«Wo ist das Virus hin?» Mehrere Medien stellten ab 31. Mai diese Frage, so auch der Sonntagsblick und Blick-TV. In der Print und in der Online-Ausgabe kamen hierzu mehrere Experten zu Wort, darunter Beda Stadler, emeritierter Professor für Immunologie, Universität Bern.
Zusätzlich stand Stadler für ein Live-Interview innerhalb eines Blick-TV-Beitrages zur Verfügung. Seine pointierten Aussagen, seine Kritik an der Corona-Strategie des Bundes und dessen «Tracing App» wurden jedoch kurz nach der Erstausstrahlung vollständig rausgeschnitten.
Ein zensurierter Ausschnitt:
Das ganze Interview:
Blick-TV : Wie stehen Sie zur Strategie des Bundes?
Beda Stadler: Ich bin froh darüber dass es mit den Lockerungen endlich vorwärts geht. Herr Tanner (Immunologe, Anm. d. Red.) hat recht. Ich sagte schon vor Monaten dass eine «Stop-and-Go Strategie» das einzig Richtige ist. Man lockert sofort und schaut dann was passiert und schreitet wie eine Feuerwehr ein, wenn es nötig ist. Das einzige Problem: Ich sah noch nie eine Software des Bundes, die auf Anhieb funktioniert hätte. Also können wir nur hoffen, dass der Bund eine App gemacht hat, die tatsächlich funktioniert.
Sie sagen «Stop-and-Go», im Moment ist es aber ein bisschen sehr viel «Go», man sieht Strassen die voll mit Menschen sind, das hat man am letzten Samstag gut sehen können. Ist das nicht etwas zuviel?
Nein, das finde ich gut, es geht ja darum, dass man die Risikogruppe schützt. Den jungen Menschen, selbst wenn sie sich anstecken sollten, passiert ja gar nichts. Sie werden ja gar nicht krank. Wenn man nicht weiss, was das Ziel ist, hat man auch keine Strategie. Das Ziel sollte ja sein, dass das Virus keinen Platz in der Gesellschaft mehr haben soll und es kann nur dann keinen Platz mehr haben, wenn es niemanden mehr zum Anstecken findet. Und dies erreicht man nur mit einer Herdenimmunität und Impfungen.
Es gibt auch Stimmen die behaupten, Covid-19 könne auch für junge Menschen gefährlich sein und zu gesundheitlichen Langzeitfolgen von Organen führen. Welche Massnahmen sind jetzt ihrer Meinung nach am wichtigsten?
Wichtig ist sicher, dass man das «Social Distancing» einhält und mit Küssen von Freunden oder gar Fremden aufhört. Und es ist noch zu früh, sich beim Begrüssen die Hände zu geben. Aber draussen im Freien in einem Gartenrestaurant zu sitzen, auch wenn die Tische etwas näher als 2 Meter stehen und der Wind weht, ist überhaupt kein Problem. Die meisten Aktivitäten im Freien sind völlig ungefährlich. Vor allem auch deshalb, weil sich jetzt zeigt, dass die Fallzahlen in ganz Europa massiv zurückgehen. Unter anderem auch deshalb, weil das Coronavirus UV-Licht nicht verträgt wie jedes andere Virus auch. Nicht nur die Zahlen vom Coronavirus gingen jetzt zurück, sondern auch die der Grippeviren und allen anderen Erkältungsviren auch.
Das sehen ja nicht alle so optimistisch wie Sie. Kommen wir noch auf eine andere Massnahme zu sprechen, nämlich auf die «Corona Tracing App» des Bundes. In einem Artikel vom Sonntagsblick von heute äussern Sie sich ziemlich kritisch zu dieser App. Wieso?
Ich konnte mir das App noch nicht im Detail ansehen aber es ist bekannt, dass dieses App den genauen Ort und die genaue Zeit eines Kontaktes nicht wiedergeben kann. Somit weiss ein Nutzer bei einem Alarm nicht, wo genau dieser Kontakt stattgefunden hat und es könnte sein, dass dadurch viele Menschen erst recht wieder in Panik geraten könnten. Es wird Zeit, dass man mit dieser Panikmache endlich aufhört. Zum Beispiel mit dem Geschwafel von einer zweiten Welle.
In der Schweiz war das Gesundheitssystem noch nie überlastet. Jetzt davon zu reden, dass das Gesundheitssystem überlastet werden könnte, ist ein Unsinn. Nie mehr als sechs Prozent der zur Verfügung stehenden Betten waren je überlastet. Mehr Ruhe und weniger Panik wären nun angebracht.
Ohne die bundesrätlichen Massnahmen wäre es allerdings schon zu einer Überlastung gekommen. Droht denn im Herbst nicht wieder ein starker Wiederanstieg und eine mögliche Überlastung?
Nein, schauen Sie, dass saugen Sie sich jetzt einfach so aus den Fingern.
Es gibt ja Länder, die sich für einen totalen Lockdown entschieden haben wie Belgien, wo es zwei Mal mehr Tote gegeben hat als in Schweden, das viel lockerer mit dem Coronavirus umging. Wir haben Schweden als Vorbild, wo es höchstens einen Drittel mehr Tote als hier in der Schweiz gab. In Schweden hat sich die Regierung dafür entschuldigt, dass sie die Risikogruppen zu wenig geschützt habe. Man kann also jetzt nicht so tun als ob man wisse, was diese Massnahmen gebracht haben. Wir können allenfalls erst herausfinden, was die Massnahmen gebracht haben, wenn die Fallzahlen wieder steigen.
Sicher ist, dass alle Coiffuregeschäfte und Läden für nichts geschlossen wurden, da dort die Fälle nie gestiegen sind. Wäre dies wichtig gewesen, so hätte man dort ganz sicher höhere Fallzahlen gesehen.
Ich wiederhole noch einmal, dass diese Meinung unter anderen Experten sehr umstritten ist. Ab nächster Woche sind ja wieder Veranstaltungen bis 300 Personen erlaubt. Ist das kein Risiko?
Natürlich ist das ein Risiko, aber nur für die Risikogruppe. Deshalb müsste man jetzt eine Strategie anstreben, indem man die Risikogruppe schützt, aber dies will ja anscheinend niemand, denn der Bundesrat hat ja gesagt, die Menschen, die zur Risikogruppe gehören, können wieder am normalen gesellschaftlichen Leben teilhaben. Es ist allerdings für Risikopatienten gefährlich an Veranstaltungen mit 300 Personen teilzunehmen. Für alle anderen allerdings nicht. Und genau das ist der Punkt. Wir müssen endlich aufhören, die Ansteckungsgefahr für alle gleichsetzen zu wollen. Die meisten Menschen werden gar nicht krank. Wir müssen diejenigen schützen, die potenziell krank werden. Aber kein Theater um diejenigen machen, die allenfalls eine leichte Erkältung bekommen.
Blick-TV: Ich wiederhole noch einmal, dass Ihre Aussage «Theater machen» unter den Experten sicher umstritten sein wird. Aber trotzdem vielen Dank für dieses Gespräch.