«Israels Freunde müssen dem Land helfen, die Diplomatie dem Krieg vorzuziehen.» Das fordert der US-Ökonom Jeffrey Sachs in einem Beitrag, den die Schweizer Zeitung Die Weltwoche in ihrer aktuellen Ausgabe veröffentlicht hat. Israel laufe die Zeit davon, «sich selbst zu retten – nicht vor der Hamas, die nicht über die Mittel verfügt, Israel militärisch zu besiegen, sondern vor sich selbst.» Sachs warnt:
«Israels Kriegsverbrechen im Gazastreifen, die laut dem Center for Constitutional Rights an den Tatbestand des Völkermordes heranreichen, drohen die zivilen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen Israels zum Rest der Welt zu zerstören.»
In Israel würden sich die Rufe nach einem sofortigen Rücktritt von Premierminister Benjamin Netanjahu mehren, so der US-Ökonom. Eine neue israelische Regierung sollte aus seiner Sicht «die Gelegenheit ergreifen, das Blutbad durch Diplomatie in einen dauerhaften Frieden zu verwandeln».
Die Politik von Netanjahu führe das Land in eine von der islamistischen palästinensischen Organisation Hamas gestellte Falle: «Das Ziel der Hamas bei ihrem abscheulichen Terroranschlag am 7. Oktober war es, Israel in einen langen und blutigen Krieg zu treiben und es zu Kriegsverbrechen zu verleiten, um die Schande der Weltöffentlichkeit auf sich zu ziehen.» Das sei klassischer Einsatz von politischem Terror.
Sachs vergleicht das mit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001. Die damit begründeten Kriege «in Afghanistan, im Irak und darüber hinaus» hätten als Ergebnis gehabt: «ein Blutbad, Folter durch US-Behörden und -Militärs, acht Billionen Dollar Schulden und der Zusammenbruch des Ansehens und der Macht der USA weltweit».
Israels Irrtum
Die Hamas würde Israel ebenso «zu Kriegsverbrechen und möglicherweise zu einem Krieg in der gesamten Region» bringen. Und: «Israels Aktionen bringen Israels Freunde in der ganzen Welt gegen das Land auf.» Dagegen ignoriere Israel «instinktiv» die weltweite Meinung und tue sie als «Antisemitismus» ab.
Die israelische Führung setze darauf, von den USA unterstützt zu werden. Doch das ist aus Sicht des Ökonomen «unmöglich», da die USA weltpolitisch geschwächt seien. «Sehen Sie sich nur an, wie die USA die Ukraine ‹retten›», macht er deutlich. Die Ukraine werde zerstört, weil sie sich auf die US-amerikanischen Zusagen, sie militärisch zu unterstützen «solange es nötig ist», verliess.
Sachs schreibt die Anschläge vom 11. September 2001 dem islamistischen Netzwerk Al-Qaida zu und vergleicht diese mit der Hamas:
«Al-Qaida war eine Schöpfung der USA, die später zum Bumerang wurde. Indem die CIA in den 1980er Jahren heimlich islamische Dschihadisten in Afghanistan finanzierte, um die Sowjetunion zu bekämpfen, rief sie al-Qaida ins Leben. Im Fall der Hamas unterstützte Netanjahu – was gut dokumentiert ist – heimlich die Hamas, um die Palästinensische Autonomiebehörde zu spalten und zu schwächen.»
Der Ökonom kritisiert Netanjahu für die «irrigen Ansichten», Sicherheit und Frieden für Israel seien nur durch den Einmarsch in Gaza und wenn die Hamas vernichtet wurde möglich. Die westliche Unterstützung für das israelische Vorgehen lasse die Bevölkerung im Glauben, «dass Israel das Einzige tut, was es für seine eigene Sicherheit tun kann». Doch dieselben politisch Verantwortlichen hätten den Hamas-Angriff am 7. Oktober nicht verhindert und würden nun versuchen, «ihre Fehler durch den Krieg in Gaza zu vertuschen».
Einziger Ansatz für Frieden und Sicherheit
Sachs erinnert an «einen völlig anderen Ansatz für Israels Sicherheit, den die politische Klasse Israels seit Jahrzehnten ablehnt, der aber der einzige ist, der wirklichen Frieden und Sicherheit bringen kann». Das sei eine politische Lösung für Palästina, verbunden mit umfassenden, durchsetzbaren Sicherheitsvereinbarungen für Israel. Er warnt:
«Israel sitzt auf einem Vulkan der Unruhe, weil es dem palästinensischen Volk seit langem grundlegende menschliche, wirtschaftliche und politische Rechte verweigert. Der Gazastreifen wurde von Human Rights Watch als Freiluftgefängnis bezeichnet. Die israelische Besetzung Palästinas kommt nach Ansicht von Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International einer Apartheid gleich.»
Die UNO-Generalversammlung und der UN-Sicherheitsrat hätten «zu Recht und mit überwältigender Mehrheit» seit Jahren, zuletzt am 26. Oktober, Resolutionen verabschiedet, die eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina fordern. Doch Netanjahu sei nicht bereit gewesen, die notwendigen Zugeständnisse zu machen, um eine solche Lösung zu ermöglichen.
Die politische Klasse Israel habe versagt, «echte Sicherheit für Israel und Gerechtigkeit für Palästina zu erreichen». Sachs spricht sich für eine diplomatischen Lösung aus: Bei dieser würde der UN-Sicherheitsrat sich für die Entwaffnung militanter Gruppen, einschliesslich der Hamas und des Islamischen Dschihad, einsetzen. «Die Länder, die diese Gruppen finanzieren und bewaffnen, insbesondere der Iran, würden sich bereit erklären, sich dem Uno-Sicherheitsrat anzuschliessen, um diese Gruppen als Teil des Friedensabkommens zu finanzieren und zu demobilisieren.»
Sachs schlägt vor, dass sowohl Saudi-Arabien als auch der Iran diplomatische Beziehungen zu Israel aufnehmen. Israel und der Uno-Sicherheitsrat würden «einen souveränen, unabhängigen und sicheren Staat Palästina mit seiner Hauptstadt in Ost-Jerusalem und mit voller Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen anerkennen». Palästina solle die souveräne Kontrolle über die muslimischen heiligen Stätten in Ost-Jerusalem, einschliesslich des Haram al-Sharif (Tempelberg), erhalten.
Aus Sicht des Ökonomen gibt es derzeit Spielraum für eine entsprechende Diplomatie unter den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates. Er sieht auch gute Chancen, den Iran in eine Friedenslösung einzubeziehen, da dieser Interesse an «einer dynamischen und kreativen Diplomatie» zeige. Sachs warnt ausserdem:
«Wenn Israel Netanjahus Gift schluckt, dass ‹dies eine Zeit für Krieg ist›, wird es sich vom Rest der Welt isolieren und einen verheerenden Preis zahlen.»
Israels erreichbares Ziel sei dauerhafter Frieden und Sicherheit durch Diplomatie, wofür es von seinen Freunden, «angefangen bei den USA», unterstützt werden müsse. Denn:
«Freunde lassen nicht zu, dass Freunde Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, geschweige denn, dass sie ihnen die finanziellen Mittel und Waffen dafür zur Verfügung stellen.»
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