«L’histoire à la fois ignorée et manipulée» («Die sowohl ignorierte als auch manipulierte Geschichte»), lautet der Titel des neusten Artikels des erfahrenen Westschweizer Journalisten Jacques Pilet. Er ist in elegantem und leichtfüssigem Französisch geschrieben, aber der Text hat Sprengkraft.
Anlass dafür boten die jüngsten Äusserungen von Emmanuel Macron und seinem Premierminister in Frankreich. Insbesondere ihr Vorschlag, Truppen in die Ukraine zu schicken, der die westlichen Verbündeten verärgert und Europa gespalten hat. Diese Ereignisse werfen gemäss Pilet wichtige Fragen zur Bedeutung historischer Beziehungen und zur politischen Kompetenz der heutigen Staatsmänner auf.
Jungen Politikern wie dem französischen Premierminister Gabriel Attal und Valérie Hayer attestiert Pilet eine gewisse Leichtfertigkeit in ihren Äusserungen und politischen Visionen. Attal endete eine seiner Reden beispielsweise mit den berüchtigten Worten «Slava Ukraïni» (Ruhm der Ukraine), die von Historikern als nationalistisches Motto der Anhänger des Faschisten Stepan Bandera kritisiert werden.
Valérie Hayer, Abgeordnete des Europäischen Parlaments, freut sich über den baldigen Beitritt der Ukraine zur EU und zur NATO. Darüber hinaus gibt sie sich geschichtsbewusst. Sie hielt es für angebracht, zu sagen: «Gestern Daladier und Chamberlain, heute Le Pen und Orbán. Die gleichen Worte, die gleichen Argumente, die gleichen Debatten. Wir sind in München, 1938».
Christophe Naudin, Professor für Geschichte und Autor mehrerer Bücher, die Geschichtsmythen und ihre politische Instrumentalisierung aufdecken, nimmt kein Blatt vor den Mund:
«Man muss aufhören mit den schwachsinnigen historischen Parallelen, rechts wie links, 1914 wie 1938. Und noch mehr, wenn man keine Ahnung davon hat.»
Es gibt jedoch gemäss Pilet auch erfrischende Beispiele für junge politische Führungskräfte, wie Gabriel Boric aus Chile, der die lateinamerikanische Linke neu erfindet und ideologische Altlasten hinter sich lässt. Doch nicht alle jungen Politiker sind so überzeugend. Stéphane Séjourné, ein weiteres Beispiel aus Frankreich, scheint politische Ambitionen zu haben. Pilet attestiert dem Jungspund aber Mängel sowohl bei seiner politischen Erfahrung als auch in Bezug auf seine sprachliche Kompetenz.
Jacques Pilet betont, dass historische Kenntnisse von entscheidender Bedeutung sind, um die aktuellen politischen Ereignisse besser zu verstehen. Wladimir Putin sei ein Meister der Geschichtsmanipulation und nutze sie oft, um seine politischen Ziele zu verfolgen. Doch seine Interpretationen seien oft verzerrt und einseitig. Aber der Westschweizer Journalist zeigt mit seinen Beispielen, dass es auch im Westen damit nicht gut bestellt ist.
Insgesamt verdeutlicht der Artikel die Bedeutung einer fundierten historischen Bildung und eines reflektierten Umgangs mit der Vergangenheit. Dies ist unerlässlich, um die gegenwärtigen Herausforderungen besser zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.
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