Der Bundesrat plant eine Revision des Epidemiegesetzes, um aus den Erfahrungen der COVID-19-Pandemie zu lernen und das Land besser auf zukünftige Krisen vorzubereiten, wie die Medien heute Morgen berichteten. Der auf Ende Jahr zurücktretende Gesundheitsminister, der sozialdemokratische Bundesrat Alain Berset betonte, dass das bestehende Gesetz aus dem Jahr 2016 ein wirksames Instrument war, aber punktuelle Anpassungen notwendig seien. Die geplante Revision konzentriert sich auf das Eskalationsmodell, Schutzmassnahmen im öffentlichen Verkehr (ÖV) und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen.
Eine wichtige Änderung betrifft das Eskalationsmodell, das dem Bundesrat ermöglicht, eine besondere oder ausserordentliche Lage auszurufen und Massnahmen anzuordnen. Künftig sollen sich Bund und Kantone bereits im Vorfeld auf eine besondere Lage vorbereiten, bevor sie ausgerufen wird. Dies beinhaltet den frühzeitigen Aufbau von Krisenorganisationen und Ressourcen für Contact-Tracing oder Impfungen.
Die Gesetzesrevision ermöglicht es dem Bund, schon in der normalen Lage Schutzmassnahmen im ÖV anzuordnen, wie zum Beispiel die Maskenpflicht. Diese Massnahmen sollen bei aufziehender Gefahr ergriffen werden können. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass dies nicht als spezifisches Covid-19-Gesetz betrachtet wird, und es werden keine gesetzlichen Schwellenwerte festgelegt, um den Übergang zur besonderen Lage zu definieren.
Um Konflikte zwischen Bund und Kantonen zu minimieren, soll im überarbeiteten Epidemiegesetz festgelegt werden, dass Kantone strengere Massnahmen als der Bund ergreifen dürfen. Gleichzeitig soll der Bund Massnahmen anordnen können, die nur für bestimmte Regionen gelten.
Der Bundesrat plant, einige Bestimmungen aus dem Covid-19-Gesetz zu übernehmen, darunter die Kompetenz des Bundes zur Beschaffung und Finanzierung von Medikamenten und Impfstoffen sowie die Herausgabe von Impfzertifikaten. Die Kantone bleiben jedoch weiterhin für die Gesundheitsversorgung und die Impfabgabe zuständig.
Die Revision berücksichtigt auch aktuelle Gesundheitsrisiken wie Antibiotikaresistenzen und die Verbreitung gefährlicher Keime in Spitälern und Arztpraxen. Der Bundesrat plant, die Kompetenz zu erhalten, den Verbrauch antimikrobieller Substanzen zu überwachen und Richtlinien zum Einsatz von Antibiotika zu erlassen. Es bleibt jedoch offen, ob Finanzhilfen an Unternehmen im Epidemiegesetz festgeschrieben werden sollen, und der Bundesrat stellt zwei Varianten zur Diskussion, eine mit einer gesetzlichen Regelung für Liquiditätshilfen und eine ohne.
Die Gesetzesrevision soll also die gesetzliche Grundlage schaffen, dass der Bundesrat zeitlich unbeschränkt praktisch in eigener Kompetenz Massnahmen ergreifen kann, mit denen Grundrechte eingeschränkt beziehungsweise aufgehoben werden.
Ins Auge sticht nach einer ersten groben Sichtung erstens, dass der Bund auf Dauer die Kompetenz erhalten soll, ein Impfzertifikat herauszugeben. Ob damit die Kompetenz einhergeht, 2G- oder 3G-artige Einschränkungen zu verfügen, ist noch nicht klar.
Zweitens ist es auffällig, dass im Gesetz keine Schwellenwerte festgelegt werden, um Massnahmen im Rahmen der «besonderen Lage» zu rechtfertigen. Das gäbe dem Bundesrat eine enorme Machtfülle und einen enormen Ermessensspielraum.
Drittens ist klar, dass der Bundesrat keine unabhängige und ehrliche Evaluation der getroffenen Massahmen will, wie sie zum Beispiel die Aufarbeitungsinitiative fordert.
Damit wird verständlich, warum der Bundesrat anfangs Jahr nicht wollte, dass das Covid-Gesetz ausläuft und einen weiteren Abstimmungskampf riskierte. Gut möglich, dass er schon damals plante, Teile davon nahtlos ins Epidemiegesetz zu übernehmen und damit diese Kompetenzen ins ordentliche Recht zu überführen.
Welche Chancen die Vorlage im Parlament hat und ob ihr in den Räten nicht noch die Zähne gezogen werden, kann gegenwärtig nicht beurteilt werden. Klar scheint, dass verschiedene Organisationen der Zivilgesellschaft, denen die Grundrechte und die Demokratie am Herzen liegen, das Referendum ergreifen werden und dass schliesslich der Stimmbürger an der Urne entscheiden wird.
Kommentare