Wer braucht eine Partei, die sich anscheinend nur noch mit sich selbst beschäftigt und sich auch noch selbst zerlegt? Natürlich niemand. Und so könnte sich die Partei, die sich anmassend «Die Linke» nennt, durchaus selbst auflösen. Ihre Bundestagsfraktion hat diesen Schritt schon vollzogen.
Grund ist der Ausstieg von Sahra Wagenknecht, die eine neue «linkskonservative» Partei gründen will. Die Spitze dieser Partei hat dafür gesorgt, dass sich eines ihrer zugkräftigsten Mitglieder verabschiedet hat.
Aber natürlich wird es nicht zur Selbstauflösung kommen. Denn die Partei wird schon gebraucht: Von all jenen, die durch sie zu Mandat und Posten kamen. Da hängen Existenzen dran, auch wenn ohne Fraktion im Bundestag die Steuermittel dafür nun knapp werden.
Es sieht nicht gut aus für diese Partei – und sie selbst gibt kein gutes Bild ab. Das liegt zuletzt an jenen, die in den Medien erwartungs- und auftragsgemäss kein gutes Bild von ihr zeichnen. Das liegt am Umgang mit den eigenen Themen wie dem Frieden und mit den eigenen Mitgliedern.
Über Wagenknecht kann ja jede und jeder denken, was sie oder er will. Schon länger hat sie sich anscheinend in der Partei nicht mehr wohl gefühlt. Erst versuchte sie es mit der Bewegung «Aufstehen». Die startete als der sprichwörtliche Tiger und landete ebenso sprichwörtlich als Bettvorleger. Nun kündigte die Politikerin mit anderen an, im Januar 2024 eine neue Partei zu gründen.
Die wird wahrscheinlich, sollte sie zustande kommen, kurz für Aufsehen sorgen und dann wie «Aufstehen» ein kümmerliches Dasein fristen. Das ist zumindest meine Vermutung. Aus meiner Sicht überzeichnet die mediale Aufmerksamkeit für das Projekt die gesellschaftliche Nachfrage danach.
Schwieriges Gespann
Wagenknecht und die Linkspartei samt ihrer Vorgängerin PDS – das war immer ein schwieriges Gespann. Einst war die Frau zu links und kommunistisch für jene, die die Partei aus der einstigen DDR-Staatspartei an die bundesdeutschen Verhältnisse anpassen wollten (oder sollten).
Jetzt wird ihr vorgeworfen, zu rechts und populistisch zu sein. Der Vorwurf kommt wieder von den Angepassten in ihrer früheren Partei. Es sind die Selbstgerechten, wie Wagenknecht sie nennt.
Eines haben die führenden Kräfte der Linkspartei nie begriffen: Das Potenzial dieser klugen Frau zu nutzen, um eine Politik öffentlich zu machen, die an den Interessen der breiten Mehrheit ausgerichtet ist. Sie wäre eine zugkräftige Führungsfigur gewesen, zugleich keine Marionette, weil sie selber Ideen und Visionen hat.
An dem Konflikt um Wagenknecht wird auch eines der grundlegenden Probleme der Linkspartei deutlich: Längst wird auch in dieser vielfach nur noch Politik «von Hochqualifizierten für Hochqualifizierte» gemacht, wie es Dirk Oschmann in seinem vielbeachteten Buch über den Osten und den Westen beschreibt.
Längst ist diese Partei weg von den Problemen der breiten Mehrheit. Dabei gilt, dass Ausnahmen die Regel bestimmen. Einst war die Vorgängerpartei PDS eine Protest- und «Kümmerer-Partei», die den in die Bundesrepublik geworfenen DDR-Bürgern auch ganz praktisch half, mit den neuen Verhältnissen zurecht zu kommen.
Das ist lange Vergangenheit. Spätestens mit den ersten Regierungsbeteiligungen verliess die Partei das direkte soziale Feld, auch wegen mangelnder Kräfte. Was sie räumte, übernahmen die rechtsnationalen, neofaschistischen Kräfte.
Vergessene Erkenntnisse
Einst machte die PDS mit dem Spruch «Veränderung beginnt mit Opposition» Wahlwerbung. Davon wollten ihre und die in der späteren Linkspartei führenden Kräfte bald nichts mehr wissen. Ihre «Vordenker» glaubten, die Menschen würden auf Dauer keine Protest-Partei wählen. Wichtiger war für sie die Bereitschaft, «Verantwortung zu übernehmen» und mitzuregieren.
Den Protest übernahmen dann andere – heute spielen alle, auch die Linkspartei, die Erschreckten angesichts des Zuspruchs für die AfD. Dabei müssten jene, die sich in der Linkspartei für links halten doch die alte dialektisch-materialistische Erkenntnis kennen: Widerspruch ist die Triebkraft der Entwicklung.
Oder anders: Ohne Opposition keine Demokratie. Sie ist deren Lebenselixier. Und die Oppositionsbänke sind alles andere als bequem, wie ich aus eigener kommunalpolitischer Erfahrung weiss. Aber vielleicht ist gerade das eines der Probleme auch dieser Partei, wenn sie auf die Regierungsbänke, auch auf die auf Bundesebene, schielt.
Die Linkspartei hat vielleicht nur noch eine Chance. Dazu müsste sie sich auf etwas besinnen, was der Publizist Friedrich Dieckmann im Dezember 1989 mit Blick auf den Untergang von DDR und SED, die auch zu den Wurzeln der Linkspartei gehört, schrieb:
«Anstatt mit alten Illusionen alte Fehler zu erneuern, sollte man sich besinnen, was ‹linke›, sozialistische Politik ihrem Wesen nach ist. Sie ist Politik gegen die Selbstherrlichkeit der Unternehmer, gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung.»
Versagen in der Corona-Krise
Dabei hat die Linkspartei in den letzten Jahren bei allen Ausnahmen bitter versagt, zuletzt auch in der sogenannten Corona-Krise. Das gilt übrigens auch für Wagenknecht und einige ihrer Unterstützer, die aus der Bundestagsfraktion austraten.
Und das, obwohl gerade sie die analytischen Instrumente hätte, zu erkennen und zu zeigen, in wessen Profitinteresse und zu wessen Schaden die gesamte Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzt wurde. Um zu zeigen, dass es nicht um die Gesundheit aller, sondern um den Reichtum weniger ging – wie immer im Kapitalismus.
Dieckmann warnte damals auch: «Linke Politik, deren Nährboden Wirklichkeitsflucht ist, verurteilt sich selbst zur Unwirksamkeit.» Und: «Es unterscheidet Politik von Poesie, dass sie sich nicht mit Wünschen aufhalten darf.» Diese vor mehr als 30 Jahren niedergeschriebenen Worte müssten heute der Linkspartei wieder ins Stammbuch geschrieben werden.
Sie wird untergehen: Wenn sie nicht endlich wieder lernt, Protest zu artikulieren, im Parlament wie auf der Strasse. Wenn sie nicht endlich wieder begreift, dass starke Opposition in den Parlamenten und in der Gesellschaft Veränderung bewirkt. Wenn sie nicht endlich wieder anfängt, mit den Menschen in diesem Land zu reden, statt nur über und für diese. Und wenn sie sich nicht endlich wieder um deren Interessen kümmert
Für den Untergang ist nicht Sahra Wagenknecht mit ihrem Parteiprojekt verantwortlich. Die Gewinner werden jene sein, die eine tatsächliche linke Kraft in Deutschland fürchten. Und jene, die geschickt für die Herrschenden und Mächtigen Zorn und Protest in der Gesellschaft auffangen und kanalisieren – damit sich am Ende nichts wirklich verändert.
Das erbärmliche Schauspiel, das die Linkspartei mit Wagenknecht, aber auch in Sachen Frieden und Russland ablieferte und abliefert, könnte eine der letzten Vorstellungen gewesen sein, die noch für Aufmerksamkeit für diese Partei sorgen.
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