Man nehme 2 beliebige Nachrichten aus Politik, Gesellschaft oder Medizin, und man erhält mindestens 4 Gründe, über andere Leute verärgert zu sein, zornig zu werden oder sie zu verwünschen. Eine erste «Abfuhr» für diese Gefühle bieten mitunter die Kommentarbereiche dieser Meldungen, eine weitere die zahlreichen zynischen Zeichnungen und Bildmontagen zum Zeitgeschehen.
Mit einem zweiten Ventil wird es schon schwieriger. Direkt «sich vorknüpfen» kann man kaum einen dieser Spielfiguren,
- die zwar einer «Aufarbeitung» das Wort reden, aber bitteschön ohne selber etwas gestehen zu müssen;
- die vor Fürsorge über unsere Gesundheit nur so triefen, aber sich freuen über jede Mio einer ach so philanthropischen Stiftung;
- die sich ihrer demokratischen Gesinnung brüsten, aber mehr als deutlich zu verstehen geben, wen die alles nicht einschliesst;
- die inzwischen nicht einmal mehr den Frieden vorschieben, um für den Krieg zu trommeln.
Stattdessen fängt eine ohnmächtige Wut an zu gären. Die Gräben vertiefen sich. Wer dann noch davon reden möchte, in gutem christlichem Glauben «seine Feinde zu lieben» und «die andere Wange hinzuhalten», der läuft Gefahr, eben diese aufgestaute Wut gleich selber zu ernten.
Aber an einem Sonntag gönnen wir uns da mal einen kurzen Stopp.
Und schauen auf zwei dieser Bibelworte und ihren Zusammenhang. Als da zum Beispiel wäre: das berühmt-berüchtigte Wort von der «anderen Wange»:
«Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar»; Matthäus 5, Vers 40.
Wir sollten uns also alles gefallen lassen? Das lese ich hier nicht, und so hatte sich auch Jesus selber nicht verhalten, wenn ich nur schon an seine «Tempelreinigung» denke. Sondern es geht darum, jemanden aktiv auflaufen zu lassen. Auf den rechten Backen schlägt man den anderen − als Rechtshänder − nicht mit der Handfläche, sondern mit dem Handrücken. Ein solcher «Backenstreich» war ein grobes Zeichen der Verachtung. Nicht zurückschlagen bremst den Angreifer aus. Ich erweise mich ihm als überlegen, wenn ich keine Reflexe nötig habe.
Einige Verse weiter, ebenfalls in der großartigen Bergpredigt von Jesus, dann das Wort über die Feinde:
«Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ‹Du sollst deinen Nächsten lieben› und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.»
Zum einen: Den Zuhörern von Jesus sei «gesagt worden». Jesus sagt nicht, «es steht geschrieben». Gesagt wurde es ihnen von anderen Rabbinern, die damit eine mündliche Tradition begründet hatten. Diese bricht Jesus nun mit seinen eigenen Worten.
Zum anderen: Feinde sind hier zunächst und vor allem diejenigen, die Jesu Nachfolgern übel wollen, die ihnen um deren Glaubens willen nachstellen. Wenn aber schon die zu «lieben» seien, dann dürfte dieses Wort nicht weniger auch die privaten wie gesellschaftlichen Gestalten einschliessen, die einem zuwiderleben.
Landen wir also doch bei dem als christlichem Kitsch verrufenen Defaitismus, der sich mit frommen Worten schmückt? Der Philosoph Emmanuel Mounier sieht das anders. Ihm zufolge bestehe vielmehr «die Gefahr, (...) dass man die Rückgraterweichung des aufrechten Mannes mit christlicher Demut und christlichem Gehorsam zu entschuldigen sucht» (in: Der Christ stellt sich, Seite 74).
Ein Blick auf das Wort «Feind» kann hier weiterhelfen. Das dazugehörige Adjektiv bedeutet im Griechisch des Neuen Testaments «widerwärtig, zuwider, verhasst»; nach der Wortherkunft ist es ein Unwilligsein. Im Deutschen rührt es von einem alten Partizip Präsens her. Der Feind wäre dann laut Kluges Ethymologischem Wörterbuch der Verfolgende / Hassende / Schmähende / Höhnende / Übelwollende.
Solcherlei Leute seien also zu «lieben»?
Liebe heisst im Minimum: Ich geb dem andern zu verstehen, dass er selber mehr ist als seine Rolle. Und von dieser Warte aus kommt Licht in die ganze Sache. Denn zum einen lege ich den Feind nicht fest auf sein verfolgendes und übelwollendes Reden und Tun, sondern halte mir und ihm das Fenster zum ganzen Menschen offen. Zum andern nehme ich ihn gerade dann in seiner Rolle auch ernst: Er ist verantwortlich für sein Tun, ob er das selber leugnet oder nicht. Unser ganzes Strafrecht fußt auf diesem Menschenbild.
Von hier aus ist auch der Zorn verständlich, mit dem Jesus im Tempel gewütet oder den Pharisäern die derbsten Schimpfworte an den Kopf geschmissen hat. Sie hatten in ihrer Rolle, ihrer zugedachten oder auch nur angemaßten Aufgabe, abgrundtief versagt. Solche Menschen gilt es so klar wie möglich und auch so hart wie nötig darauf hinzuweisen − gerade damit sie auf diesem Weg nicht weiterschreiten.
Das ist tätige Liebe gegenüber dem, der Hass und Vernichtung geredet und betrieben hat und damit weitermachen würde, und es ist liebevolle Verantwortung gegenüber denen, die darunter zu leiden hatten, zu leiden haben oder zu leiden hätten.
Jener Abschnitt in der Bergpredigt setzt dem allen noch einen drauf, wenn Jesus aufruft:
«Seid ihr also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist»; Matthäus 5,48 in der Übersetzung von Fridolin Stier.
Aber Achtung: Hier geht es nicht um die äussere Moral, sondern um die innere Richtung. «Vollkommen» ist kein anderer Name für «unfehlbar» oder ähnliches, sondern meint «zielgerichtet», auf Gott den Vater ausgerichtet. − «Seid ihr genauso ausgerichtet auf ihn wie Er es ist auf euch.»
************
Wort zum Sonntag vom 31. März 2024: Die Macht des Friedens
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
Kommentare