«Man kann es kaum ertragen, was hier passiert, und vor allem, wie lange sich das die Bevölkerung noch gefallen lässt.» Das sagte Jutta Kausch-Henken, Schauspielerin und aktiv in der Berliner Friedenskoordination (Friko), am Samstag bei einer Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt in der Hauptstadt. Sie bezog sich dabei auf die kriegstreibende Regierungspolitik, die «immer irrer» und auch noch von der Opposition «rechts überholt» werde.
Am Samstag, Jutta Kaush-Henken vorm Bundeskanzleramt in Berlin (alle Fotos: Tilo Gräser)
Die Friko hatte zu der Kundgebung eingeladen, um an den zweiten Jahrestag des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine zu erinnern. Gleichzeitig wurde in dem Aufruf dafür «Frieden für die Ukraine und für Russland» gefordert. In dem Text und vor dem Kanzleramt wurde deutlich Widerspruch gegen die herrschenden Erklärungen von Politik und Medien zum Krieg in der Ukraine geäussert.
«Seit der Bundestagsdebatte am Donnerstag über die Lieferung von weiterführenden Waffen scheinen alle Dämme gebrochen worden zu sein», stellte Kausch-Henken fest. Sie verwies auf Bundeswehreinsätze im Ausland, die laufenden Nato-Manöver «Steadfast Defender 2024» und «Quadriga 2024» unter aktiver Nato-Beteiligung, bei denen ein Kriegsszenario gegen Russland trainiert wird, sowie die militaristische Aussenpolitik. Ihr Fazit:
«Friedensgebot war gestern. Heute ist kriegstüchtig.»
Sie kommentierte das drastisch und zitierte den Maler Max Liebermann, der 1933 gesagt haben soll: «Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.» Anlass dafür war den Überlieferungen nach die Machtübergabe an die deutschen Faschisten.
Die friedensbewegte Schauspielerin wies auch darauf hin, dass es noch möglich sei, auch vor dem Bundeskanzleramt für Frieden und gegen die Kriegspolitik zu demonstrieren. Das sei bedroht durch neue Gesetze, «die mehr oder weniger lautlos unsere Grundrechte weiter einschränken».
«Regierung hat Vertrauen verwirkt»
Die Journalistin und Friedensaktivistin Christiane Reymann beschrieb danach die Lage so:
«Kriege lassen wieder die Erde erbeben. Das Völkerrecht wird geschändet. Verträge werden zerfleddert. Hass und Gewalt beherrschen die Sprache ganz allgemein.»
Christiane Reymann
Sie forderte dazu auf, bei aller Kriegstreiberei die Hoffnung auf Frieden nicht aufzugeben, und zitierte dazu Carl von Ossietzky: «Durch alle Niederungen leuchtet die Hoffnung als ewiger Stern.» Reymann benannte mögliche unterschiedliche Sichten auf den russischen Einmarsch vor zwei Jahren, die aber nichts an den Ursachen und der Vorgeschichte ändern würden.
Sie erinnerte an die Nato-Osterweiterung ebenso wie an den US-geförderten Staatsstreich vor zehn Jahren in Kiew. Danach habe der Krieg der neuen Führung in Kiew gegen den Donbass begonnen.
Sie sei gemeinsam mit den beiden damaligen Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko 2015 in den Donbass gefahren. «Wir haben gesehen, was die ukrainischen Bomben anrichten», erinnerte die Journalistin. Trotz der Minsker Vereinbarungen sei der krieg fortgesetzt worden, durch den bis 2022 laut OSZE 14’000 Menschen ums Leben kamen. Vor dem Bundeskanzleramt erklärte sie:
«Diese Bundesregierung ist an der Eskalation des Konfliktes und an der Vorbereitung des Krieges beteiligt. Sie hat unser Vertrauen verwirkt. Sie verdient es nicht.»
Reymann stellte fest, dass zwischen der Ampel-Koalition und der CDU/CSU kaum noch ein Unterschied besteht:
«Einig sind sie sich, dass sie Angriffswaffen liefern, die in das Hinterland der Russischen Föderation reichen. Damit nähern sie sich dem Mann fürs Grobe der CDU, Roderich Kiesewetter, an, der gesagt hat Krieg muss nach Russland getragen werden.»
«Muss es ein drittes Mal sein?»
Sie zitierte aus dem Bundestagsbeschluss vom vergangenen Donnerstag, weitreichende Waffen an Kiew zu liefern: «Präsident Putin und sein Regime müssen diesen Krieg verlieren; Russland muss scheitern, mit dem was es sich vorgenommen hat.» Das sei wenige Meter entfernt von den kyrillischen Inschriften am Reichstagsgebäude geschehen, die sowjetische Soldaten 1945 nach dem Sieg über den deutschen Faschismus hinterliessen.
Die Spuren sowjetischer Soldaten am Reichstagsgebäude vom Frühjahr 1945
«Die Sowjetunion hat diesen Sieg mit 27 Millionen Menschen bezahlt. Und ich frage mich: Hört denn die deutsche Grossmannssucht nie und nimmer auf? Sie sind doch schon zweimal vor Moskau gescheitert. Muss es denn ein drittes Mal sein?»
Reymann sagte ausserdem:
«Im Gegensatz zu unserer Regierung haben wir einen Friedensplan: Der ist einfach. Jeder und jede kann ihn verstehen. Er hat folgende Leitlinien: Keine Hochrüstung, keine Blockbildung, keine Aus- und Abgrenzung, sondern Inklusion, Dialog, Kooperation.»
Ebenso deutlich widersprach der Friedensaktivist und Abrüstungsexperte Lühr Henken vom Bundesausschuss Friedensratschlag vor dem Kanzleramt der deutschen Politik und deren Begründungen für den Kriegskurs gegenüber Russland. Mit Daten und Zahlen benannte er die Folgen der Aufrüstung für die Gesellschaft, auf die nach ihm weitere Redner aufmerksam machten.
Warnung vor gefährlicher Eskalation
Die zunehmenden politischen und medialen Behauptungen, Russland würde in wenigen Jahren nach der Ukraine das Baltikum und Polen angreifen wollen, bezeichnete Henken als «Stimmungsmache». Mit dieser werde «die Bevölkerung in eine Kriegshysterie hineingetrieben». Er warnte vor den Folgen des Bundestagsbeschlusses, weitreichende Waffen einschliesslich der «Taurus»-Marschflugkörper an Kiew zu liefern.
Lühr Henken
Die «Taurus»-Reichweite von mehr als 500 Kilometern ermögliche den Einsatz gegen strategische Zentren in Moskau wie den Kreml und Ministerien. Dafür habe kürzlich «der CDU-Hasardeur Roderich Kiesewetter» plädiert. Innerhalb der Reichweite lagern zudem in 22 Silos russische Interkontinentalraketen mit 88 Atomsprengköpfen, so Henken.
Allein diese strategischen Optionen eines «Taurus»-Einsatzes durch Kiew «provozieren heftige russische Gegenmassnahmen», warnte er. «Welche das sein könnten, darüber kann man nur spekulieren.» Er verwies darauf, dass der dritte Zielbereich für die Marschflugkörper die für die Versorgung der Halbinsel Krim bedeutsame Kertsch-Brücke sei. Da die Krim von strategischer Bedeutung für Russland habe, werde ein solcher Angriff ebenfalls massive Gegenmassnahmen durch Moskau zu Folge haben. Henken stellte klar:
«Werden ‹Taurus› geliefert, eskalieren die Feindseligkeiten. Deshalb: ‹Taurus› darf nicht an die Ukraine geliefert werden.»
Während er davor sowie vor weiteren Aufrüstungsschritten durch die USA warnte, wurde in nicht mal einem Kilometer Luftlinie Entfernung «Taurus for Ukraine» gefordert. Das geschah auf einer angeblichen Solidaritätskundgebung für die Ukraine am Brandenburger Tor, deren Motto offiziell war «Frieden verteidigen #VictoryForPeace».
Hass und Kriegshetze am Brandenburger Tor
Doch was da in aller Öffentlichkeit geschah, organisiert vom Ukraine-Verein «Vitsche», mit Tausenden Teilnehmern, zahlreichen blau-gelben Flaggen der Ukraine, rot-schwarzen Flaggen der Bandera-Faschisten und zahlreichen antirussischen Transparenten und Parolen waren purer Hass und Hetze sowie Kriegstreiberei. Dazu trugen auch deutsche Politiker bei, die vor der aufgehetzten Menge redeten.
Zur gleichen Zeit vorm Brandenburger Tor
Zu ihnen gehörte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), der «Taurus»-Marschflugkörper für die Ukraine forderte: «Was die Ukraine heute schnell braucht, sind Waffen, das ist Munition, das ist der ‹Taurus›.» Wegner wiederholte die durch nichts bewiesenen Lügen, Russlands Präsident Wladimir Putin wolle die Ukraine vernichten und Sprache und Kultur auslöschen.
Ähnliches gab Ralf Fücks, früherer Maoist vom «Kommunistischen Bund Westdeutschlands» (KBW), ehemalige Grünen-Politiker und Gründer des «Zentrums Liberale Moderne» (LibMod), auf der Bühne von sich. Die Wahrheit interessiert ihn bekanntermassen nicht weiter. Und so erklärte er unter anderem, in Russland herrsche «das Böse».
Die westlichen Regierungen würden immer noch hoffen, «dass sie das Böse besänftigen können», warf der Ex-Maoist ihnen vor. Und behauptete, Putin habe gesagt, er «will die Hälfte Europas zurück». Die Ukraine sei erst der Anfang.
Fücks zog in der Nähe des Reichstagsgebäudes mit den kyrillischen Inschriften von 1945 einen historischen Vergleich, der nicht anders als Volksverhetzung bezeichnet werden kann: «In Deutschland sollte man wissen, dass es das Böse gibt, und dass das Zögern, ihm entgegenzutreten, zu Verwüstung unseres ganzen Kontinents geführt hat.»
Es gehe nicht nur um Hilfe für die Ukraine: «Es geht um uns alle. Putin sitzt schon lange im Führerbunker. Er ist bereit, uns alle mitzureissen. Europa muss aufwachen.»
Deutsche Politiker rufen «Slawa Ukraijni»
Deshalb forderte auch er nicht nur «Taurus» für Kiew. Seine Hetzrede schloss er mit dem Ruf der ukrainischen Nationalisten und Faschisten «Slawa Ukraijni». Das taten auch andere vor und nach ihm, so drei Bundestagsabgeordnete von FDP, SPD und CDU, die sich als ganz grosse Kriegskoalition präsentierten.
Die Drei von der grosskoalitionären Kriegstreiberfraktion: (von links) M. Felber (FDP), H. Demir (SPD, R. Kiesewetter (CDU)
Neben Marcus Felber von der FDP und Hakan Demir von der SPD stand auch der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, der den «Krieg nach Russland tragen» will. Die anderen beiden Abgeordneten standen ihm dabei in nichts nach. So erklärte Felber unter anderem:
«Wir haben beschlossen, dass die Ukraine weiterreichende zusätzliche Waffensysteme braucht. Waffensysteme, die die Munitionsdepots der Invasionstruppen treffen können. Und jetzt ratet mal, was das sein kann: Das kann nur der ‹Taurus› sein und natürlich wird auch der geliefert werden.»
Für den SPD-Abgeordneten Demir, der behauptete, Freiheit und Frieden zu lieben, ist es nicht genug, dass Deutschland der zweitgrösste Waffenlieferant für die Ukraine ist. Er sei sich mit den anderen einig, «dass da noch mehr kommen muss». Denn Solidarität bedeutet aus seiner Sicht «natürlich die Lieferung von Waffen».
Der Krieg ende erst, «wenn Putin das Land verlässt», ist sich der 40-Jährige Sozialdemokrat sicher. Ihm folgte der CDU-Kriegstreiber und Ex-Bundeswehr-Oberst Kiesewetter – mit weiteren Lügen und Geschichtsverdrehungen, wie der, dass Russland den Krieg 2014 begonnen habe.
«Aufrüsten! Wir sind im Krieg mit Russland»
Danach machte Kiesewetter weitere hanebüchene Behauptungen, die es nicht wert sind, hier wiederholt zu werden. Sein Reden und Handeln bleiben nichtsdestotrotz gefährlich: So erklärte er, dass die Lieferung von «Taurus»-Marschflugkörpern nicht ausreiche und dass nicht nur die Krim als «Putins Kraftquelle» angegriffen werden müsse.
Es müsse «alles, was völkerrechtlich zulässig ist», getan werden, um die Ukraine zu unterstützen, «alles so rasch wie möglich, so viel wie möglich», so der CDU-Politiker. Dem egal ist, dass Kriegshetze und das Befeuern von Kriegen dem Völkerrecht zuwiderläuft, aber der mehr Rüstungsausgaben in Deutschland forderte.
Die Bundestagsabgeordneten bekamen für ihr «Slawa Ukrajini» viel Jubel und den Gruss lautstark zurück. Die jungen Frauen von «Vitsche», die die Kundgebung moderierten, heizten die Teilnehmer immer wieder mit antirussischen Parolen auf. Die waren auch auf Transparenten und Schildern zu lesen – als krasses Gegenstück zu denen nicht weit entfernt vor dem Bundeskanzleramt mit den Friedenslosungen.
Auf einem stand: «Aufrüsten! Wir sind im Krieg mit Russland» Und auf der Rückseite: «Frieden schaffen mit Lenkflugwaffen!» Auf die Frage nach seinen Gründen für die Losungen erklärte der Schildträger, das sei notwendig, «um die Drohung aus Russland abzuwehren».
Die Frage nach Beweisen dafür beantwortete er mit, das sei schon angekündigt. Um kurz danach zu fragen, welche «Neigung» das Medium habe, für das ich arbeite. Und er fügte hinzu: «Wenn Sie solche Fragen stellen, welche Bedrohung aus Russland kommt, dann sind Sie offensichtlich von irgendwo gelenkt und nicht objektiv. Weil, das ist die objektive Wahrheit.»
Und meine Frage, ob die Drohungen vom russischen Parlament oder vom russischen Präsidenten kommen, befand er: «Sie wollen uns unterwandern. Ich verstehe, was Sie sagen wollen.» Und weigerte sich, weiter mit mir zu reden.
Gewerkschafter für Frieden
Das geistige Niveau, das sich da vorm Brandenburger Tor zeigte, unterschied sich ebenfalls vom dem bei der Kundgebung vorm Bundeskanzleramt. Dort standen auch Mitglieder von der Gewerkschaft IG Metall mit einem Transparent, auf dem zu lesen war: «Schluss mit dem Krieg. Die Waffen nieder!»
«Wir stehen für den Teil der Gewerkschaft, der gegen Waffenlieferungen ist», erklärte Gewerkschafter Kurt aus Berlin. Es gebe auf der Welt viele nützlichen Dinge, die statt Granaten produziert werden können, sagte er zur Frage nach den Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie.
Gewerkschafter für Frieden
Er kam vom Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall, wie sein Kollege Hans, der erklärte: «Wir sind Internationalisten und wollen natürlich den Dialog zwischen den Menschen, insbesondere den Arbeitern in den Ländern, fördern. Und da sind Krieg und Nationalismus genau kontraproduktiv.»
Deshalb und weil die IG Metall laut ihrer Satzung für Völkerverständigung, Abrüstung und Frieden eintrete seien sie bei Friedensdemonstrationen dabei, so die Gewerkschafter. Angesprochen auf die Pro-Ukraine-Kundgebung nicht weit entfernt mit deutlich mehr Menschen, zeigte sich Hans nicht sehr verwundert.
«Das ist ja der Mainstream, der dazu aufruft, für Waffenlieferungen für die Ukraine, angeblich um die Ukraine zu verteidigen, aber tatsächlich um das Sterben zu vergrössern. Und das sehen die Menschen nicht so. Sie sind ja der der Dauerberieselung ausgesetzt, dass es im Namen der Rechte der Menschen in der Ukraine notwendig ist, das zu unterstützen. Und wir sehen das aber anders.»
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2023 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare