim Konsum anfangen, vor allem beim Kauf von Kulturgütern. Doch daran hapert es noch, wie sich am Beispiel des Verlagswesens veranschaulichen lässt.
Kleine alternative Verlage
Wie in allen anderen sozialen Bereichen sind auch hier in den letzten Jahren Player hervorgetreten, die Bücher herausbringen, von denen grosse und etablierte Häuser lieber die Finger lassen – Werke, in denen die politischen und gesellschaftlichen Missstände, die sich im Zuge der «Corona-Krise» auftaten, beleuchtet werden. Zu nennen wären unter anderem der Rubikon-, der Westend, der Promedia oder der Massel Verlag.
Aufgrund ihrer Unangepasstheit haben sie es in der Branche besonders schwer. Allerdings gilt das für alle kleinen und unabhängigen Akteure, wie die jüngsten Ergebnisse verdeutlichen. Nur jeder fünfte Verlag kann von seiner Arbeit leben. Dass ihre wirtschaftliche Lage so prekär ist, hat viele Gründe. Das Hauptproblem stellt jedoch die Bequemlichkeit der Verbraucher dar.
Massel Verlag
Welche verheerenden Auswirkungen sie gerade auf kleine Häuser hat, lässt sich gut am Beispiel des Münchner Massel Verlags demonstrieren. Gegründet hat ihn Martin Sell im Jahr 2019, um zunächst Kinderbücher mit philosophischem Inhalt auf den Markt zu bringen. In ihnen werden gesellschaftlich wichtige Themen spielerisch dargestellt. Mittlerweile erscheinen im Verlag auch Sachbücher für Erwachsene. Sell versteht sie als «Spurensuchen». Sie laden die Leser dazu ein, gemeinsam mit den Autoren in der Gesellschaft Muster zu entdecken.
Wenn beim Massel Verlag Bestellungen eingehen, dann kommen sie zu 60 Prozent aus dem Grosshandel. Im Fachjargon spricht man von Barsortimenten. Als solche werden Unternehmen des Zwischenbuchhandels bezeichnet, die vertraglich an sie gebundene Einzelhändler auf eigene Rechnung und im eigenen Namen beliefern.
Monopol dreier Grosshändler
Von den Verlagen erhalten die Barsortimente die Bücher zu einem üppigen Rabatt. Aufbewahrt werden diese meist in einem Zentrallager, sodass eine Lieferung an die Einzelhändler selbst über Nacht erfolgen kann. Der deutsche Buchmarkt wird beherrscht von drei grossen Playern, die quasi ein Monopol haben. Dazu zählen KNV Zeitfracht, Libri und Umbreit. Selbst Amazon kriegt die Bücher über diese drei Barsortimente.
Genau darin liegt das Problem. Denn die meisten Menschen bestellen heutzutage ihre Produkte über Amazon, was für Verleger wie Sell mit wirtschaftlichen Einbussen einhergeht. Wenn sie Bestellungen von den Barsortimenten erhalten, bekommen diese 50 Prozent Rabatt – ohne Wenn und Aber. Aufgrund ihres Monopols konnten die drei genannten Barsortiments- und Logistikunternehmen diese Regel so bestimmt durchsetzen, dass kein kleiner Verlag daran etwas ändern kann.
Buchbestellungen über den Einzelhandel
Zu diesem exorbitanten Rabatt kommen Versandkosten sowie Tantiemen an die Autoren hinzu. Der erzielte Gewinn bewegt sich damit auf einem sehr niedrigen Niveau. Etwas höher fällt er aus, wenn ein Einzelhändler das jeweilige Produkt bestellt. Allerdings tun das kleine und grössere Buchläden eher selten, erst recht bei Publikationen eines weniger bekannten Verlags. Handelt es sich dabei um ein Werk, das ein Thema konträr zum Mainstream betrachtet, wird es umso unwahrscheinlicher.
Sollte ein Einzelhändler es aber trotzdem wagen, so ein Buch zu bestellen, landet es in einem der hinteren Regale. Die besten Plätze sind den etablierten und grossen Verlagen vorbehalten. Diese kaufen sich gleich ganze Ladenflächen und bezahlen Geld dafür, dass ihre Neuerscheinungen in grosser Anzahl beispielsweise im Schaufenster oder auf grossen Tischen ausliegen. Diese sehen die Verbraucher zuerst, wenn sie ein Buchgeschäft betreten. Damit haben grosse Verlage gegenüber den kleinen einen enormen Wettbewerbsvorteil.
Allerdings gibt es auch Konsumenten, die einen Laden nicht betreten, um zu stöbern und sich inspirieren lassen, sondern gezielt ein ganz bestimmtes Buch suchen. Wenn sie es hier bestellen und nicht über Amazon, unterstützen sie immerhin den jeweiligen Einzelhändler. Auch ein kleiner Verlag profitiert von dieser Art der Bestellung mehr, als wenn sie aus dem Grosshandel kommt. Denn der Rabatt fällt niedriger aus. Aber er bleibt dennoch üppig. Martin Sell vom Massel Verlag beziffert ihn auf ungefähr 35 Prozent.
Direktbestellungen im Verlagsshop
Durch den etwas niedrigeren Rabatt erhöht sich der Gewinn zwar, fällt jedoch weiterhin minimal aus. Einen angemessenen Umfang nimmt er erst dann an, wenn die Verbraucher das gewünschte Buch direkt im Verlagsshop kaufen. Denn dann muss kein Rabatt gewährt werden – weder den Gross- noch den Einzelhändlern.
Nun ist es aber nicht so, dass kleine Häuser wie der Massel Verlag einen Preisnachlass möglichst vermeiden wollen. Direktkunden würden sie ihn durchaus gewähren, dürfen es aber nicht wegen des deutschen Buchpreisbindungsgesetzes. Dieses verbietet es, Bücher günstiger zu verkaufen als im Handel.
Verbraucher, die gesellschaftlich etwas bewirken wollen, sollte das aber nicht weiter stören. Wenn sie ein Buch bei kleinen Verlagen direkt kaufen, tun sie ihnen etwas Gutes. Sie unterstützen sie und tragen dazu bei, dass viele Stimmen und Themen die Möglichkeit zur Publikation bekommen. Bücher mit kritischem Inhalt und alternativen Meinungen erzielen dann eine grössere Reichweite und erreichen Menschen, die sich von ihnen möglichweise inspirieren lassen. So fängt Veränderung an.
Verbraucher haben einen grossen Hebel
Ohne die Abgaben an Gross- und Einzelhandel bleibt den Verlagen ein höherer Verkaufserlös, sodass sie die Einnahmen auch in Personal und Marketing investieren können. Dieses wiederum erhöht die Chancen, dass die Bücher noch mehr Menschen erreichen. Es entsteht eine Aufwärtsspirale, die das System umstrukturiert.
Wer jedoch weiterhin die Bücher über Amazon bestellt, bewirkt genau das Gegenteil. Die grossen Player des Mainstreams können dann ihre beherrschende Marktposition ausbauen und sowohl Themen als auch Meinungen weiterhin diktieren oder gar unterdrücken.
Das lässt sich sehr einfach vermeiden. «Man hat eigentlich einen grossen Hebel», sagt Martin Sell. «Man braucht nur auf eine andere Seite zu gehen und einen Klick zu machen.»
***
Eugen Zentner, Jahrgang 1979, studierte Germanistik und Philosophie in Leipzig. 2016 promovierte er in der Literaturwissenschaft. Heute arbeitet er als freier Journalist und schreibt für mehrere alternative Medien. Seit September 2020 betreibt er den Blog kultur-zentner.de.