Dieser Text ist zuerst auf Apolut erschienen. Transition News durfte den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors übernehmen.
Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von HiStory! Mein Name ist Hermann Ploppa und ich stelle Ihnen heute das Haavara-Abkommen aus dem Jahre 1933 vor.
Haavara-Abkommen?
Ich bin mir sicher, die meisten von Ihnen werden mit «Haavara-Abkommen» nichts anfangen können. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Denn über dieses Handelsabkommen, auch «Transfer-Agreement» genannt, wird äusserst selten gesprochen. Es gibt bei Google kaum brauchbare Einträge zu diesem Thema.
Dabei war die Wirkung des Haavara-Abkommens für alle Zeitgenossen deutlich spürbar. Denn in den 1930er Jahren konnten die Deutschen zum ersten Mal in grossen Mengen und preiswert Zitrusfrüchte essen. Die Nazi-Organisation «Kraft durch Freude» kaufte Orangen, Zitronen und Mandarinen aus Palästina ein. Denn die Nazis hatten mit den Zionisten in grossem Stil Handelsverträge abgeschlossen.
Bedrohte jüdische Mitbürger hatten sich aus dem Nazi-Reich freigekauft und waren in Palästina eingewandert, um am Aufbau eines Gemeinwesens mitzuwirken, aus dem später der Staat Israel hervorgehen sollte. Die zionistische Gemeinschaft in Palästina importierte aus Deutschland Waren, die mit Geldern der flüchtenden Juden bezahlt wurden. Das funktionierte durch ein geschmeidiges Zusammenwirken von jüdischen Banken, jüdischen Interessenverbänden sowie dem Wirtschaftsministerium des Deutschen Reichs.
Sie erkennen natürlich sofort, dass es sich hier um eine recht zweischneidige Vereinbarung handelt. Extreme Judenfeinde arbeiten vertrauensvoll mit offensiv agierenden Interessenvertretern eines noch zu bildenden jüdischen Staates zusammen.
Wir wollen im folgenden verstehen, wie es zu dieser Koalition kommen konnte. Es gibt nämlich in der Geschichte immer wieder extreme Herausforderungen, auf die höchst unorthodoxe Antworten gefunden werden müssen. Das Haavara-Abkommen rettete, so viel sei im Voraus verraten, etwa 52’000 deutschen Juden das Leben. Das machte immerhin zehn Prozent aller in Deutschland wohnenden Juden aus (1).
Beide Parteien, Nazis und Zionisten, waren relativ neu in der Szene. Hitler wurde durch geschickte Werbung zum Hoffnungsträger in extrem schwerer Not aufgebauscht. Bei den Reichstagswahlen vom November 1932 hatten die Nazis zwei Millionen Stimmen verloren. Fast wäre es General Kurt von Schleicher gelungen, eine Koalition als Schutzwall gegen Hitler zu etablieren. Doch nach einem Treffen von sehr einflussreichen Herrschaften aus Deutschland und den USA im Kölner Bankhaus Stein wurde Hitler zum Kanzler einer Koalitionsregierung gemacht.
Die Kontrolle über den Staatsapparat ermöglichte es Hitler und seinen Freunden, den so genannten Reichstagsbrand zu nutzen für diktatorische Befugnisse. Nach den manipulierten Reichstagswahlen am 5. März stürmten SA-Horden die Rathäuser und verjagten die rechtmäßig gewählten Bürgermeister. Nur mit der Brechstange war es möglich, Hitlers krude Judenfeindlichkeit in die Gesellschaft zu pflanzen. Jetzt konnte und wollte die Staatsgewalt die Sicherheit ihrer jüdischen Mitbürger nicht länger garantieren. Schon in dieser Phase kam es zu Mord und willkürlichem Terror gegen Juden. So etwas gab es zuvor noch nicht in Deutschland.
Deswegen waren die deutschen Juden auch zunächst gar nicht in der Lage, auf Verteidigungsmodus umzuschalten. Sie hatten seit Jahrhunderten hier gelebt, sie hatten sich hier fest niedergelassen. Deutschland war ihre Heimat. Sie hatten schon über einen Zeitraum von zweihundert Jahren die deutsche Kultur mitgestaltet. Die deutsche Tradition war ihre eigene Tradition geworden. Sie waren nun mal Deutsche. Punkt. So einfach trennt man sich von seiner Kultur nicht.
Die Juden reagierten genauso irritiert und ablehnend wie ein grosser Teil der deutschen Öffentlichkeit, als «Kaftan-Juden» aus dem osteuropäischen Ghetto auftauchten. Das könnte das ganze sensible Gleichgewicht der deutschen Gesellschaft durcheinanderbringen. Bei assimilierten Juden herrschte die Stimmung vor, den Kopf wegzuducken und abzuwarten, bis der braune Spuk vorbei sein würde.
Die jüdischen Communities in den USA und in Grossbritannien zeigten ihre Empörung über die Untaten in Deutschland. Schnell fand sich eine Koalition von Juden, Christen und Arbeiterbewegung zusammen, die zum Boykott deutscher Waren aufrief. Das nahm schnell Fahrt auf und zeigte Wirkung. Die Linienschiffe Bremen und Europa mussten weitgehend ohne ausländische Passagiere auskommen, weil die Leute stattdessen mit der amerikanischen Manhattan über den Atlantik schipperten. Nadelstiche, die wehtaten.
Die Nummer zwei in der Nazi-Rangliste, der preussische Innenminister und obendrein Präsident des Reichstags, Hermann Göring, war verunsichert (2). Er zitierte Funktionäre der drei grössten jüdischen Vereinigungen in Deutschland für Samstag, den 25. März, in sein opulentes Büro. Ein vierter jüdischer Funktionär, Kurt Blumenfeld. lud sich selber einfach auch noch zu diesem wichtigen Treffen ein. Er war im Vorstand der Zionistischen Vereinigung für Deutschland (ZVfD).
Die Zionisten waren innerhalb der jüdischen Gemeinschaft nicht gut angesehen. Sie konnten vielleicht auf zwei Prozent Anhängerschaft zählen in jenen Tagen. Die meisten Juden wollten nicht nach Palästina, sondern in Deutschland bleiben, bitteschön. Deswegen waren die anderen drei Herren in dieser Runde nicht sonderlich begeistert, Blumenfeld anzutreffen. Julius Brodnitz vertrat den Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Dieser Verein war eher in der Mitte der Gesellschaft verortet und wollte ganz pragmatisch Verbesserungen für die eigene Klientel herausholen.
Heinrich Stahl von der Berliner Jüdischen Gemeinde sah das ganz ähnlich. Etwas aus der Reihe tanzt Max Naumann vom Verband der nationaldeutschen Juden. Der hatte etwa dreieinhalb tausend Mitglieder, die nichts am Hut hatten mit Demokratie, sondern eher in ihren Positionen der Deutschnationalen Volkspartei und in Teilen den Nazis nahestanden. Naumann hatte sich bei den Nazis schon angebiedert und ihnen Unterstützung im Kampf gegen die «Ostjudengefahr» offeriert.
Göring fackelt nicht lange. Er bot seinen Gästen nicht einmal eine Sitzgelegenheit an. Er poltert, dass im Ausland so viel gelogen würde über die Situation der Juden in Deutschland. Die hier anwesenden Herren sollen ihren Kollegen da draussen gefälligst energisch nahelegen, mit dieser Hetze aufzuhören. Den von den Nazis als Vergeltung geplanten ganztägigen «Judenboykott» am 1. April könne man nur ausfallen lassen, wenn die internationalen Juden endlich mit ihren Geschichten aufhören.
Ausgerechnet Naumann von den nationaldeutschen Juden widersprach und zeigte Göring ein Foto, wie Juden in Chemnitz auf Knien rutschend unter Gejohle des Mobs die Gehwege schrubben müssen. Die deutschen Juden hatten bereits an ihre amerikanischen und britischen Glaubensgenossen Telegramme geschickt, in denen sie mitteilten, dass die Lage der Juden in Deutschland gar nicht so schlimm sei wie immer dargestellt. Mit der internationalen Aufregung würde sich nur die Lage der deutschen Juden noch weiter verschlechtern. Aber hier bei dem dreisten Göring liessen sie das unerwähnt.
Nur der Zionist Blumenfeld bot sofort an, sich auf den Weg nach London und New York zu machen und dort für die Nazi-Regierung ein gutes Wort einzulegen. Edwin Black, der das einzige qualifizierte Buch zum Haavara-Abkommen geschrieben hat und der selber Sohn polnischer Holocaust-Überlebender ist, sieht hier die Geburtsstunde einer Symbiose von Nazis und Zionisten. Er schreibt:
«Als das Angebot erst einmal formuliert war, änderte das ganz plötzlich die Beziehung zwischen Nazis und Zionisten. Es war mit einem Mal klar, dass jene jüdische Gruppe, die das Reich bislang ignoriert hatte, tatsächlich genau die eine Gruppe war, mit denen man verhandeln sollte, um die Anwesenheit der Juden in Deutschland zu bekämpfen. Nach all dem stimmten Nazis und Zionisten überein, dass die Juden in Deutschland nichts zu suchen hätten.» (3)
Die Bewegung des Zionismus war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal 40 Jahre alt. Als Begründer des Zionismus gilt der Schriftsteller und Publizist Theodor Herzl. Herzl war im Jahre 1896 mit seinem Buch «Der Judenstaat» in Erscheinung getreten (4). Darin kommt Herzl zu dem Schluss, dass es gar keinen Zweck habe, wenn Juden in einen bereits bestehenden Staat einwandern und sich dort integrieren wollen. Irgendwann käme es immer zum grossen Knall. Dann gebe es Ausschreitungen und Pogrome gegen Juden. Und die müssten dann wieder woandershin fliehen, wo dann irgendwann das ganze Spiel von vorne losgeht.
Die einzige vernünftige Lösung besteht nach Herzl darin, dass die Juden nicht länger über den Erdball verstreut lebten. Vielmehr sollten sie endlich wieder einen eigenen Staat gründen. Nur in ihren eigenen staatlichen vier Wänden seien die Juden dauerhaft sicher. Herzls Buch zeigte rasche Wirkung. Bereits 1897 fand in Basel der Erste Zionistische Weltkongress statt. Rasch folgte auch die Gründung der Zionistischen Weltorganisation.
Herzl hatte einen exakten Stufenplan zur Gründung des Judenstaates vorgelegt. In der ersten Phase sollten die Juden Land in grossem Stil kaufen und es gemeinschaftlich bewirtschaften. Das sollte zum einen von einer Organisation bewältigt werden, die so eine Art vorläufige Verwaltung abgibt. Dem sollte eine weitere Organisation hinzugefügt werden, die auf privatwirtschaftlicher Ebene die Finanzierung besorgt.
Längere Zeit war umstritten, ob sich die Juden wieder in Palästina ansiedeln sollten oder ob auch irgendein anderer Ort auf diesem Globus in Frage käme. Da war öfter die Rede von Uganda oder Madagaskar. Jedoch hatte der britische Aussenminister den Zionisten im Ersten Weltkrieg in der Balfour-Deklaration eine «Heimstatt der Juden» versprochen. Das Problem war nur, dass die Engländer den Arabern ebenfalls einen eigenen Staat versprochen hatten, wenn sie es schaffen würden, das Osmanische Reich aus Palästina zu vertreiben.
Das Osmanische Reich brach nach dem Ersten Weltkrieg fast von selber zusammen, sodass jetzt eigentlich die Araber am Zug gewesen wären. Jedoch teilten Engländer und Franzosen Palästina und die Levante, also Libanon und Syrien, im so genannten Sykes-Picot-Abkommen unter sich auf. Die Araber waren düpiert. Und aufgrund der Balfour-Deklaration hatten sich bereits viele Zionisten in Palästina angesiedelt. Der Konflikt war vorprogrammiert.
Zionistische Funktionäre wie Chaim Weizmann bemühten sich um eine Verständigung mit den Arabern. Zunächst konnte auf diese Weise die Lunte entschärft werden. Während dessen kauften die Zionisten unablässig weiter Grundstücke auf und betrieben landwirtschaftliche Genossenschaften, die so genannten Kibbuze. Handel und Wandel waren professionell organisiert.
In den USA und in Grossbritannien gab es in den frühen 1930er Jahren schon deutlich mehr Anhänger des Zionismus als in Deutschland. Als der Autohersteller Henry Ford in den 1920er Jahren gegen das von ihm so wahrgenommene «Internationale Judentum» mit Büchern und Zeitschriften agitierte, organisierten die amerikanischen Juden einen sehr wirkungsvollen Boykott der Autos der Marke Ford (5). Das zeigte Wirkung. Henry Ford beendete seine antijüdische Hetze und entschuldigte sich öffentlich für seine Entgleisungen.
Die Massnahme des Kauf-Boykotts als politische Waffe hatte sich also schon bewährt, als in Deutschland die Schikanen der Nazis gegen die Juden begonnen hatten. Und so kam es bereits im März 1933 sowohl in den USA als auch in Grossbritannien zu machtvollen Massenprotesten und Boykott-Aktionen gegen Nazi-Deutschland.
Und so konnten auch weder die Nazis noch die deutschen Juden verhindern, dass zwei Tage nach dem Treffen bei Göring am 27. März 1933 eine gigantische Demonstration in New York stattfand, die von zahlreichen weiteren Demonstrationen in Grossbritannien, Litauen und Polen begleitet wurde. Als der prominenteste amerikanische Zionist, der Rabbiner Stephen Samuel Wise, zur Menge an Protestierenden in New York sprach, wurde seine Rede sogar von Polen aus im Mittelwellenradio in Europa übertragen.
Die Nazis rächten sich mit ihrem so genannten «Juden-Boykott» bereits am 1. April, wie von Göring bereits angedroht. SA-Schläger stellten sich vor jüdischen Geschäften auf und schmierten antijüdische Parolen an die Schaufenster der betroffenen Läden. Es gehörte schon viel Mut dazu, jetzt trotzdem das Geschäft zu betreten und ganz normal einzukaufen. Übrigens wurden im gleichen Zug auch Läden der sozialistischen Einkaufsgenossenschaften von den Nazis am Geschäftsbetrieb gehindert.
Damit war deutlich, dass die Nazis nicht nur die Juden ausschalten wollten, sondern auch alle Wirtschaftsformen, die den grossen Konzernen im Weg standen. Für die überwältigende Mehrheit der Deutschen war der Nazi-Terror ebenso unverständlich wie abstossend. Ab dem 2. April gingen die Deutschen wieder in den jüdischen und genossenschaftlichen Läden einkaufen.
Doch der gesellschaftliche Zusammenhalt war zutiefst untergraben. Auch die Juden, die bislang so energisch betonten, dass sie doch Deutsche seien und dass sie auf jeden Fall in Deutschland bleiben würden, mussten ihre Haltung jetzt überdenken. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums wurden jüdische Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst gedrängt. Die Volkszählungen der nächsten Jahre trieben den Anteil von Juden in der deutschen Bevölkerung zudem künstlich hoch.
In den Fragebögen wurde auch abgefragt, welchen Glaubens die Vorfahren gewesen waren. Um den Kreis der Opfer der Nazi-Verfolgung zu erweitern, schufen die Gesetzgeber noch die Begriffe des «Halbjuden» und des «Vierteljuden». Damit hatte man aus der ursprünglich halben Million Juden mit einem Schlag zwei Millionen Juden gemacht. Die Verfolgungsmaschinerie brauchte Futter zum Verarbeiten. Ein absurder Selbstläufer, der durch die Lochkarten-Technologie der amerikanischen Firma IBM technisch erst möglich wurde (6).
Es ergaben sich für die Juden drei Optionen, auf diesen gemeingefährlichen Irrsinn zu reagieren. Zum einen hätte man die Boykott-Aktionen gegen die Nazis derart ausweiten können, dass der deutsche Aussenhandel ernsthaft ins Taumeln geraten wäre. Das hätte wahrscheinlich an einem gewissen Kipppunkt die deutsche Wirtschaft dazu gebracht, die Nazis aus der Regierung zu drängen und durch eine gemässigte Regierung auszutauschen.
Der Aussenhandel stand damals sowieso auf wackligen Füssen. Immer noch hatte sich die Weltwirtschaft nicht vom Schwarzen Freitag erholt. Die Arbeitslosigkeit war immer noch beträchtlich. Und es gab damals noch keine Welthandelsorganisation. Die Staaten wickelten ihren Handel immer noch über zweiseitige Handelsverträge ab. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Handelsbilanz zwischen den beiden Staaten möglichst ausgeglichen blieb. In diesem begrenzten Handelsumfeld hätten Boykotte gegen die Nazis durchaus hohe Erfolgsaussichten gehabt.
Nun hofften aber immer noch viele konservative Juden in Deutschland darauf, dass entweder die Nazis bald wieder abtreten würden, wie alle Regierungen vor ihnen, oder dass die Nazis sich halten, aber moderater würden. Wir dürfen die Geschichte nicht rückwärts lesen. Für die Öffentlichkeit des Jahres 1933 waren die «Kristallnacht» und der nachfolgende Holocaust ab 1941 überhaupt noch nicht absehbar. Aber trotzdem waren es jetzt schon einige zehntausend Juden, die sofort emigrieren wollten. Wenn man diesem Personenkreis sozusagen ein Pauschalpaket für den Abzug offeriert, dann würden das viele Betroffene gerne annehmen.
Ja, und auch die Nazis hatten den Schuss gehört. Die Macht der Nazis war schon gross. Aber sie mussten immer noch die Macht mit anderen Kreisen teilen. Zur absoluten Macht würden die Nazis erst nach dem so genannten Röhm-Putsch im Jahre 1934 aufsteigen. Und die Wehrmacht hatten sie erst nach etlichen Intrigen im Jahre 1938 voll im Griff. Also war auch für die Nazis klar, dass der von ihnen inszenierte «Judenboykott» vom 1. April 1933 nicht fortgesetzt werden konnte.
Einflussreiche Herrschaften aus Wirtschaft und Finanzen traten hier ganz energisch auf die Bremse. Wirtschaftsminister Kurt Schmitt war zuvor Direktor der damals schon mächtigen Allianz-Versicherungsgruppe, bevor er in die Hitler-Regierung eintrat. Er macht unmissverständlich klar, dass er «eine Unterscheidung zwischen arischen und nicht arischen Firmen innerhalb der Wirtschaft, insbesondere bei dem Eingehen geschäftlicher Beziehungen», nicht für durchführbar halte. (7) Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit hatte Vorrang.
Und sogar der antisemitische Propagandaminister Goebbels stellte öffentlich fest, «dass keine Veranlassung besteht, gegen eine Firma vorzugehen, solange ihre Inhaber nicht gegen gesetzliche Vorschriften oder gegen die Grundsätze der kaufmännischen Ehre verstossen.» (8)
Allzu klar wurde selbst den verbissensten Judenhassern in der Nazi-Führung, dass ihre Regierung jetzt umgehend Erfolge vorweisen musste. Zudem stand für das Jahr 1936 die Olympiade zunächst in Garmisch-Partenkirchen und dann in Berlin und Kiel an. Wenn man dort internationale Anerkennung erringen wollte, musste man notgedrungen für ein paar Jahre Kreide fressen. Doch tat sich eben auch hinter den Kulissen einiges, das die Situation merklich entspannte – zumindest für den Augenblick.
Denn der zionistische Politiker Chaim Arlosoroff war extrem gut vernetzt. Schon am 8. April traf er sich mit arabischen Vertretern im Jerusalemer King David-Hotel, um die komplizierten arabisch-jüdischen Beziehungen zu besprechen. Danach verhandelte er in einer regen Reise-Diplomatie mit dem Regierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, Hans Hartenstein, sowie mit dem deutschen Konsul im immer noch britisch besetzten Palästina, Heinrich Wolf (9).
Beide Herrschaften waren noch aus der Weimarer Republik übernommen worden. Sie standen der Nazi-Politik kritisch gegenüber. Beide waren sehr aufgeschlossen dafür, eine legale und friedliche Auswanderung für Juden nach Palästina zu ermöglichen. Es galt, einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Natürlich sollten die Juden so viel privates Vermögen mitnehmen können wie es möglich war.
Doch da gab es ein Gesetz, das der ehemalige Reichskanzler Brüning im Jahre 1931 gegen Kapitalflucht erlassen hatte. Demzufolge durften Deutsche, die das Land verlassen wollten, nur eine ganz geringe Summe Geld mitnehmen. Nun erforderten die britischen Einreisegesetze, dass ein Einwanderer mindestens 1000 Pfund Sterling dabei haben müsse. Das Empire wollte keine potentiellen Sozialfälle aufnehmen.
Arlosoroff und seine zionistischen Mitstreiter können jetzt tatsächlich eine Ausnahmereglung beim Wirtschaftsministerium erreichen. Nur jüdischen Auswanderern nach Palästina ist es ab sofort gestattet, Geld im Gegenwert von 1000 Pfund aus Deutschland mitzunehmen. Bei dem zu erwartenden Andrang braucht es jetzt auch eine Institution, die den Geld-Transfer abwickelt. Die Bankhäuser Warburg in Hamburg und A.E. Wassermann in Berlin kümmern sich fortan um den Geld-Transfer (10).
Das Geld wird auf ein Anderkonto der neu gegründeten Palästina-Treuhandstelle zur Beratung deutscher Juden GmbH, kurz: Paltreu, eingezahlt. Andere Vermögenswerte deutscher jüdischer Auswanderer landen auf einem zionistischen Bankkonto in Palästina. Mit dem Geld wiederum kaufen die Zionisten Exportware aus Deutschland ein. Also eine klassische Win-Win-Situation: die deutsche Wirtschaft hat endlich einen verlässlichen Abnehmer deutscher Exporte.
Nach dem Haavara-Abkommen verdoppelt sich das Handelsvolumen mit Palästina. Und deutsche Juden, die genug Geld haben, können eine neue Existenz in Palästina aufbauen. Und die Zionisten haben für den Aufbau ihres zukünftigen Staates Israel qualifizierte Fachkräfte quasi zum Nulltarif aus Deutschland bekommen. Denn soviel ist klar: diese Art der Auswanderung können sich nur einigermassen begüterte Juden leisten.
Am 25. August 1933 wird in den Räumen des Reichswirtschaftsministeriums das so genannte Haavara-Abkommen von der deutschen Regierung und den Zionisten unterzeichnet. Bis zum Jahre 1936 wandern mit Hilfe des Haavara-Abkommens nach deutscher Statistik 38’700 Juden aus. Nach dem Ende der Sommer-Olympiade in Berlin 1936 fallen allerdings die Hüllen. Immer deutlicher wird, dass die Nazis gar nicht daran denken, ihre judenfeindliche Politik aufzugeben oder auch nur abzumildern.
Spätestens nach der so genannten «Reichskristallnacht» müssen Juden sehen, wie sie unter Zurücklassung ihres gesamten Hab und Gut zu Fuss über die grüne Grenze flüchten. Der Handel über die Paltreu auf der Grundlage des Haavara-Abkommens nimmt stetig ab und wird bei Beginn des Zweiten Weltkrieges komplett aufgekündigt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten 52’000 Juden den Weg über eine legale Auswanderung nach Palästina genutzt. In dieser Zeit sind rund 140 Millionen Reichsmark durch den Transfer umgesetzt worden.
Dieser faustische Pakt der Zionisten mit den Nazis fand selbst in der zionistischen Szene keine einhellige Begeisterung. Der diskrete Regisseur des Haavara-Abkommens, Chaim Arlosoroff, wurde bereits am 16. Juni 1933 in Israel von einem unbekannten Attentäter ermordet. Es bleibt im Dunkeln, ob Arlosoroff wegen seiner Kontakte mit Arabern oder wegen seiner Rolle beim Haavara-Abkommen exekutiert wurde.
Eindeutiger ist da schon die Haltung des amerikanischen Rabbiners Stephen Wise. Jener Stephen Wise, der in New York die Hauptrede bei der Massen-Demonstration gegen den Terror gegen Juden in Deutschland gehalten hatte. Wise konnte sich nie mit dem Haavara-Abkommen anfreunden. Er sagte dazu: «Es gibt Schlimmeres, als mit gebeugtem Haupt in Zion einzuziehen – nämlich mit schmutzigen Händen!» (11)
Tyrannen und Terroristen auch noch dafür zu belohnen, Menschen in lebensbedrohliche Situationen zu bringen, das ist grenzwertig. Man kauft die Menschen frei und ermutigt die Erpresser, ihre diesbezüglichen Aktivitäten zu steigern, um noch mehr Geld zu erpressen. Auch die Bundesrepublik hat der DDR im Gefängnis einsitzende Dissidenten für viel Geld abgekauft und das Ganze noch abgerundet durch Gewährung von Krediten. Auf der anderen Seite ist nicht zu vernachlässigen, dass unschuldige Menschen vor Krankheit, Tod und Freiheitsberaubung bewahrt wurden. Wir wollen das an dieser Stelle nicht bewerten.
Wir lernen aus der Vergangenheit, wie wir die Zukunft besser machen.
Quellen und Anmerkungen
(1) Willi A. Boelcke: Die deutsche Wirtschaft 1930-1945: Interna des Reichswirtschaftsministeriums. Düsseldorf 1983. S.123
(2) Edwin Black: The Transfer Agreement – The Dramatic Zionist Rescue of Jews from the Thrird Reich to Jewish Palestine. New York 2022. S.44ff
(3) Black, Transfer. S.46
(4) https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/der-judenstaat/6169
(5) Hermann Ploppa: Hitlers amerikanische Lehrer – Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus. Marburg 2016. S.241ff
(6) Edwin Black: IBM und der Holocaust – Die Verstrickung des Weltkonzerns in die Verbrechen der Nazis. München 2002.
(7) Boelcke, Wirtschaft. S.117
(8) Boelcke, Wirtschaft. S.118
(9) Werner Feilchenfeld/Dolf Michaelis/Ludwig Pinner: Haavara-Transfer nach Palästina – Einwanderung deutscher Juden 1933-1939.
(10) Ron Chernow: Die Warburgs – Odyssee einer Familie. Berlin 1994. S.486ff
(11) Chernow, Warburgs. S.487