«Es gab beispiellose Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie, die unserer Ansicht nach dazu führen, dass unbefugte Veröffentlichungen jetzt grösseren Schaden anrichten können als früher». So begründet das Innenministerium seine Bestrebungen, den «Official Secrets Act» zu reformieren.
Das Gesetz wurde zuletzt im Jahr 1989 aktualisiert. Da sich die technologischen Gegebenheiten stark verändert haben, ist es verständlich, dass man das legislative Instrument auf den neuesten Stand bringen will.
Aber die Vorschläge hören damit nicht auf. Es wird nämlich erwähnt, dass «neue Straftatbestände, Instrumente und Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden sollten, um staatsfeindliche Aktivitäten aufzudecken und zu unterbinden, unabhängig davon, ob sie aus dem In- oder Ausland kommen». Und hier kommen die Journalisten ins Spiel.
Innenministerin Priti Patel hat die Reform angestossen. Sie argumentiert, dass das Durchsickern (im Internet) oder die Veröffentlichung (in der Presse) sensibler Dokumente «feindlichen Akteuren» zugutekommen kann. Somit könnten investigative Journalisten oder Whistleblower zu Staatsfeinden oder Agenten fremder Staaten erklärt werden und sich der Komplizenschaft oder sogar der Spionage schuldig machen.
Das Ministerium versichert indessen, die Gesetzesänderung ziele in keiner Weise auf die Pressefreiheit oder das Recht auf Information ab. Es gehe einfach darum, eine «Balance zu finden».
Bis zu 14 Jahre Gefängnis
Der Guardian erinnert jedoch daran, dass seit 1978 und dem «ABC»-Fall — benannt nach den Initialen dreier Journalisten, die wegen der Enthüllung nuklearer «Geheimnisse» in der Zeitschrift Time Out strafrechtlich verfolgt wurden — die Verfolgung von Journalisten in Grossbritannien weitgehend in Verruf geraten ist.
Die geplanten Änderungen des Amtsgeheimnisgesetzes haben entsprechend eine starke Reaktion von Menschenrechtsgruppen und Journalisten hervorgerufen. Vorgesehen wären bis zu 14 Jahren Gefängnis für die Veröffentlichung von sensiblen Informationen oder Informationen, die «die Regierung in Verlegenheit bringen». Aber auch die Verteidigung, die Angeklagten vor Gericht gewährt wird, soll abgeschafft werden. Zwischen Enthüllungsjournalisten und Spionen würde im Gesetz nicht mehr unterschieden.
Der Fall um Minister Matt Hancock in diesem Frühjahr würde in dieses Muster passen. Journalisten der Sun enthüllten, dass das Mitglied der Regierung von Boris Johnson gegen Gesundheitsregeln verstossen und eine aussereheliche Affäre mit einer Mitarbeiterin geführt hatte. Diese Journalisten könnten, wenn Priti Patels mit ihrem Anliegen durchkommt, vor Gericht gestellt werden: wegen «Blossstellens» der Regierung und der Enthüllung privater Informationen über einen Minister.
Befürworter der Pressefreiheit fordern die Beibehaltung einer Klausel betreffend des «öffentlichen Interesses», die die Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit und das Recht der Öffentlichkeit auf Information schützt. Sie werben um breite öffentliche Unterstützung. Das Innenministerium hingegen ist der Ansicht, dass das «öffentliche Interesse» eher im Schutz von Staatsgeheimnissen besteht, und dass es «Leaks», Enthüllungen und journalistische Recherchen sind, die der Nation potenziell Schaden zufügen.
Die Anhörung soll diesen Freitag enden. Die Daily Mail erinnert daran, dass erst vor kurzem ein grossangelegter Spionagefall durch Drittstaaten — die Pegasus-Affäre — ans Licht kam: Dabei wurden mehrere Staats- und Regierungschefs bespitzelt. Aufgedeckt wurde der Fall dank der Recherchen investigativer Journalisten.
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Dieser Text wurde uns von Bon pour la tête zur Verfügung gestellt, dem führenden alternativen Medium der französischsprachigen Schweiz. Von Journalisten für wache Menschen.